Da gibt es nichts, was es nicht gibt
ENDOMETRIOSE – Unklare Ursache, schwierige Diagnose und keine Möglichkeit, von der Symptomatik auf den Schweregrad zu schließen: Die Vielfältigkeit der Endometriose erschwert Ärzten einen raschen Befund. (Medical Tribune 10/18)
Bei der Endometriose gibt es nichts, was es nicht gibt, schreiben Dr. Sara Imboden und Prof. Dr. Michel Mueller vom Endometriosezentrum des Schweizer Universitätsspitals Bern in einem Übersichtsartikel in „Swiss Medical Forum“. Rund ein Zehntel der Frauen im gebärfähigen Alter erkrankt am Komplex aus Absiedlung, Wachstum und Progression von Gebärmutterschleimhaut außerhalb des Uterus. Die Symptome dieser chronischen Erkrankung können dabei so vielgestaltig wie ein Chamäleon sein. Typisch jedoch sind Infertilität und zyklusabhängige Schmerzen während der Periode (Dysmenorrhö), beim Stuhlgang (Dyschezie), Wasserlassen (Dysurie) und Geschlechtsverkehr (Dyspareunie). Trotz großer Läsionen merken manche Frauen kaum etwas, andere leiden schon unter kleinen Herden. Wegen der diffusen Symptomatik stellen viele Kollegen die Diagnose erst spät – im Schnitt nach sechs Jahren. Mehrere Theorien werden bemüht, um die Pathogenese zu erklären.
Plausibel scheint vor allem die Implantation: Durch retrograde Menstruation wandert endometriales Gewebe in die Bauchhöhle, wo hormonelle Faktoren dessen Wachstum fördern. Dabei müssen genetische Einflüsse mitwirken, denn bei fast allen Frauen fließt Menstruationsblut über die Eileiter rückwärts in den Bauchraum. Grundlegend ist nach Imboden und Mueller die Unterscheidung zwischen oberflächlichen Ansiedlungen am Peritoneum und tief in Organe eingewachsenen Knoten. Am häufigsten sind Endometriome in den Ovarien, peritoneale Herde im kleinen Becken, Knoten im Septum rectovaginale und an der Blasenumschlagsfalte. Nährt sich der Verdacht auf eine Endometriose, mahnen die Schweizer daran, dort nach ektopem Gewebe zu suchen, etwa durch Palpation der Scheidewand zwischen Vagina und Darm oder mittels Sonographie. Eine Magnetresonanztomographie entdeckt auch größere Läsionen. Den Goldstandard zur Diagnostik stellt die Laparoskopie dar, welche zugleich Biopsien und eine chirurgische Therapie erlaubt. Im Zuge eines weniger invasiven Vorgehens herrscht mittlerweile Konsens darüber, es zunächst medikamentös zu versuchen.
Progestagene bringen die Herde zum Schrumpfen
Die Behandlung selbst zieht sich meist bis in die Menopause. Kollegen müssen die aktuelle Situation ihrer Patientinnen regelmäßig prüfen und die Therapie entsprechend anpassen. Achten sollten sie auf Ort und Stärke der Schmerzen, auf Entzündungen, Organinfiltration oder Verwachsungen. Zudem gilt es, einen Kinderwunsch zu berücksichtigen. Dank spezieller Endometriosezentren kann die Betreuung interdisziplinär erfolgen. Als Arzneien der ersten Wahl listen Imboden und Mueller Progestagene wie Dienogest, durch welche die Herde bedeutsam schrumpfen. Alternativ wirken Ovulationshemmer auch analgetisch, jedoch stehen sie durch das enthaltene Östrogen in Verdacht, die Endometriose eher noch zu stimulieren. GnRH-Analoga bewirken zwar eine gute Atrophie, allerdings um den Preis von Menopausesymptomen.
Indikation zur Laparoskopie liegt besonders bei unerfülltem Kinderwunsch oder fortdauernden Beschwerden vor. Nach sorgfältiger Inspektion des Abdomens werden die Gewebsinseln herausgeschnitten. Ist das Septum rectovaginale befallen, raten Experten zur radikalen Exzision. Für 40 Prozent der Patientinnen wird sogar eine Darmteilresektion notwendig. Ziel ist die Rezidivprophylaxe, unterstützt durch eine meist langfristige Medikation. Nach Meinung der Schweizer Kollegen steht die Analgesie an erster Stelle. Neben nicht-steroidalen Antirheumatika zeigten komplementärmedizinische Methoden wie Entspannungstechniken, Beckenbodenphysiotherapie, Akupunktur und eine gesunde Ernährung besonders bei chronischen Schmerzpatientinnen positive Effekte. Sexuellen oder sozialen Problemen können die Betroffenen mit Psychotherapie und Selbsthilfegruppen begegnen.
Imboden S, Mueller M, Swiss Medical Forum 2017; 17: 654–659
Zyklische Schulterschmerzen
In den letzten Jahren häuften sich schwere Formen von Endometriose bei sehr jungen Frauen. Bei ihnen wird die Diagnose meist noch später als ohnehin gestellt. Fatal, denn gerade für sie ist eine frühe Behandlung wichtig, um einem chronischen Verlauf vorzubeugen und die Fertilität zu erhalten. Seltener kann eine Endometriose auch entfernte Lokalisationen befallen, etwa das Zwerchfell, von wo aus der gereizte Nervus phrenicus monatliche Schulterschmerzen auslöst. Auch die Haut kann betroffen sein oder der Brustraum in Form des katamenialen Pneumothorax. Im Falle der Haut sind bläulich schimmernde Läsionen oder subkutane Knoten insbesondere am Nabel und an Sectio-Narben zu erkennen. Der katameniale Pneumothorax geht mit Reizhusten und Schulterschmerzen während der Periode einher. Allgemein haben die Patientinnen zwar kein erhöhtes Krebsrisiko, es bestehen aber Assoziationen zu bestimmten Malignomen wie Non-Hodgkin-Lymphomen und endokrinen Tumoren, etwa klarzelligen Ovarialkarzinomen.