Parodontitis behandeln, HbA1C senken

Obwohl Diabetiker besonders häufig unter Entzündungen des Zahnhalteapparats leiden, wird diese Komorbidität nicht selten ­vernachlässigt. ­Dabei verbessert eine parodontale Therapie nicht nur die Zahngesundheit, sondern auch die Stoffwechselkontrolle. (Medical Tribune 1-3/2017)

Parodontitis ist weltweit die sechshäufigste chronische Erkrankung. Aber so richtig ernst genommen werden Zahnfleischbluten und Zahnfleischschwund von den meisten Menschen nicht: sicher lästig und unangenehm, aber doch nicht gefährlich? Ein Blick in die Literatur belehrt eines Besseren: Parodontitis ist nicht nur die häufigste Ursache für Zahnverlust ab dem 35. Lebensjahr, sondern erhöht unter anderem auch das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, Frühgeburtlichkeit und Typ-2-Diabetes.

Diabetes und Parodontitis: ein gefährliches Duo

Welche dramatischen Auswirkungen die Koinzidenz von Dia­betes und Paro­dontitis hat, zeigte eine Studie an 628 Pima-Indianern mit Diabetes mellitus: „Wenn die Betroffenen zusätzlich noch eine schwere Parodontitis hatten, stieg ihr Risiko, an einer ischämischen Herzkrankheit zu versterben, um das 2,3-Fache“, berichtet Dr. Corinna Bruckmann, Leiterin des Prophylaxecenters der Universitätszahnklinik Wien. „Todesfälle durch diabetische Nephropathien waren in der Parodontitisgruppe sogar 8,5-mal häufiger.“

Dass Diabetiker häufiger unter einer Parodontitis leiden, bestätigte 2011 eine Metaanalyse von 49 Studien: Sowohl die Prävalenz als auch der Schweregrad und die Progression der Parodontitis waren mit dem Vorliegen eines Diabetes und der Qualität der Blutzucker-Einstellung assoziiert. Verantwortlich dafür dürfte das Zusammenspiel verschiedener pathogenetischer Mechanismen sein: Zum einen führen erhöhte Spiegel von Advanced-Glycation-Endproducts (AGEs) zu einer verstärkten Chemotaxis und Rekrutierung von Entzündungszellen im parodontalen Gewebe. Neben einer generell erhöhten Entzündungsneigung weisen Diabetiker aber auch eine verzögerte Heilung auf. Zudem trägt das bei vielen Diabetikern vermehrte Bauchfett als endo­krines Organ durch die Ausschüttung von proinflamma­torischen Zytokinen zum chronischen Entzündungsprozess bei.

Die Beziehung zwischen Diabetes und Parodontitis ist übrigens keine einseitige: Nicht-Diabetiker mit schwerer Parodontitis haben im Schnitt höhere Blutzuckerspiegel und ein erhöhtes Risiko, an Diabetes zu erkranken. In der japanischen Hisayama-Studie entwickelten normoglykämische Personen mit tiefen parodontalen Taschen innerhalb von zehn Jahren signifikant häufiger eine gestörte Glukosetoleranz als die Kontrollgruppe mit gesundem Zahnfleisch.

Parodontale Therapie verbessert auch Stoffwechselkontrolle

Bei einer ausgeprägten Parodontitis ist die Wundfläche etwa so groß wie die Handinnenfläche des Patienten. Durch Ausräumen der Zahnfleischtaschen und Reinigen der Zahnwurzel­oberfläche versucht man zu erreichen, dass sich das Zahnfleisch wieder an den Zahn anlegt und die Wundfläche möglichst klein wird oder im Idealfall sogar verschwindet. Parodontale Therapie hat nichts mit professioneller Zahnreinigung zu tun: „Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe“, betont die Expertin.

„Parodontale Therapie ist eine Therapie in der tiefen Tasche. Da fließt bei einer starken Entzündung auch mächtig Blut!“ Durch die Behandlung erhöht sich nicht nur die Chance, die Zähne länger zu erhalten, sondern es verbessert sich auch die Stoffwechselkontrolle. In sieben Interventionsstudien mit insgesamt über 500 diabetischen Patienten konnte durch die parodontale Therapie eine mittlere Senkung des HbA1c-Spiegels um 0,4 Prozent erreicht werden.

Um zu verdeutlichen, was dieser Effekt für die Prognose des Diabetes bedeutet, zog Bruckmann den Vergleich mit zwei bekannten Studien: „In der UK Pro­spective Diabetes Study führte die Senkung des HbA1c um ein Prozent zu einer 35-prozentigen Verminderung diabetischer Komplikationen. In der Norfolk Diabetes Prevention Study konnte durch eine Verbesserung des HbA1c um 0,2 Prozent eine Verringerung der kardiovaskulären Mortalität um 10 Prozent erreicht werden.“

Mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit

Trotz dieser schon länger bekannten Zusammenhänge zwischen Glukosestoffwechsel und Parodontitis wird der Gesundheit des Zahnfleisches in der Diabetestherapie nach wie vor viel zu selten Beachtung geschenkt. „Im Österreichischen Diabetesbericht 2013 finden sich kein einziges Mal die Worte Zahn, Zahnfleisch, Zahnfleischentzündung oder Zahnarzt“, kritisiert Bruckmann.

Die Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie erklärt, wie eine ideale Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Internisten und Allgemeinmedizinern aussehen könnte: Bei der Erstdiagnose eines Diabetes mellitus sollten die Patienten vom behandelnden Arzt auch über den Zusammenhang von schlecht eingestelltem Diabetes und Parodontitis und die Bedeutung der täglichen häuslichen Mundhygiene aufgeklärt werden. Ebenso wichtig ist es, neu­diagnostizierte Diabetiker zum Zahnarzt zu schicken, um einen parodontalen Befund erheben zu lassen. Findet sich eine Parodontitis, sollte diese bei Diabetikern unbedingt behandelt und regelmäßig kontrolliert werden. Ist das Zahnfleisch unauffällig, reichen jährliche Kontrollen beim Zahnarzt.

Bruckmann nimmt aber auch ihre Fachkollegen in die Pflicht: Diagnostiziert der Zahnarzt eine Parodontitis, sollte er umgekehrt auch an der Zuckerstoffwechsel denken. Hat der Patient bereits einen bekannten Diabetes und ein HbA1c > 7 Prozent, wird empfohlen, ihn mit dem Ziel einer Verbesserung der Einstellung an einen Diabetologen überweisen. Auch wenn kein Diabetes bekannt ist, jedoch zusätzliche Risikofaktoren vorhanden sind, sollte eine Überprüfung der Blutzuckerwerte veranlasst werden.

ÖDG-Jahrestagung; Salzburg, November 2016

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune