2. Sep. 2014

Ende der Netzbetten

Foto: xobarap#6 (DI Andreas Rainer)

Am 1. September verfügte das Gesundheitsministerium aus “verfassungsrechtlichen Gründen per Erlass” über ein Verbot der Verwendung von Netzbetten in der Psychiatrie und in Heimen. Ab 1. Juli 2015 dürfen Netzbetten nicht mehr zum Einsatz kommen.

Psychiatrische Intensivbetten (PIB), auch Netzbetten genannt, werden zum Schutz vor Selbst- und Fremdgefährdung des und durch Patienten eingesetzt. Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) hat zuletzt im Jahr 2009 Einrichtungen, in denen Personen in ihrer Freiheit beschränkt werden, überprüft. Im Rahmen dieser Besuche wurde jeweils die Empfehlung ausgesprochen, „Netzbetten“ als Mittel der Freiheitsentziehung von erregten Patientinnen und Patienten als erniedrigende Behandlung aus dem Verkehr zu ziehen.

Das Bundesministerium für Gesundheit sandte am 22. Juli im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz einen Erlass an alle Landeshauptmänner, dem zufolge unter Berücksichtigung der Wahrung der Menschenwürde und dem Gebot der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsbeschränkung die Verwendung von psychiatrischen Intensivbetten und anderen “käfigähnlichen” Betten nicht mehr dem europäischen Standard entspreche und daher unzulässig sei. Allerdings würden in Ausnahmesituationen jene Maßnahmen zu setzen sein, die sowohl den grundrechtlichen Vorgaben der Wahrung der Menschenwürde als auch dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

Im Hinblick auf allfällig nötige Begleitmaßnahmen gehe man davon aus, dass ab dem 1. Juli 2015 derartige Mittel nicht mehr zum Einsatz kommen.

Die Patientenanwaltschaften, Menschen- und Bürgerrechtsaktivisten und viele Psychiater hatten die Praxis seit vielen Jahren bekämpft. Kritik gab es zuletzt auch vonseiten der Europäischen Antifolterkonvention des Europarates und der Volksanwaltschaft. Die Volksanwaltschaft war nachdrücklich dafür eingetreten, dass die vorgegebenen Standards eingehalten und Netzbetten aus dem Verkehr gezogen werden.

Volksanwalt Günther Kräuter zeigte sich am Montag über den Erlass erfreut: “Endlich wird mit der noch in Wien und teilweise der Steiermark gängigen Praxis aufgeräumt, psychisch kranke Menschen in käfigartige Betten zu sperren. Damit erfüllt sich eine langjährige Forderung der Volksanwaltschaft und ihres Menschenrechtsbeirates sowie des Europarates und der Europäischen Antifolterkonvention.” Die Volksanwaltschaft appelliere an Einrichtungen, die noch Netzbetten im Einsatz haben, unabhängig von der Übergangsfrist die Netzbetten umgehend zu entsorgen. Kräuter in einer Aussendung abschließend: “Ein dunkles Kapitel der österreichischen Psychiatrie wird endgültig geschlossen.”

Österreich zieht mit dem Verbot mit internationalen menschenrechtlichen Standards gleich

Univ.-Prof. Dr.h.c.mult. Dr. Siegfried Siegfried Kasper, Leiter der der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien ist fest überzeugt, dass man die Netzbetten nicht brauche. Er habe in Jahrzehnten – unter anderem in Freiburg, Heidelberg, Washington, Bonn und Wien – nie an einer Klinik gearbeitet, an der es Netzbetten gab. Betrachte man Psychiatrie-Patienten als Kranke, müsse man auch deren allfällige Erregungszustände behandeln. Die Tradition von Netzbetten beruhe hingegen auf dem Gedanken der Disziplinierung von psychisch Kranken, so Kasper. Die Grünen finden es “sehr erfreulich”, dass endlich das Verbot von Netzbetten durchgesetzt und damit eine unerträgliche Menschenrechtsverletzung in Österreich beendet werde.

Eva Mückstein, Gesundheitssprecherin der Grünen, zufolge müssen jedoch auch die Ressourcen in der Psychiatrie und in den Heimen verbessert werden, wie etwa mehr Personal und ein größeres Platzangebot. Die Grünen wiesen darauf hin, dass das Heimaufenthaltsgesetz zwar in allen Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen für Menschen mit intellektuellen oder psychischen Beeinträchtigungen gelte, abernicht für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Diese Gesetzeslücke müsse ebenso rasch geschlossen werden, fordert Mückstein. 

Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) werde den Erlass fristgerecht und nachhaltig umsetzen, hieß es in einer Aussendung am Montag. Man werde umgehend eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe aus medizinischen und nicht-medizinischen ExpertInnen einrichtent, die Strategien zur Ablöse von psychiatrischen Intensivbetten erarbeiten und deren Umsetzung vorantreiben werde. 

>> Erlass Netzbetten (PDF)

>> Schreiben der Volksanwaltschaft zu Netzbetten (PDF)

Quelle: APA, Bundesministerium für Gesundheit