11. Mai 2016

TCM: Spannend für Patienten und Ärzte

Das Interesse für die Traditionelle Chinesische Medizin nimmt sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten zu. MT sprach mit Prof. Gerhard Litscher über Stellenwert, Ausbildung und Forschung der TCM in Österreich.

Herr Prof. Litscher, wie ist denn aus Ihrer Sicht die derzeitige Situation von TCM in Europa?

Litscher: Traditionelle Chinesische Medizin erfreut sich Umfragen zufolge in ganz Europa steigender Beliebtheit, viele Patienten haben damit auch bereits Erfahrungen. TCM ist eine Heilkunde mit einer ganzheitlichen Sicht auf den Menschen und kommt so dem Grundbedürfnis von Menschen entgegen, gesehen zu werden. Aber auch für Ärzte wird sie immer interessanter, denn sie hat das Potenzial, wirksam gegen chronische Erkrankungen vorzugehen. Dazu müsste es allerdings einen Umschwung im Denken geben, denn derzeit werden TCM-Mediziner vielfach erst aufgesucht, wenn alle anderen Methoden bereits verworfen wurden.

Besonders vielversprechend wäre allerdings die Prävention besonders von lebensstilbedingten Erkrankungen. Viele Patienten haben großes Interesse daran, ohne lebenslange Medikation auszukommen, und sind bereit, tief in die eigene Tasche zu greifen, um eine Behandlung beim TCM-Arzt zu bezahlen. Allerdings wird damit auch die Frage der Evidenzbasierung der Methode sowie der Qualitätssicherung in der Ausbildung zunehmend relevanter.

Wie ist die Situation der universitären Ausbildung in Österreich dazu?

Litscher: Diagnostik und Therapie gehen in der TCM völlig anders vor sich als in der westlichen Medizin und so brauchen Ärzte, die sich seriös damit befassen, eine langjährige Ausbildung, die fast vollständig nach dem Studium der „gesamten Heilkunde“ zu absolvieren ist. Man kann für einen Universitätsabschluss nach China gehen oder sich an einer österreichischen Universität für einen postgradualen berufsbegleitenden Studiengang einschreiben. Die in Graz angebotenen Studienmodule für Medizinstudenten sind bei den Studierenden sehr beliebt und jeweils sofort ausgebucht.

Wie ist denn die Evidenzbasierung von TCM einzuschätzen?

Litscher: Es existiert in der TCM ein ungeheuer großes Erfahrungswissen. Um aber Qualität, Effektivität und Sicherheit der Methoden zu erhöhen, braucht es noch viel Forschung. Die Wirksamkeit der Akupunktur betreffend gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien. Alleine in PubMed findet man rund 20.000 Publikationen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Als objektiver Wissenschaftler muss man sagen, dass es zahlreiche hervorragende Arbeiten gibt, die Effekte, aber auch therapeutische Wirkung der Akupunktur bestätigen, wenngleich kritisch angemerkt werden muss, dass die Gesamtheit des Wirkungsmechanismus der Akupunktur immer noch viele Fragen offen lässt und sicher noch nicht im Detail geklärt ist. Hier wird es noch großer Forschungsanstrengungen bedürfen.

Womit speziell befassen Sie sich in Ihrer Forschungseinrichtung in Graz?

Litscher: In unserer Grazer Forschungseinrichtung an der Medizinischen Universität führen wir Akupunkturforschung durch, oft gemeinsam mit chinesischen Gastprofessorinnen und -professoren, insgesamt wurde damit ein wissenschaftlicher Output von 180 PubMed/SCI-gelisteten Arbeiten erzielt. Bereits im Jahr 1997 gelang es erstmals, wissenschaftlich zu zeigen, dass sich der Blutfluss in bestimmten Gehirnarterien, abhängig vom jeweils gestochenen Akupunkturschema, verändert. Das war der erste Nachweis, dass Akupunktur eine ganz spezifische Wirkung im Gehirn hervorruft.

In der Zwischenzeit haben sich in erster Linie die Stimulationsmethoden für die Akupunktur verändert. Von der traditionellen Metallnadel ist man auf Hightech-Methoden, wie etwa Laserstimulation, umgestiegen. Die Themen der in Graz in Kooperation mit China durchgeführten Studien reichen von Burn­out, Schlaflosigkeit und Depression bis hin zu Anwendungen in der Ophthalmologie, aber auch Neonatologie.

Gibt es auch in den anderen Komponenten der TCM Evidenzbasierung?

Litscher: Im Rahmen des 2006 gegründeten TCM-Forschungsclusters aus neun Forschungszentren in Österreich werden auch chinesische Arzneipflanzen wissenschaftlich untersucht. In den Jahren 2012–2015 wurde zum Thema „Prevention and early intervention of chronic diseases by TCM: Evaluation of immunomodulatory, anti-inflammatory and neuroprotective effects“ im Bereich Akupunktur und chinesische Arzneimittel geforscht. Diese Studien wurden vom Bundesministerium für Gesundheit und vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gemeinsam finanziert. Leider ist das die Ausnahme, denn Finanzierung für Grundlagenforschung ist in Österreich schwer zu finden. Für die Evidenzbasierung der TCM wäre jedoch noch viel Grundlagenforschung nötig, kontrollierte randomisierte Studien, Metaanalysen, Experimente an Tieren und Forschung an den Wirkmechanismen.

Was wäre damit darüber hinaus möglich? Wohin entwickelt sich die TCM-Forschung?

Litscher: Mithilfe von modernen Lasern ist es auch möglich, eine trans­kranielle Laserstimulation, z.B. bei neurologischen Indikationen wie Schlaganfall, Demenz etc., durchzuführen. In Zukunft könnten sich aus der Forschung zur Optimierung der Laser-Akupunktur auch neue nicht-invasive Behandlungsmethoden entwickeln.

Zur Person
Der Biomediziner Prof. DDr. Gerhard Litscher leitet zwei Forschungseinheiten und das TCM-Forschungszentrum an der Medizinischen Universität Graz. Er unterrichtet als Universitätsprofessor in Graz, hält Gastvorträge an Universitäten in Wien und Krems und ist Gast- bzw. Ehrenprofessor an elf chinesischen Universitäten und Top-Institutionen.
http://litscher.info

Auszeichnung für das Forschungsinstitut
Mag.a Dr.in Daniela Litscher vom TCM-Forschungszentrum Graz erhielt kürzlich als erste Europäerin den „Ohshiro Laser Therapy Best Paper Award“. Mithilfe des neuen, hochfokussierten gelben Lasers wurden Echtzeiteffekte der Laserstimulation an den Akupunkturpunkten Baihui (höchster Punkt am Kopf), Neiguan (Bereich der Handgelenksfurche) und Taichong (Bereich Fußrücken) auf die Herzratenvariabilität und den Blutdruck im Rahmen einer experimentellen biomedizintechnischen Probandenstudie an der Med Uni Graz untersucht. Alle Probanden erhielten auch Laserstimulation an einem Placebopunkt, somit handelte es sich um eine kontrollierte Studie. Die Hypothese war, dass sich die nicht spürbare und visuell nicht wahrnehmbare (Schutzbrille) gelbe Laserstimulation eventuell in herzfrequenzsenkenden, herzrzratenvariabili­tätssteigernden und blutdruckregulierenden Akuteffekten äußern könnte, was auch tatsächlich der Fall war.

TCM-Ausbildung an Unis

Medizinische Universität Wien
Die Medizinische Universität Wien bietet seit dem WS 2010/2011 einen berufsbegleitenden fünfsemestrigen postgraduellen Lehrgang TCM an. Dieser arbeitet nach internationalen Standards und in enger Kooperation mit chinesischen Universitäten.
Informationen unter:
http://www.meduniwien.ac.at/hp/ulg-tcm/

Donau-Universität Krems
An der Donau-Universität in Krems können MedizinerInnen berufsbegleitend einen postgradualen Lehrgang absolvieren. Dieser ist mehrstufig, die ersten 4 Semester führen zum Titel Akademischer Experte, nach weiteren 4 Semestern kann man einen MSc erwerben. Informationen dazu finden Sie unter:
http://www.donau-uni.ac.at/de/studium/tcm/index.php

Medizinische Universität Graz
Die Medizinische Universität Graz bietet zwar keinen postgradualen Lehrgang für TCM, aber ein spezielles Studienmodul „Arzneipflanzen und andere Therapieformen in der TCM“ für die Studierenden der Medizin, das einige Grundlagen vermittelt und immer sofort ausgebucht ist. Dazu werden Einzelvorlesungen gehalten, wie zum Beispiel „Biomedizintechnische Akupunktur“ im Modul „Schmerzmedizin“.  Im Rahmen der Vorlesung „Computerkontrollierte Akupunktur“ wird den angehenden ÄrztInnen im Sinne einer forschungsgeleiteten Lehre der neueste wissenschaftlichen Stand der Akupunkturforschung vermittelt.

Nobelpreis für Medizin an Prof. Tu Youyou
2015 wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Nobelpreis für Medizin an eine Forscherin verliehen, die sich mit TCM beschäftigt. Die Chinesin Tu Youyou von der China Academy of Chinese Medical Sciences erhielt diese höchste Auszeichnung für ihren Beitrag zur Malariaforschung. Der Inhaltsstoff Artemisinin des Heilkrauts Einjähriger Beifuß (Artemisia annua) stellt dank der Forschungen von Tu Youyou und ihrem Team ein wirksames Malariatherapeutikum dar.
Interview: Dr. Veronika Wolschlager

 

 

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune