28. Okt. 2016

Eine Reisediarrhoe?

„Jenny möchte, dass ich übersetze, da sie noch nicht so gut deutsch spricht. Sie ist Austauschschülerin aus Sydney und erst seit 2 Tagen bei uns, aber es geht ihr gar nicht gut“, schildert Ihnen Anna (16 J.) die Probleme ihrer Freundin (16 J.). „Sie ist direkt vom Familienurlaub aus Afrika zu uns gekommen. Am Abend ihrer Ankunft hat sie ganz plötzlich Bauchschmerzen bekommen mit Durchfall. Sie muss mindestens einmal die Stunde auf die Toilette, und Fieber hat sie auch, erbrechen muss sie nicht. Inzwischen ist sie schon recht schlapp. Was fehlt ihr denn?“ Jenny sieht tatsächlich sehr mitgenommen und blass aus. Die Lippen sind trocken und rissig, Hautturgor unauffällig, Stuhl: wässrig und farblos. Abdomen: druckschmerzhaft, mit deutlich lebhaften Darmgeräuschen, ansonsten keine Auffälligkeiten. BB: unauffällig, RR 110/70, P 95, Temp. 38,7°C. Woran leidet Jenny am wahrscheinlichsten, und wie können Sie der jungen Dame helfen?

„Primär ist an eine akute infektiöse Diarrhoe zu denken“

Doz. Dr. Bernhard Angermayr, 
FA f. Innere Medizin & Gastroenterologie, Leiter von „ärzte im zentrum St. Pölten“
Entscheidend ist eine ausführliche Anamnese: wo war Jenny in Afrika, sind Mitreisende erkrankt, was ist farbloser Stuhl (wässrig? acholisch?) …? Die Erstanamnese führe ich immer direkt mit meinen Patienten durch, im vorliegenden Fall auf Englisch ohne Übersetzerin. Aufgrund der Symptomatik Fieber, Bauchschmerzen, Diarrhoe und der Reiseanamnese ist primär an eine akute infektiöse Diarrhoe zu denken. Für eine virale Genese spricht der wässrige Durchfall, für eine bakterielle Ursache das Fieber. Gegen eine parasitäre Diarrhoe spricht das Fieber (z.B. Giardia).

Eine Stuhldiagnostik (inkl. 3 verschiedene Stuhlproben für Parasitendiagnostik) sowie eine Blutabnahme (inkl. CRP, Leber- und Nierenwerte sowie Malariadiagnostik wie z.B. gefärbter Blutausstrich, Schnelltest, PCR) erfolgen im Rahmen des Erstbesuchs. Ich empfehle eine orale Rehydratationstherapie, die Verordnung einer antibiotischen Therapie mache ich von meinem klinischen Eindruck sowie vom Patientenwunsch abhängig (primär Chinolon plus Metronidazol). Als Differenzialdiagnosen neben der akuten infektiösen Diarrhoe muss aufgrund der Anamnese Malaria in Erwägung gezogen werden, es könnte jedoch auch eine chronisch entzündliche Darmekrankung vorliegen.

Andere Differienzialdiagnosen sind zum Zeitpunkt des Erstbesuchs eher unwahrscheinlich; sie würden sich jedoch aus dem Verlauf und aus den ausständigen Befunden ergeben. Es besteht beim Erstbesuch keine Indikation für ein bildgebendes Verfahren (bei Verfügbarkeit kann eine Sonografie gemacht werden), ebensowenig für eine Endoskopie. Aufgrund des AZ und der erst kurzen Krankheitsdauer bestelle ich die Patientin am Folgetag zur Kontrolle (inkl. Blutabnahme), im Rahmen derer das weitere Procedere festgelegt wird.

„Das primäre Management wird hier eine symptomatische Therapie sein“

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Ferenci, 
Univ.-Klinik Innere Medizin 3, Gastroenterologie und Hepatologie, MedUni Wien
Zweifellos liegt bei Jenny eine akute Gastroenteritis vor. Da sie gerade aus Afrika heimkommt, ist es mit Sicherheit anzunehmen, dass sie sich dort infiziert hat. Das infektiöse Agens kann ein Bakterium, ein Protozoon oder ein Virus sein. Aus der akuten Symptomatik heraus ist eine Differenzialdiagnose unmöglich. Daher kann eine Therapie nur empirisch sein.

Zunächst muss der Arzt die Schwere des Krankheitsbildes beurteilen. Alarmsymptome sind eine Dehydratation, Elektrolytstörungen (Hypokaliämie), Anstieg der Nierenfunktionsparameter, starker Gewichtsverslust, starke abdominelle Schmerzen, Blut im Stuhl. Besonders gefährdet sind ältere Patienten, Patienten mit Diabetes mellitus, Patienten unter immunsuppressiver Therapie und Schwangere. Treffen mehrere dieser Probleme zu, sollte eine stationäre Aufnahme erfolgen.

Bei Jenny sind lediglich die Bauchschmerzen und Fieber im Vordergrund. Daher wird das primäre Management eine symptomatische Therapie sein. Häufige Durchfälle führen zum Flüssigkeitsverlust, daher muss ein Flüssigkeitsausgleich erfolgen, entweder durch Infusionen oder orale Substitution. Liegt keine Hypovolämie vor, genügen normale nicht gesüßte Getränke (Tee, Mineralwasser). Bei schwererer Dehydratation sind „Rehydratationsgetränke“ (z.B. WHO-Lösung: 3,5g NaCl, 2,5g Na- Bicarbonate, 1,5g KCl und 20g Glukose/L Wasser; Normolyt®) indiziert.

Liegt Erbrechen und Übelkeit vor, ist eine Nahrungskarenz für ein bis zwei Tage sinnvoll, danach Kostaufbau mit gekochtem Reis, Kartoffeln, Nudeln, Karottensuppe, Äpfel und Bananen. Fettreiche Nahrungsmittel sollten gemieden werden, bis es zur Vollremission kommt. Krampflösende Medikamente (zB. Buscopan) und Antidiarrhoika (zB. Loperamid) können bei entsprechender Symptomatik eingesetzt werden.

Besteht der Hinweis auf eine bakterielle Infektion (Fieber >37,5C, Leukozytose) kann empirisch die Gabe von Antibiotika sinnvoll sein. Bevor jedoch mit einer ­antibiotischen Therapie begonnen wird, muss eine Stuhlprobe zur Kultur eingeschickt werden. Außerdem muss betont werden, dass die meisten Fälle einer akuten Gastroenteritis spontan heilen und Anti­biotika eher schaden als nützen. Antibio­tika bei einer viralen Gastroenteritis sind sinnlos. Antibiotika der ersten Wahl sind Gyrasehemmer.

Ich würde die Patientin dann nach Hause schicken, zur körperlichen Schonung raten und sie nach 2 Tagen zur Kontrolle bestellen. Das weitere Management ergibt sich aus dem klinischen Verlauf. Erwartungsgemäß sollten bei Jenny die Durchfälle in ein bis zwei Tagen sistieren, und sie sollte sich innerhalb einer Woche weitgehend erholt haben. Wenn die Durchfälle länger als eine Woche bestehen oder sich das Krankheitsbild weiter verschlechtert, ist eine differenzierte Abklärung und eine kausale Therapie notwendig.

„Zu Beginn ist eine genaue Anamnese des Afrikaaufenthalts wichtig“

Dr. Anna Kreil, MpH,
FÄ f. Innere Medizin, Zusatzfächer Gastroenterologie und Hepatologie; internistische Intensivmedizin, Wien
Akuter Durchfall und Fieber nach Auslandsaufenthalt ist oftmals harmlos, kann aber doch auch durch eine schwere parasitäre Infektion bedingt sein. Zu Beginn ist eine sehr genaue Anamnese des Afrikaaufenthaltes (welches Land, welche Stadt wurde besucht und wie lange? Wurden prophylaktische Medikamente eingenommen, welche aktuellen Impfungen wurden durchgeführt, welche Nahrungsmittel wurden gegessen, gab es kurz vorher oder währenddessen Krankheitsfälle vor Ort) und im Speziellen Vorerkrankungen wichtig.

Einerseits sollte neben der genauen Laboruntersuchung (Entzündungsparameter, BB, Leber- und Nierenwerte sowie Elektrolyte, mehrfache Abnahme von Blutkulturen) bei der Patientin eine weiterführende bildgebende Diagnotik mittels einer Abdomen-Leer-Aufnahme, einem Abdomen-US und Stuhlkulturen auf Salmonellen, Shigella, Campylobacter, Mikroskopie und Kultur auf Vibrio cholera, Amöben und andere Parasiten durchgeführt werden. Da hinter jedem fieberhaften Infekt aus einem Endemiegebiet auch Malaria stecken kann, muss diese mit einem Ausstrich/dicken Tropfen ausgeschlossen werden.

Andererseits ist wahrscheinlich eine kurzfristige Infusionstherapie zur Stabilisierung des Flüssigkeitsverlustes und Elekrolytausgleichs sinnvoll. Bei noch unklarer Diagnose ist eine obstipierende Therapie z.B. mittels Loperamidgabe bei einem sonst jungen, gesunden Mädchen nicht indiziert. Je nach Befund ist eine spezifischeTherapie (Antimalariamedikamente, Antihelmethika, Antibiotika) wichtig oder zB. bei Campylobacterinfektionen nicht indiziert, um hier keine Dauerausscheidung zu provozieren.

Sollte sich im Rahmen der ersten Untersuchungen und Befunde keine Diagnose ergeben, ist bei Weiterbestehen der Beschwerden über einen längeren Zeitraum Calprotektin im Stuhl und weiterführende Labortests (Alpha1-saures-Glykoprotein, ASCA, ANCA) sowie eine endoskopische Abklärung und ev. Enteroklysmauntersuchung noch anzudenken.

Autoren: Doz. Dr. Bernhard Angermayr, Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Ferenci, Dr. Anna Kreil, MpH