29. Juli 2017

Tiroler Forscher auf Höhenflug

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Welche Rolle spielen die Mitochondrien bei der Anpassung an Höhe? Wissenschaftler der Innsbrucker Uniklinik haben sich im Everest Base Camp in Nepal auf Spurensuche begeben. Auf 5300 Metern haben sie auch einige zutiefst menschliche Erkenntnisse gewonnen. (Medical Tribune 29/2017)

Außerhalb der Himalaya-Region sind Sherpas vor allem durch eines bekannt: Schier mühelos scheinen sie schwere Lasten die Hänge des Mount Everest hochzutragen. Neben ihnen schleppen sich aus aller Welt angereiste Touristen unter Aufbietung der letzten Kräfte in Karawanen gipfelwärts – ganz ohne Gepäck, dafür allerdings meist mit Sauerstoffmasken. Doch was haben die Sherpas den keuchenden Touristen voraus? Es ist nicht alleine die individuelle Fitness, die die Mitglieder des nepalesischen Bergvolks von den ambitionierten Wanderern aus flacheren Gebieten unterscheidet. Auch im Zellstoffwechsel finden sich einige Besonderheiten. Genau diesen wollte ein internationales Forscherteam unter Tiroler Beteiligung auf den Grund gehen.Die dabei gewonnenen Erkenntnisse könnten auch zum besseren Verständnis von Hypoxie, wie sie auch im Rahmen von Narkosen sowie bei Herz- und Lungenerkrankungen auftritt, beitragen.

Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, haben Univ.-Prof. Dr. Erich Gnaiger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsklinik für Visceral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie, LKH Innsbruck, schon länger in ihren Bann gezogen. Gnaiger forscht intensiv auf dem Gebiet der mitochondriellen Physiologie und hat mit seiner eigenen Firma Oroboros Instruments sogar selbst Geräte für die hochauflösende Messung der Zellatmung entwickelt. Für das aktuelle Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse Mitte Juni im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ publiziert wurden*, hat er mit seinem Team die Rolle der Mitochondrien in der Anpassung an die Höhe untersucht. Spezielles Augenmerk galt den Unterschieden zwischen über viele Generationen genetisch höhenangepassten Menschen und Flachlandbewohnern.

Dazu haben die Forscher sowohl von Sherpas als auch von europäischen Probanden Muskelbiopsien zuerst auf niedriger Seehöhe genommen – von den Flachlandbewohnern in London, von den Sherpas auf 1400 Metern in Kathmandu. Im Anschluss wurden alle Versuchspersonen in einem langsamen Prozess über acht Tage von Kathmandu zum Everest Base Camp geführt. Nach ein paar Tagen der Akklimatisierung wurden wieder Muskelbiopsien genommen und direkt vor Ort untersucht. Die Proben einfach einzufrieren und mitzunehmen war keine Option, denn: „Das Einfrieren schädigt die Membranen zu sehr. Mitochondrien können nur an frischem ungeschädigten Gewebe untersucht werden“, erklärt Gnaiger. Daher musste nicht nur die persönliche Ausrüstung der Expeditionsteilnehmer, sondern auch die Laborausstattung auf 5300 Meter gebracht werden. Wie aufwendig das war, veranschaulicht Gnaiger: „Es hat 280 Yaks gebraucht, um das Base Camp für die wissenschaftliche Arbeit aufzurüsten.“

Kleine Unterschiede, große Wirkung

Im Gegensatz zu den spektakulären Eckdaten der Expedition lehren die Ergebnisse wohl eher Bescheidenheit. „Es hat relativ geringe Unterschiede in der mitochondrialen Funktion zwischen all diesen Gruppen, also auf Meereshöhe, in Kathmandu und im Everest Base Camp gegeben“, berichtet Gnai­ger und erklärt: „Das zeigt, dass die mitochondriale Funktion sehr konserviert, also keinen großen Änderungen unterworfen ist. Auch bei Krankheiten genügen schon kleinste Änderungen, um eine Pathologie in Erscheinung zu bringen.“ Für den Forscher ist klar: „Diese kleinen Änderungen erfordern erstens hohe Messgenauigkeit, dass man sie überhaupt entdeckt. Und es zeigt uns, wie entscheidend kleinste Veränderungen in der Effizienz der Energieversorgung sind.“

Auch wenn man erwarten würde, dass in großer Höhe eine hohe Anzahl an Mitochondrien vorteilhaft wäre, sei eben genau das nicht der Fall, stellt Gnaiger klar und zieht einen Vergleich: „Auch ein Formel-1-Wagen wird nicht gut funktionieren in der großen Höhe.“ Ebenso sei auch ein Hochleistungsausdauersportler, der mit hoher mitochondrieller Dichte versorgt ist, nicht gerade prädestiniert für einen möglichst ökonomischen Umgang mit Energie und Sauerstoff. Genau das sei der springende Punkt, hält Gnaiger fest, denn „Ökonomie ist das Stichwort. Nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern der ökonomische, effiziente Umgang mit der Energie ist entscheidend.“ Und genau in diesem Bereich konnten die Forscher mittels hochauflösender Respirometrie Unterschiede zwischen Sherpas und der Flachlandbevölkerung feststellen: Bei den Sherpas zeigte sich eine höhere Effizienz in der mitochondriellen Kopplung, was auf eine effizientere Sauerstoffnutzung rückschließen lässt.

Nicht nur die wissenschaftliche Arbeit verlangte den Expeditionsteilnehmern einiges ab. Die Temperaturen schwankten im Tagesverlauf zwischen minus und plus 20 Grad – Bedingungen, unter denen das Wort „Laborhandschuhe“ ganz neue Bedeutung bekäme, schmunzelt Gnaiger. Für kleine Unachtsamkeiten bezahle man schnell Lehrgeld: „Wir haben beispielsweise destilliertes Wasser verloren, weil wir vergessen haben, einen Glaszylinder in eine Plus-vier-Grad-Wärmetonne zu stellen“, berichtet der Forscher. Das „Labor“ selbst war in einem Zelt untergebracht. Darin mussten sich die unterschiedlichen Arbeitsgruppen den sehr knappen Platz teilen. „Unter diesen Bedingungen werden Befindlichkeiten und vielleicht sogar kulturelle Unterschiede sehr gewichtig“, drückt es Gnaiger vorsichtig aus und erzählt: „Manche Expeditionen scheitern auch am psychologischen Druck.“ Auf der anderen Seite sei es auch „fantastisch“ mitzuerleben, wie Teams Krisen meistern und angesichts der physischen und psychischen Herausforderungen sogar zusammenwachsen. Besonders erfreulich sei gewesen, dass die eigenen Geräte unter den Extrembedingungen tadellos funktioniert haben, berichtet Gnaiger nicht ohne Stolz.

Die Rückkehr in die Zivilisation habe danach einen ganz besonderen Reiz, wie der Zellphysiologe veranschaulicht: „Worüber man gar nicht spricht, ist, wie wunderschön die erste Dusche ist, wenn man nach drei Wochen im Zelt, teilweise minus 20 Grad und sehr geringen Mengen an Wasserversorgung wieder herunterkommt.“ Für den Innsbrucker Wissenschaftler war das nicht die erste Expedition. Er kann bereits auf einige Erfahrung in Forschungsarbeit an außergewöhnlichen Orten zurückblicken: „Ich war in Bolivien mit einer amerikanischen Gruppe auf 5200 Metern und auch schon im nördlichsten Lebensraum der Inuit Grönlands.“ Auch in Manaus am Amazonas hat er schon den Zellstoffwechsel untersucht und genauso auch in einer zu einem Labor umgebauten Hundehütte in Alaska. Für das Team um Gnaiger war das trotz aller Herausforderungen sicher nicht die letzte Expedition. „Wir reden davon, dass wir auch mal ins All gehen wollen“, so der Forscher, „aber das wird wohl noch einige Schritte erfordern.“

* DOI: 10.1073/pnas.1700527114

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune