Weg vom Ei, hin zum Tabakblatt
INFLUENZA – Jedes Jahr wieder die gleiche Zitterpartie: Wie gut schützt die Grippeimpfung wohl heuer? Warum es so schwierig ist, eine ideale Influenzavakzine zu entwickeln, war Thema am Impftag. (Medical Tribune 05/18)
Die Anforderungen, die Experten an eine ideale Influenzavakzine stellen, sind nicht gerade gering: Sie soll gut immunogen sein, also das Immunsystem dazu anregen, viele und vor allem schützende Antikörper zu produzieren. Dann soll die Schutzwirkung auch noch breit sein: Am besten sollte die Impfung vor allen Influenza-A- und -B-Viren inklusive der Driftvarianten schützen. Last but not least soll die Schutzwirkung auch noch möglichst lange anhalten. „Von dieser Wunschvorstellung sind wir im Moment jedoch noch weit entfernt“, hält Ing. Dr. Monika Redlberger-Fritz fest. Derzeit wird die Impfstoffzusammensetzung für die nächste Saison von der WHO immer schon im Februar beschlossen. Die Prognose, welche Viren in der nächsten Saison am ehesten kursieren werden, ist unterschiedlich zutreffend.
Zucker blockiert die Antikörperbindung
Im Mehrjahresvergleich schwanken die erzielten Schutzraten stark. Für H1 sind sie mit durchschnittlich 61 Prozent deutlich höher als für H3. Dort liegt die Schutzrate im Schnitt nur bei 33 Prozent. Dass Vakzine und zirkulierende Viren nur so wenig übereinstimmen, liegt zu einem guten Teil an den speziellen Eigenschaften des Influenzavirus (s. unten). Als RNA-Virus mit segmentiertem Genom kann es sich durch Antigendrift und Antigenshift besonders schnell verändern. Ein weiterer Faktor ist die Glykosylierung epitoper Bereiche: Durch Anlagerung von Zuckermolekülen an Aminosäuren im Kopfbereich des Hämagglutinins können Bindungsstellen sterisch blockiert werden, sodass bereits vorhandene Antikörper nicht mehr andocken können. H3-Viren haben zehn bis elf Glykosylierungsstellen im Kopfbereich des Hämagglutinins.
„Das ist einer der Gründe, warum es da zu einer schlechteren Ansprechrate kommt“, so Redlberger-Fritz. In welchem zeitlichen Rahmen Glykosylierungsstellen entstehen können, zeigt sich am H1: „Das neue H1, das seit 2009 zirkuliert, hatte zu Beginn gar keine Gylkosylierungsstelle und hat mittlerweile eine bekommen“, berichtet die Virologin. Dass sich das Virus so schnell verändert, macht die lange Produktionsdauer der Vakzine zu einem echten Problem. Dass Influenzavakzinen nicht schneller hergestellt werden können, liege an der veralteten Produktionsmethode, die nach wie vor auf der Virusvermehrung in Hühnereiern basiert. Dieser Produktionsweg nimmt zumindest 6 Monate in Anspruch. Für Redlberger-Fritz steht daher außer Frage: „Wir müssen von der Ei-Produktion weg.“ Alternativen könnten Zellkulturen oder Tabakpflanzen darstellen. Mit dem Einsatz von Zellkulturen lässt sich die Produktionsdauer auf 6 Wochen reduzieren.
Wenn Mediziner von Erbsünde sprechen
Doch nicht nur das Virus selbst, auch Eigenschaften unseres Immunsystems tragen dazu bei, dass der Grippeimpfschutz nicht immer optimal ausfällt. Eine besondere Rolle spielt dabei die sogenannte „Original Antigenic Sin“ (auf Deutsch „Antigenerbsünde“). Um diesen Mechanismus zu verstehen, muss man sich den Aufbau des Hämagglutinins näher ansehen. Es besteht aus einer Kopf- und einer Stammregion, wobei Erstere hochvariabel und Letztere weitgehend konserviert ist. Da sich jedoch im Kopfbereich die antigendominanten Stellen befinden, werden weit mehr Antikörper gegen den Kopf als gegen den Stamm gebildet. Kommt es zu einem erneuten Antigenkontakt, werden vor allem die Antikörper gegen die bereits „bekannten“ Epitope hochgefahren und wenig neue Antikörper gebildet. Wünschenswert wären Antikörper gegen die Stammregion, da diese ja hochkonserviert ist und somit eine hohe Kreuzprotektivität erreicht werden könnte. Nur mit der Stammregion zu immunisieren, funktioniert allerdings nicht, denn diese ist zu wenig immunogen. Künftig könnten Vakzinen mit chimären Antigenen in der Kopfregion Abhilfe schaffen. Doch auch langjährig wiederholte Auffrischungen zeigen Wirkung: Dadurch werden zwar viele Antikörper gegen die immundominante Kopfregion, aber, wenn auch in geringerem Maße auch solche gegen den Stamm gebildet. Das könnte erklären, wieso Geimpfte zwar oft trotzdem erkranken, aber häufig leichtere Verläufe haben und nicht hospitalisiert werden müssen.
Impftag 2018; Wien, Jänner 2018
Selektionsvorteil für Mutanten
Als RNA-Viren sind Influenzaviren besonders anfällig für „Kopierfehler“ während der Virusreplikation. Dabei kann es passieren, dass sich die Antikörperbindungsstellen durch zufällige Mutationen so verändern, dass die aufgrund vorangegangener Impfungen bereits vorhandenen Antikörper nicht mehr andocken können. Das verschafft den mutierten Viren einen Selektionsvorteil und sie breiten sich viel stärker in der Population aus. Das bezeichnet man als Antigendrift. Das Genom der Influenzaviren ist segmentiert. Wird eine Wirtszelle von zwei unterschiedlichen Influenza-Stämmen befallen, kann es zum Reassortment, also zu neuen Kombinationen der 8 Segmente kommen. Das ist der Mechanismus, der hinter der sogenannten Antigenshift steht. Ein prominentes Resultat eines solchen Reassortments ist das Influenza A(H1N1)pdm09-Virus, das 2009 so entstanden ist, berichtet Redlberger-Fritz und betont: „So entstehen neue Pandemieviren.“