18. Okt. 2017

Schrittweise Diagnose des Lymphödems

LEITLINIE – Wenn ein Patient mit einer chronischen Bein- oder Armschwellung in der Praxis erscheint, sollte man auch an ein Lymphödem denken. Eine aktuelle Leitlinie erläutert, wann in solchen Fällen eine klinische Diagnostik genügt und wann apparative Verfahren gebraucht werden. (Medical Tribune 41/17)

Beim Lymphödem unterscheidet man zwei Formen: primär und sekundär. Das primäre Ödem ist zwar genetisch bedingt, kann sich aber auch erst im späteren Alter manifestieren. Die Mehrzahl der Lymphödeme entsteht jedoch sekundär durch eine Unterbrechung der Drainage etwa bei einer Axilladissektion wegen Brustkrebs. Auch ohne einen zuvor bekannten Tumor ist jedes Lymphödem krebsverdächtig. Denn ein Befall von Lymphknoten und -gefäßen behindert den Abfluss massiv, heißt es in der S2k-Leitlinie, die unter Federführung der Gesellschaft deutschsprachiger Lymphologen (GDL) und Mitarbeit mehrerer österreichischer Gesellschaften erstellt worden ist.

Erysipele und Pilze durch gebremste Immunzellen

Anhand der Symptome lässt sich das Lymphödem in vier Stadien einteilen. Während das Latenzstadium (0) noch klinisch unauffällig ist, zeichnet sich das spontan reversible Stadium I durch vermehrte interstitielle Flüssigkeit und weiche Konsistenz aus. In fortgeschrittenen Stadien (II, III) kommt es zu einer Verdickung von Kutis und Subkutis und zu trophischen Veränderungen der Epidermis, z. B. Hyperpigmentierung oder Elefantenhaut. Die Ödeme dieser Stadien lassen sich nicht durch Hochlagern reduzieren. Die gestörte Immunabwehr führt unter anderem öfters zu Erysipelen und Pilzinfektionen. In den meisten Fällen genügt eine Basisdiagnostik mit gründlicher Anamnese, Inspektion und Palpation zur klinischen Einschätzung. Die Anamnese beinhaltet unter anderem Fragen zu:

  • familiär gehäuften Lymphödemen
  • Operationen
  • Vorerkrankungen einschließlich abgelaufener Entzündungen, z. B. Erysipel, Erythema migrans, Zeckenstiche
  • Hautveränderungen
  • Medikation (u. a. Diuretika, Chemotherapie, neurotope Medikamente, Hormonpräparate, Ca-Antagonisten, Glitazone)
  • Gewichtsschwankungen
  • Unfällen
  • Auslandsaufenthalten
  • spezieller Ödemanamnese (Erstlokalisation, Ausbreitung, Begleitsymptome, z. B. Schmerz, Hämatomneigung, Flüssigkeitsaustritt) .

Der Patient sollte außerdem alle relevanten Vorbefunde zumindest von den letzten drei Jahren mitbringen. Die Autoren raten, während der Inspektion – im Stehen und Liegen – auf eine Umfangs- und Längendifferenz der Extremitäten (Hemihypertrophie) zu achten. Zudem gilt es, nach typischen (potenziell malignen) Hautveränderungen wie Lymphzysten, vertieften Falten oder einer Kastenform der Zehen zu suchen, ebenso nach venösen Auffälligkeiten.

Weich, elastisch, derb oder hart?

Die Palpation gibt Auskunft über den Zustand der Lymphknoten, also z. B. Größe, Konsistenz, Verschieblichkeit, Druckdolenz, und der Konsistenz des Ödems – von teigig-weich über prall-elastisch, derb-fibrotisch bis hart-induriert. Mit dem Fingerdruck kann man die Eindellbarkeit bzw. ausdrückbare Lymphzysten prüfen. Als hilfreich hat sich auch das Stemmer-Zeichen erwiesen. Dabei lässt sich die Haut an der proximalen Phalanx von Fingern bzw. Zehen des zweiten und/oder dritten Strahls nicht oder nur vermindert abheben. Die Leitlinie umfasst in ihrem Anhang Checklisten für die Basisdiagnostik (Anamnese, Inspektion, Palpation und Bewertung). Die Basisdiagnostik ermöglicht in der Regel eine zuverlässige Beurteilung von Ätiologie, Stadium und Lokalisation des Lymphödems. Außerdem liefert sie Hinweise auf Einschränkungen im Alltag, z. B. Schmerzen, Spannungsgefühl oder verringerte Beweglichkeit. Wenn keine relevanten Begleiterkrankungen und mindestens Stadium II vorliegen, kann man nun eine Therapie einleiten. Eine weiterführende ist jedoch u. a. indiziert bei:

  • Frühstadium
  • Verdacht auf thorakale/ abdominelle Beteiligung
  • kardialer Komorbidität
  • kombinierter Genese
  • OP-Planung.

Einsatz von Sonografie und Szintigrafie

Als morphologisches Verfahren kommt z. B. die Sonografie in Betracht. Sie dient vor allem dem Nachweis interstitieller Flüssigkeit und sekundärer Gewebeveränderungen (z. B. Fibrose) sowie der Lymphknotendiagnostik und der Differenzierung vom Phlebödem. Auch zur Therapie- und Verlaufskontrolle eignet sich der Ultraschall, die Diagnose im frühen Erkrankungsstadium ist dagegen meist nicht möglich. Die Funktionslymphszintigrafie erlaubt die Quantifizierung des Lymphtransports. Man setzt sie vorwiegend zum Nachweis von Stadium 0 oder I und bei Extremitätenschwellungen unklarer Genese ein, aber auch zur Planung mikrochirurgischer Eingriffe. Da der Lymphfluss unter Ruhebedingungen zu langsam ist, wird er z. B. durch Gehen auf einem Laufband (Beine) oder rhythmischen Faustschluss (Arme) aktiviert. Die MRT hat sich als diagnostischer Goldstandard zum Nachweis lymphatischer Malformationen etabliert.

Fett oder Lymphe?
Das Lymphödem unterscheidet sich vom Lipödem, bei dem es zu einer symmetrischen, druck- und schmerzempfindlichen Akkumulation von Fettgewebe kommt, meist an Hüfte und Oberschenkel. Das Lymphgefäßsystem ist primär nicht betroffen, erst im fortgeschrittenen Stadium kann es zu einem Lipolymphödem kommen.

Lesen Sie nächste Woche: 5 Komponenten zum Entstauen von Lymphödemen 

S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Lymphödeme“, AMWF-Reg.-Nr. 058-001

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune