Fall der Woche: FSME-Impfung schnell noch nachholen?
Der Fall. Frau O. kommt mit ihrem 8-jährigen Sohn Tim zu Ihnen. „Tim klagt seit gestern über Kopf- und Nackenschmerzen und musste heute früh auch erbrechen. Außerdem hat er Fieber bekommen. Normalerweise würde ich mir nicht viel denken, aber vor ca. 10 Tagen ist er von einer Zecke gebissen worden, hier am Rücken.“ Sie deutet auf eine Stelle zwischen den Schulterblättern ihres Sohnes. „Ich bin nun total verunsichert, da er nicht FSME-geimpft ist, und wollte fragen, ob wir ihn jetzt noch nachimpfen können!“ Anamnestisch kein Erythema migrans beobachtet. Klinisch deutliche Nackenschmerzen eruierbar. MKP: 6-fach und MMR-Impfung erhalten. Cor und Pulmo: unauff. Abdomen: weich, unauff. Temp: 39,4°C, HF 120. Was antworten Sie Frau O. und welche Maßnahmen sind bzgl. Tim zu treffen? Geben Sie ihm jetzt die FSME-Impfung? (ärztemagazin 18/17)
„Der konkrete Verdacht einer Meningitis steht im Raum“
Dr. Claudia Wainke,
Hanusch Krankenhaus, Wien
Die Symptome des Jungen lassen die Alarmglocken schrillen, da der konkrete Verdacht einer Meningitis im Raum steht. Ich mache daher der Mutter, ohne sie unnötig zu beunruhigen, den Ernst der Lage klar und rate zu sofortiger Einweisung ins Krankenhaus mit dem Rettungsdienst. Aufgrund ihrer Nachfrage zur FSME-Impfung stelle ich klar, dass ohne weitere Abklärung nicht gesagt werden kann, ob es sich um die von ihr vermutete Frühsommer-Meningo-Encephalitis handle. Das hohe Fieber ist jedenfalls nicht unbedingt typisch für den Ausbruch der – wenn überhaupt symptomatisch – meist zweigipfelig verlaufenden und sich häufig erst subfebril manifestierenden FSME. Meningismus und Temperaturen bis zu 40°C sind üblicherweise Symptome des 2. Gipfels. Auf engen Körperkontakt sollte aufgrund der Möglichkeit einer Infektion mit u.a. Neisseria meningitidis verzichtet werden. Das einstweilige Ausbleiben neurologischer Symptome spricht für einen einstweilen nicht encephalitischen Verlauf. Jedenfalls ist die rasche Einweisung unerlässlich.
Es gilt, die Meningitis, viral oder bakteriell, stabil zu halten. Äußerst wichtig ist die rasche Diagnose mittels Nachweis spezifischer IgM und DNA (Lumbalpunktion). Der Titerverlauf muss engmaschig kontrolliert werden. Bei einer viralen Infektion stünde keine kausale Therapie zur Verfügung; bei bakteriellen Erregern müsste umgehend antibiotisch behandelt werden (z.B. Ceftriaxon, je nach Antibiogramm). Ich verunsichere Mutter und Kind keinesfalls durch verfrühte Spekulationen zu Ursache und Prognose. Überlegungen zur FSME-Impfung des Kindes sind jetzt hintanzustellen; sie ist nur nach völligem Abklingen des Infektes indiziert, und bei überstandener FSME wäre ohnehin eine Immunität zu erwarten. Wichtig ist – trotz des einstweiligen Ausbleibens eines Erythema migrans und unabhängig von Verlauf und Diagnose der Meningitis –, weiterhin auf Zeichen einer beginnenden Lyme-Borreliose zu achten; die Inkubationszeit beträgt median zehn Tage.
„Das Kind muss sofort ins Spital, um eine bakterielle Meningitis auszuschließen“
Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer,
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. f. Infektionen und Tropenmedizin, MedUni Wienm www.antibiotika-app.eu
Fieber, Kopf- und Nackenschmerzen sowie Erbrechen sind Alarmzeichen und bedürfen einer sofortigen Abklärung. Es sind zwar noch keine Hautveränderungen aufgetreten, aber die Verdachtsdiagnose einer bakteriellen Meningitis steht ebenfalls im Raum. Der Knabe ist nicht nur nicht gegen FSME geimpft, sondern leider auch nicht gegen Pneumokokken und Meningokokken. Das Kind muss sofort für die weitere Abklärung und entsprechende Therapie in das Spital gebracht werden, um eine bakterielle Meningitis auszuschließen. Es finden sich bei 90% der Patienten Fieber, bei 70% Hauteffloreszenzen, bei 65% Erbrechen, bei 55% Müdigkeit und bei 50% Nackensteifigkeit, zumindest drei davon treffen zu. Wenn der Anfahrtsweg länger ist, sollte zunächst die erste Ceftriaxon-Infusion verabreicht werden, insbesondere dann, falls schon Hauteffloreszenzen (Petechien) vereinzelt zu sehen sind. Dann besteht hoher Verdacht auf eine bakterielle Meningitis.
Eine klinisch manifeste FSME-Infektion ruft nach einer durchschnittlichen Inkubationszeit von acht (3–28) Tagen grippeähnliche Symptome hervor, die neben Fieber und Kopfschmerzen auch Erbrechen beinhalten können. An Phase 1 schließt sich nach einem symptomfreien Intervall etwa sieben Tage später die zweite Phase an, die von einer milden Meningitis bis zu einer schweren Enzephalitis geprägt ist. Eine symptomatische Therapie steht nicht zur Verfügung. Eine FSME-Infektion hinterlässt bei etwa einem Drittel der Patienten langdauernde Folgeschäden. Eine sofortige FSME-Impfung wird nicht empfohlen, sondern erst vier Wochen nach dem Zeckenstich. Hintergrund ist, dass die sofortige Impfung keinen Schutz mehr bei einer floriden Infektion bietet, jedoch die Diagnostik erschwert. Die Gabe eines Hyperimmunglobulins ist nicht vorgesehen bzw. nicht mehr erhältlich. Bei Vorliegen einer Teilimpfung kann in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der 1. Teilimpfung und dem Intervall zwischen Zeckenstich und Arztbesuch die zweite Teilimpfung sofort verabreicht werden (siehe Öster. Impfplan 2017). Die FSME-Impfungen sollten ehestmöglich, das heißt vier Wochen nach dem Zeckenstich, nachgeholt werden.
„Die Frage nach der FSME-Impfung muss aktuell klar verneint werden“
Dr. Marton Széll,
FA f. Innere Medizin, FA f. Infektiologie und Tropenmedizin, Wien, www.dietropenordination.at
Der 8-jährige Bub klagt über Symptome, die einen Arzt in erster Linie an eine Meningitis denken lassen. Dazu passend berichtet die Mutter von einem Zeckenstich, etwa zehn Tage zuvor und von der fehlenden FSME-Immunisierung. Angesichts der Inkubationszeit der FSME von wenigen Tagen bis zu drei Wochen würde dies auf jeden Fall den Verdacht auf diese Infektion lenken. Klinisch verläuft die Erkrankung jedoch meist zweigipfelig, dies lies sich anscheinend nicht so von der Mutter erheben. Es bestehen außerdem (noch) keine enzephalitischen Symptome oder neurologischen Ausfälle. Über etwaige Petechien wird in dem Fall auch nicht berichtet. Eine weitere Abklärung ist nur im Krankenhaus möglich, neben dem Labor mit der FSME-Serologie und der PCR auf das Virus ist bei Verdacht auf das Vorliegen auf eine Meningitis die rasche Durchführung einer Lumbalpunktion obligat. Die Einweisung in ein Krankenhaus sollte daher zeitnah erfolgen.
Letztlich wären die Symptome des Jungen auch mit einer bakteriellen Meningitis (zum Beispiel mit einer Meningokokkenmeningitis) kompatibel, weshalb entsprechend schnell die Diagnose auf den Punkt gebracht werden muss. Sollte eine Verzögerung in der Diagnostik (zum Beispiel wegen eines langen Anfahrtsweges zu einer Kinderabteilung) zu erwarten sein, wäre laut den Richtlinien der Start einer antibiotischen Therapie bereits präklinisch indiziert. Die von der Mutter gestellte Frage nach der FSME-Impfung zum jetzigen Zeitpunkt muss klar verneint werden. Laut Österreichischem Impfplan sollen Impfungen nicht während eines hochfieberhaften Infektes durchgeführt werden, außerdem käme die Impfung bereits zu spät nach Ausbruch einer FSME-Erkrankung. Für den Fall, dass es sich nicht um eine FSME handelt, kann frühestens erst nach vier Wochen nach dem Zeckenstich mit der Grundimmunisierung begonnen werden. Sollte der Bub jedoch tatsächlich an FSME erkrankt sein, ist von einer lebenslangen Immunität gegen diese Krankheit auszugehen. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Zecke „Läuse und Flöhe“ hatte, daher neben dem FSME-Virus auch Borrelien übertragen hat. Daher soll die Stichstelle noch weiter bezüglich eines Auftretens von Erythema migrans kontrolliert werden.