„Wir brauchen neue Impfstoffe“
Neue Vakzine gegen Influenza und Keuchhusten werden dringend gesucht. Das ist ein Fazit vom First-Come-Together-Seminar der heuer neu gegründeten Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie (ögVak). Auch Produktionsverfahren sollen verbessert werden. (Medical Tribune 25/2017)
Nicht alle Impfstoffe erreichen die gewünschte Wirksamkeit. Dies ist – neben mangelnder Impffreudigkeit – ein Grund dafür, dass die Infektionsraten beim Keuchhusten in den letzten Jahren kontinuierlich ansteigen. Und bei der Influenza-Impfung ist die schlechte Wirksamkeit wohl der Hauptgrund dafür, dass diese Impfung nur in sehr bescheidenem Maß angenommen wird.
„Brauchen wir neue Impfstoffe?“ war daher der Titel des First-Come-Together-Seminars der neu gegründeten Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie (ÖgVak), das im April im Rahmen der Europäischen Impfwoche in Wien über die Bühne ging. Die Antwort – zumindest in Bezug auf die beiden genannten Krankheiten – lautete natürlich: ja.
Auf der Suche nach neuen Influenza-Impfstoffen
„Von einer Influenza-Impfung erwarten wir eine gute Immunogenität sowie eine breite und lang anhaltende Schutzwirkung“, bekräftigt Dr. Monika Redlberger-Fritz vom Zentrum für Virologie der MedUni Wien und bedauert: „Das haben wir aber nicht.“ Sie nennt zwei Hauptursachen für die schlechte Schutzwirkung der verfügbaren Influenza-Totimpfstoffe: die genetische Variabilität der Influenza-Viren und die lange Dauer der Impfstoffproduktion auf Basis von Hühnereiern, eine bereits in den 1930er Jahre etablierte Technik, die mindestens sechs Monate in Anspruch nimmt.
An der Verkürzung der Produktionsdauer durch andere Produktionsverfahren wird bereits gearbeitet, etwa an zellkulturbasierten Impfstoffen. In den USA wird der Einsatz rekombinanter Impfstoffe erprobt. Auch die Entwicklung virusartiger Partikel (virus-like particles, VLP), also Virushüllen ohne genetische Information, ist im Gange. Gesucht wird auch nach einem Impfstoff, der nicht nur gegen einen, sondern mehrere Influenzatypen und -subtypen wirkt. Die Grundidee ist, dass die in der Impfung enthaltenen Antikörper an anderen Stellen des Virus ansetzen. Dasjenige Protein, das vom Immunsystem des Wirtes erkannt wird, ist das Hämagglutinin, eines der drei integralen Membranproteine des Influenzavirus.
Das Hämagglutinin ist eine nach außen ragende Struktur (Peplomer) mit einem Stiel und einem Kopf, mit der Form eines Schwammerls vergleichbar. Um der Immunabwehr zu entkommen, kommt es ständig zu Mutationen an der Außenseite des Hämagglutinin-Peplomers, vor allem an dessen Kopf. Genau das ist die Stelle, an der die gängigen Impfstoffe ansetzen – bzw. scheitern –, weil sie nicht auf die spezielle Mutation des Hämagglutinin-Kopfes ausgerichtet sind. Daher die Idee, mit einem Antikörper nicht am Kopf, sondern tiefer unten anzusetzen. „Der Stamm des Hämagglutinins ist kaum einem Genshift unterworfen“, erläutert Redlberger-Fritz. Ein Impfstoff, der hier ansetzt, könnte daher seine Wirkung bei einem breiteren Spektrum von Virenstämmen entfalten.
Künftiger Pertussis-Impfstoff soll schon vor Infektion schützen
Auch in Sachen Pertussis-Impfung wird nach neuen Wegen gesucht. „Der heute in ganz Europa eingesetzte azelluläre Pertussis-Impfstoff schützt vor der Krankheit, nicht aber vor der Infektion“, betont Dr. Camille Locht, Leiter des Zentrums für Infektion und Immunität am Institut Pasteur in Lille in Frankreich. In den USA zum Beispiel sei es in den 2010er-Jahren zu einem exponentiellen Anstieg der Inzidenz der Pertussis gekommen – bei gleichbleibenden Impfraten. Eine vergleichbare Tendenz macht sich auch in Österreich bemerkbar: Wurden im Jahr 2014 insgesamt 339 Keuchhustenfälle gemeldet, waren es im Vorjahr 1165 Erkrankungen. „Für einen Großteil der in einigen Ländern beobachteten zunehmenden Verbreitung der Pertussis sind wohl asymptomatische Infektionen verantwortlich“, ist Locht überzeugt.
Der französische Forscher und sein Team arbeiten seit Jahren an der Entwicklung einer aus abgeschwächten Pertussis-Erregern bestehenden Vakzine namens BPZE-1, die als Nasenspray appliziert werden kann. Nach einer Erprobung an Pavianen und in anderen Tiermodellen konnte in einer frühen Phase der klinischen Prüfung am Menschen eine Bildung von schützenden Antikörpern bei bis zu 90 Prozent der Probanden nachgewiesen werden. Die bisherigen Ergebnisse legen nahe, dass BPZE-1 nicht nur vor der Erkrankung, sondern auch vor der Pertussis-Infektion schützt.