TEWEB-Pilotprojekte starten 2017
Der Start der Gesundheitshotline TEWEB ist für Anfang 2017 in drei Bundesländern geplant. Aktuell läuft die Ausschreibung des IT-gestützten, medizinisch-wissenschaftlichen Experten-Abfragesystems.
Mediziner wissen ein Lied sowohl von jenen Patienten zu singen, die mit einem banalen Infekt eine Spitalsambulanz aufsuchen; als auch von jenen, die schwere Krankheiten mit Halb- oder Falsch-Wissen aus dem Internet selbst zu therapieren versuchen. Ein Ziel der Gesundheitsreform ist, die Patientenströme nachhaltig zu lenken – sodass Hilfesuchende am „Best Point of Service“ versorgt werden. Dafür soll auch ein telefon- und webbasiertes Erstkontakt- und Beratungsservice (kurz: TEWEB) umgesetzt werden, auf das sich Bund, Länder und Sozialversicherung im Vorjahr geeinigt haben. Das telemedizinische Service, das voraussichtlich im ersten Quartal 2017 in Vorarlberg, Wien und Niederösterreich starten wird, soll Ratsuchenden im Rahmen eines Pilotprojekts 24 Stunden täglich als erste Anlaufstelle dienen. Für die Erteilung von Auskünften soll es ein österreichweit einheitliches Abfrageschema geben.
„Derzeit ist ein protokollgestütztes medizinisch-wissenschaftliches Expertensystem ausgeschrieben, das als zentralen Kern ein deutschsprachiges Abfrageschema zur Dringlichkeitseinstufung umfassen soll“, erklärt Erwin Fleischhacker, Geschäftsführer der ITSV GmbH, die im Auftrag des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger die pilotländerübergreifende Koordination und Umsetzung der Gesundheitshotline übernommen hat. „Der Fragebaum vereinheitlicht die Beauskunftung in Hinblick auf die Dringlichkeit und die richtige österreichweit einheitliche Versorgungsstufe. Die konkrete Empfehlung für den ,Best Point of Service‘ hängt dann von den regionalen und zeitlichen Umständen ab und erfolgt daher auf der regionalen Ebene unter Einbindung von geeigneten Wissensdaten, also z.B. Adressdaten.“
Ärztekammern nicht eingebunden
Der Kontakt zu TEWEB soll ab 2017 über die neue vorwahllose Nummer 1450 (kostenfrei) oder webbasiert möglich sein. Die Auskunftserteilung erfolgt wie gesagt regional – in den Pilotländern wurden von den Landes-Zielsteuerungskommissionen der Fonds Soziales Wien, der Notruf Niederösterreich und der Landesverband Vorarlberg des Österreichischen Roten Kreuzes mit der Umsetzung von TEWEB betraut. Folgendes Vorgehen ist vorgesehen: Im ersten Schritt wird die Dringlichkeit des Gesundheitsproblems durch qualifizierte, geschulte Mitarbeiter, z.B. Diplomiertes Pflegepersonal, eingestuft. Die Patienten erhalten erste Handlungsempfehlungen. Stellt sich heraus, dass es sich um einen akuten Notfall handelt, wird die Rettungskette in Gang gesetzt. Im Hintergrund stellt ein medizinisches Expertenteam die Qualität der fachlichen Beratungen sicher.
Die Landesärztekammern der Pilotbundesländer bedauern unisono, derzeit nicht in den Aufbau der telefonischen Erstberatung eingebunden zu sein. Lisa Sophie Dittlbacher, Abteilung Medien und Fortbildung der ÄK Wien, verweist darauf, dass es mit dem Ärztefunkdienst und der Nummer 141 in der Bundeshauptstadt bereits eine bewährte Struktur gebe, auf die aufgebaut werden könnte. Der hier beim Telefonkontakt benutzte Abfragebaum sei aufgrund seiner Qualität mittlerweile auch von der Wiener Rettung übernommen worden. „Ein telefonbasierter Erstkontakt mit Patienten ist deshalb jetzt schon möglich und auch sinnvoll“, so Dittlbacher.
Die Ärztekammer sei auch jederzeit bereit, bewährte Strukturen weiter aufzubauen, und wäre gerne in die Planungen eingebunden. Stattdessen würden hier Parallelstrukturen aufgebaut, die natürlich Kosten schaffen, die vermieden werden könnten. „Da die Zielsteuerung Gesundheit eine partnerschaftliche Steuerung zwischen Ländern und Sozialversicherung ist, erfolgt die Einbindung der Ärztekammer situationsbezogen – im konkreten Fall über eine inhaltliche Kooperation mit dem Ärztefunkdienst“, erklärt Mag. Evelyn Holley-Spieß, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der WGKK, dazu. So solle in der Bundeshauptstadt eine operationale Schnittstelle zwischen TEWEB mit dem Notruf und dem Ärztefunkdienst geschaffen werden. Darin, die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Organisationen optimal abzustimmen und eine medizinisch fundierte telefonische Auskunft zu bieten, sieht man seitens der Kasse die größte Herausforderung.
Hoher Schulungsbedarf
Dr. Christoph Reisner, Präsident der ÄK Niederösterreich, sieht eine Schwäche des österreichischen Projekts vor allem darin, dass es dezentral organisiert ist. Und er fragt sich, wie das notwendige Personal für TEWEB lukriert werden soll, zumal das jetzt schon für den Ärztefunkdienst 141 schwierig sei und die Anforderungen an die Ansprechpartner bei TEWEB deutlich höher sein werden. Dass die Patientenströme gelenkt werden sollen, sei an sich zu begrüßen, betont der ärztliche Standesvertreter: „Es wird sich zeigen, wie das Angebot in der Praxis angenommen wird. Wir haben dementsprechend eine abwartende Haltung.“
Tatsächlich werden die Personalsuche und -anstellung sowie die medizinische Einschulung auf das protokollgestützte Abfrageschema und vertiefende Trainings in Hinblick auf die kommunikativen Fähigkeiten des Fachpersonals als besondere Herausforderungen im Rahmen des Projekts TEWEB gesehen – bestätigt Stefan Spielbichler von Notruf NÖ. „Sowohl die technische als auch die personelle Herausforderung ist aufgrund unserer Erfahrung als einer der größten Leitstellen Europas aber bereits zum größten Teil vorbereitet“, gibt er gleichzeitig für sein Bundesland Entwarnung. Notruf NÖ werde zukünftig sowohl die Gesundheitshotline TEWEB als auch 144, 141 und 140 in einem System betreiben.
Schweiz als Vorbild
Dass auch das Ländle als Pilotbundesland für TEWEB fungiert, war insofern ein logischer Schritt, als Vorarlberg bereits 2011 an einem entsprechenden Projekt gearbeitet hat, welches schon weit gediehen war. „Dieses Projekt fand dann Eingang in die Gesundheitsreform auf Bundesebene, und wir konnten dort unsere Erfahrungen einbringen“, schildert Dr. Ulrich Tumler, stv. Direktor der Vorarlberger GKK.
In der Schweiz werden jährlich in einem ähnlichen System mehr als drei Millionen Anfragen registriert, fügt Mag. Janine Gozzi, Verantwortliche des Landesgesundheitsfonds Vorarlberg, hinzu. Dabei sei nachgewiesen worden, dass 70 Prozent der Bürger ihre gesundheitlichen Beschwerden bezüglich Dringlichkeit falsch beurteilen. Rund 80 Prozent aller Notfallkonsultationen sind unnötig. 90 Prozent der Anrufer befolgen die Handlungsempfehlung der telefonischen medizinischen Beratungsstellen und davon beurteilen rund 98 die Dienstleistung als notwendig, sinnvoll und hilfreich. Auch in Österreich erwarten sich die Verantwortlichen vor allem fachlich fundierte Auskünfte und eine bessere Orientierung für die Patienten. Vorgesehen ist, dass die Gesundheitshotline nach drei Jahren auf alle Bundesländer ausgeweitet wird.