17. Juli 2014

Fall der Woche: Bauarbeiter mit Schmerzen

Ein junger Mann, Mitte 20, kommt in Arbeiterhose und mit schmutzigen Armen und Händen in Ihre Ordination. „Ich habe gerade auf der Baustelle gearbeitet und einen Sack Zement gehoben, als mir ein starker Stich in die rechte Seite eingefahren ist. Kurz hab ich um Luft gerungen und seitdem schmerzt mich jede Bewegung“, erzählt er. Keine atemabhängige Schmerzen, aber die tiefe Inspiration ist deutlich schmerzhaft. RR 140/70, Temp: 36,5°C, BB und EKG sind unauffällig, Haut: gebräunt, ansonsten unauffällig, Cor: rein, rhythmisch, normofrequent, Pulmo: VA bds. Der Patient hat keine Allergien oder Vorerkrankungen und keine Dauermedikation. Handelt es sich hier um harmlose Schmerzen oder steckt doch mehr dahinter?

„Arbeitsdiagnose ist eine segmentale Wirbelgelenksblockierung“

Dr. Wilfried F. Noisternigg
Arzt f. Allgemeinmedizin, Navis, Tirol
Bei diesem Fall hinterfrage ich zunächst die Aussage in der Anamnese: „keine atemabhängigen Schmerzen, aber die tiefe Inspiration ist deutlich schmerzhaft“ – für mich sind das atemabhängige Schmerzen. Die erhobenen Befunde zeigen keine Vitalbedrohung, ergänzend zum EKG mache ich bei allen akuten Thoraxschmerzen einen Troponin-Test, CK, GOT und GPT, damit ein ACS ausgeschlossen ist. Dann beginne ich auch schon mit meiner manualtherapeutischen Untersuchung. Ich lasse mir vom Patienten zeigen, wo er den Hauptschmerzpunkt empfindet. Zur Lokalisierung des schmerzauslösenden Segmentes gehe ich nach der 3-Schritt- Diagnostik vor: 1. Mobilitätsprüfung der BWS zur Klärung, ob eine Rotations- oder In-/bzw. Reklinationseinschränkung vorliegt. 2. Palpation des Irritationspunktes: Tasten einer Schwellung der lokal verspannten Muskulatur sowie Auslösen einer lokalen Druckdolenz. 3. Schmerzreiz-Provokation: Lässt sich durch Rotation der BWS eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung in einer Richtung diagnostizieren und gibt es eine freie Gegenrichtung, bei der die Schmerzirritation nachlässt? Somit ist als Arbeitsdiagnose eine segmentale Wirbelgelenksblockierung gegeben und damit die Indikation für eine gezielte manualtherapeutische Behandlung. Mit entsprechender Technik wird ein kurzer Manipulationsimpuls ausgeführt, was sich im entlastenden Gelenksknacken akustisch zeigt. Das Ergebnis lässt sich sofort im Sinne der obigen Diagnostik überprüfen und der Patient muss nach Manipulation auch weitgehend schmerzfrei durchatmen können. Falls noch eine Restsymptomatik bestehen bleibt, erweitere ich meine Behandlung mit oraler oder i.m.-NSARTherapie – zur Verhinderung einer systemischen Schmerzaktivierung über das Rückenmark und damit Ausbildung einer primären Hyperalgesie. Auf jeden Fall wird der Patient zu einer Nachkontrolle für den nächsten Tag wiederbestellt. Bei Therapieresistenz sind zumindest eine adäquate Schmerztherapie sowie eine weitere radiologische/ neurologische Abklärungen zu veranlassen, um sinngemäß die ursprüngliche Arbeitsdiagnose zu hinterfragen.

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