23. Nov. 2017

Frauen werden oft nicht lege artis behandelt

FOTO: MONKEYBUSINESSIMAGES / ISTOCK

WELTDIABETESTAG – Diabetikerinnen erleiden mehr Herzinfarkte als zuckerkranke Männer. Mitschuld ist Zurückhaltung bei der Therapie. (Medical Tribune 46/17) 

Der Weltdiabetestag am 14. November war heuer dem Thema „Frauen und Diabetes“ gewidmet. Frauen leiden zwar nicht öfter an Diabetes als Männer, doch wenn sie betroffen sind, verlieren sie infolge der Erkrankung mehr Lebensjahre. Das liegt nicht zuletzt an der mangelnden Behandlung von Risikofaktoren und Komorbiditäten.

Same same …

Diabetikerinnen haben ein um 40 Prozent höheres relatives Risiko für einen Myokardinfarkt und ein 30 Prozent höheres Schlaganfallrisiko als zuckerkranke Männer. Sowohl internationale als auch österreichische Daten belegen, dass die Leitlinien bei Frauen nicht so konsequent eingehalten würden wie bei Männern, bemängelt Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Leiterin der Abteilung für Gendermedizin an der MedUni Wien und frischgebackene Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG). Sie stellt klar: „Für Frauen und Männer gelten die gleichen Zielwerte.“ Doch bei Frauen würden sowohl die HbA1c- als auch die LDL- und Blutdruck-Ziele seltener erreicht. Ein Faktor, der dafür sorgt, dass Frauen mit Diabetes schlechtere Karten haben als Männer, dürfte sein, dass das Verschreibungsverhalten der behandelnden Ärzte offenbar vom Geschlecht der Patienten beeinflusst wird. „Wenn weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren bestehen, bekommen Frauen seltener Statine, Aspririn und Herzmedikamente, die lege artis eigentlich gegeben werden sollten.“ Für Frauen gelte, ganz gleich wie für Männer: „Man darf nicht nur den Blutzucker anschauen, sondern muss auch den Blutdruck senken und das LDL-Cholesterin soll im Zielbereich sein.“

… but different

Einiges ist bei Frauen aber doch anders und bedarf spezieller Beachtung: Hormonelle Veränderungen in Pubertät, Schwangerschaft und Menopause können die Blutzuckereinstellung erschweren. „In der Pubertät ist die Insulinresistenz bei Mädchen stärker ausgeprägt als bei Buben“, hält die Expertin fest und ergänzt: „Generell haben Frauen öfter einen Brittle-Diabetetes.“ Die Arbeitsgruppe von Kautzky-Willer hat selbst Daten von Typ-2-Diabetikerinnen unter Basalinsulin-gestützter Therapie untersucht und herausgefunden, dass Frauen häufiger von Hypoglykämien betroffen sind. Teils handle es sich dabei sogar um schwere nächtliche Unterzuckerungen. Die Gendermedizinerin hat eine Erklärung dafür: „Die Dosis wird oft zu wenig an das Gewicht angepasst.“ Gerade bei schlanken Typ-2-Diabetikerinnen gelte es hier besonders vorsichtig zu sein. Bei der Auswahl eines geeigneten oralen Antidiabetikums sei zu beachten, dass Glitazone bei postmenopausalen Frauen das Frakturrisiko erhöhen können. Tritt in der Schwangerschaft kein Gestationsdiabetes (GDM) auf, ist therapeutischer Nihilismus keine gute Idee.

Beim oralen Glukosetoleranztest gilt: „Auch grenzwertig positive Befunde sind positive Befunde“, betont Ass. Prof. Priv.-Doz. Dr. Yvonne Winhofer-Stöckl, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der MedUni Wien und ÖDG-Vorstandsmitglied. Für sie steht außer Frage: Stoffwechselgesunde Frauen hätten keine 2-Stunden-Werte von knapp unter 140 mg/dl, sondern Werte, die weit von den Grenzwerten entfernt seien. Aufgrund der zunehmenden Adipositasprävalenz wird eine spezielle Form des GDM immer häufiger: und zwar ein GDM, der sich bereits in Frühschwangerschaft manifestiert. Auch abseits des GDM ist Diabetes in der Schwangerschaft ein immer wichtigeres Thema. Zwei von fünf Diabetikerinnen sind im reproduktionsfähigen Alter. Eine schlechte Blutzuckereinstellung während der Organogenese erhöht das Risiko für verschiedenste Fehlbildungen beim Kind. Für die ÖDG-Experten steht ganz klar fest: Die Schwangerschaft ist die Basis für die Gesundheit der nächsten Generation.

ÖDG-Pressegesprach; Wien, November 2017

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune