(Trauma-)Therapie mit Pferden
Im Therapiezentrum des Vereins „e.motion“ werden Kinder mit verletzten Seelen von zwei- und vierbeinigen Therapeuten aufgefangen und behutsam ins Leben zurückgeführt. Die pferdegestützte Traumatherapie ist mit allen Richtungen der Psychotherapie kompatibel. (Medical Tribune 07/18)
Baumgartner Höhe 1: Auf dem Areal der Gärtnerei des Sozialmedizinischen Zentrums Baumgartner Höhe/ Otto-Wagner-Spital, Wien, findet sich seit 2008 ein Therapiezentrum des Vereins „e.motion“. Geboten werden hier Pferdetherapien für Kinder und Jugendliche, die von Krankheit, Behinderung, Traumatisierung oder einem schwierigen sozialen Lebensumfeld betroffen sind. Vom Therapieraum des Tiergestützten Therapiezentrums aus sieht man durch ein großes Fenster direkt in die helle Pferdetherapiehalle. Am Nachmittag ist einiges los hier, vier Therapeutinnen sind beim Arbeiten mit Kindern und Pferden. Im Winter wird auch der beheizte Innen-Therapieraum für Begegnungen zwischen jungen Menschen mit schwerer Krankheit oder Behinderung und den Therapiepferden genutzt. „Selbst bei Patienten, die wegen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas monatelang im Wachkoma lagen, haben wir erlebt, wie sie erste bewusste Bewegungen gemacht haben, um ihr Therapiepferd zu streicheln“, erzählt Roswitha Zink. Die Zusammenarbeit mit Ärzten, Kliniken, Reha-Zentren und Selbsthilfegruppen funktioniere sehr gut. Eine Herausforderung sei hingegen die Finanzierung: Der Verein ist stets auf der Suche nach Therapiepaten und Menschen, die die Arbeit unterstützen.
Pferde werden in Therapie miteinbezogen
Ein Schwerpunkt von Roswitha Zink – selbst Sonder- und Heilpädagogin, Psycho- und Pferdetherapeutin – ist die pferdegestützte Traumatherapie. Gemeinsam mit der Schweizer Psychologin Dr. Karin Hediger hat sie Ende 2017 ein erstes deutschsprachiges Fachbuch zum Thema herausgegeben (siehe Buchtipp). „Wichtig ist uns, Pferdegestützte Traumatherapie nicht als neue oder eigenständige Therapieart zu definieren. Pferde werden in der Psychotherapie miteinbezogen, um Therapieziele zu erreichen, die vorab mit dem Patienten festgelegt wurden, ähnlich wie ein therapeutisches Rollenspiel oder gestalterische Techniken einbezogen werden können“, betont Zink . Und doch sei diese Methode wesentlich komplexer, da in einem triadischen Setting gearbeitet wird und die Pferde sich als lebendige Interaktionspartner aktiv in die Therapie einbringen.
Pferdegestützte Traumatherapie ist somit mit allen Schulen und Richtungen der Psychotherapie kompatibel. Was es braucht, ist eine fundierte Ausbildung von Therapeuten und Pferden. In Österreich ist das Kuratorium für Therapeutisches Reiten für die Qualitätssicherung verantwortlich. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Studien, die zeigen, dass die Pferdegestützte Traumatherapie bei Kindern wie auch bei Jugendlichen und Erwachsenen mit unterschiedlichsten Traumatisierungen positive Effekte auf eine große Palette an Symptomen zeigt: PTBS, Angst, Depression, Dissoziation, Stress etc. Wobei das Reiten nicht Bestandteil einer erfolgreichen Intervention sein muss. Allein die Interaktion zwischen Patient und Pferd, und deren Gestaltung durch den Therapeuten, scheint bei der Trauma-Bewältigung zu helfen.
„Hard to reach“-Patienten erreichen
Ein Mehrwert der pferdegestützten Traumatherapie ist, dass auch sogenannte „hard to reach“-Patienten erreicht werden können: Menschen die „therapiemüde“ sind oder keinen Zugang zu einem klassischen Trauma- Therapeutischen Setting finden. Menschen, die wenig Zugang zu ihrem Körper und ihren Emotionen haben. Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, keinen Zugang zu ihrer Sprache haben. Menschen, die Mühe haben, anderen Menschen zu vertrauen. „Dem Pferd kommt dann in der Traumatherapie eine ganz spezielle Rolle als sozialer Katalysator zu“, schildert Zink. Es sei Motivator, Vermittler und Beziehungspartner. Wobei das Pferd in allen drei Phasen der Traumatherapie einen wichtigen Beitrag leisten kann: zur Stabilisierung Betroffener, während der eigentlichen Trauma- Bearbeitung sowie zur Integration. Gleichzeitig kann der Einsatz des Pferdes auf drei unterschiedlichen Ebenen zum Tragen kommen: als Grundlage für die therapeutische Arbeit, in der Diagnostik und als konkrete therapeutische Technik. Die Pferde selbst werden in einer dreijährigen Ausbildung darin bestärkt, die Beziehungsqualität und damit den unbewussten emotionalen Ausdruck von Menschen zu lesen und auf diesen zu reagieren.
Konfrontation mit dem eigenen Körper
Das räumliche Setting in der pferdegestützten Therapie unterscheidet sich stark vom klassischen Setting in einem Praxisraum mit vier Wänden. Traumatisierte Patienten haben ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und Konstanz. Deshalb ist es sinnvoll, einen geschützten oder klar abgegrenzten Ort zum Arbeiten zur Verfügung zu haben. In halböffentlichen oder öffentlich zugänglichen Ställen kann das schwierig sein. Aus den Besonderheiten des räumlichen Settings ergeben sich jedoch auch Chancen, weiß Zink: Der Stall und der Paddock oder die Weide haben keinen „Therapiecharakter“. Für manche Patienten ist zudem ein großer Vorteil, nicht in einem Raum zu sitzen, sondern sich in der Natur oder Halle zu bewegen. Das hilft ihnen, nicht zu „erstarren“ und Selbstbestimmung zu erleben. Spezifisch für die Traumatherapie mit Pferden ist das hohe Ausmaß an Konfrontation mit dem eigenen Körper. Denn die Interaktion mit einem Pferd fordert das Wahrnehmen, Erleben und bewusste Einsetzen desselben. Dies fällt Menschen mit Traumafolgestörung häufig schwer.
Der Kontakt mit dem Pferd hilft ihnen, sich mit ihrem Körper auf eine wenig bedrohliche Weise auseinanderzusetzen. Denn in der Interaktion mit dem Pferd ist man auf einen Bewegungsdialog angewiesen, man kommuniziert ohne Worte – erklärt Zink. Diesen nicht-sprachlichen Dialog übersetze der Therapeut in Sprache. Er hilft dem Patienten, Muster in Bezug auf Gedanken, Gefühle und Verhalten zu entdecken, zu verbalisieren und zu reflektieren sowie dysfunktionale Aspekte darin zu verändern. Ein weiterer spannender Effekt ist: Pferde zeigen aufgrund ihrer Entwicklungsgeschichte eine hohe Fluchtbereitschaft. Auch das bietet großes therapeutisches Potenzial. Patient und Therapeut können erleben, wie Pferde ihre Angst bewältigen. Gemeinsam können sie Wege suchen, wie man Pferden helfen kann, mit ihrer Angst und ihren Fluchttendenzen umzugehen. Das gibt Impulse zum eigenen Umgang mit Furcht und Angst.
Dialog mit dem Pferd oder über das Pferd
Weiters kann das Pferd in der Psychotherapie viele verschiedene Rollen einnehmen. Es kann beobachtet, gestreichelt, gepflegt, geführt, geritten werden oder in einer freien Interaktion Beziehungspartner sein. In der Interaktion mit dem Pferd können junge Menschen z.B. lernen, Gefühle zu interpretieren, Kognitionen zu verändern oder neues Verhalten einzuüben. Oder es können Übungen im Rahmen eines Selbstsicherheitstrainings, eines Trainings sozialer Kompetenzen oder zur Schulung des Körpergefühls gemacht werden. Positive Nebeneffekte des Umgangs mit dem Pferd sind oftmals: Stolz, Respekt, Vertrauen, Entspannung, Rhythmisierung und ein breiteres Verständnis für die eigenen Emotionen und die eigene Biographie. Trotzdem ist der Einsatz eines Pferdes in der Psychotherapie kein Allheilmittel und nicht für alle Patienten geeignet, betont Zink abschließend. Von Patient zu Patient müsse neu überlegt werden, ob eine Pferdegestützte Therapie zielführend ist und ob keine medizinischen Kontraindikationen vorliegen. Der Verein „e.motion“ setzt selbst auch auf Studien und Projekte. Die Therapeutische und Pädagogische Leitung hat Dr. Thomas Stephensen, Professor für Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund Freud Privatuniversität, über. Er ist für die wissenschaftliche Betreuung und die Supervision der aktuell 14 Pferdetherapeuten verantwortlich. Ziel ist, die Pferdegestützte Therapie – basierend auf dem aktuellen Forschungsstand – stetig zu verbessern.
Praxissteckbrief
Verein e.motion – Equotherapie
Baumgartner Höhe 1, 1145 Wien
Standort Lichtblickhof
Steinbach 3, 3144 Wald
Tel.: 0680/441 48 49
www.pferd-emotion.at
Spendenkonto: BIC: BKAUATWW, IBAN: AT25 1200 0504 7256 0101
Buchtipp
Karin Hediger, Roswitha Zink: Pferdegestützte Traumatherapie.
Ernst Reinhardt Verlag 2017, ISBN 978-3- 497-02724-8, 162 Seiten, 25,60 €