Forensik: Die g’sunde Watsch’n ist ein Delikt

Beim Erkennen von Gewalt gegen Kinder kommt den Ärzten eine Schlüsselfunktion zu, denn die richtige Dokumentation dient der späteren Beweisführung vor Gericht.

Gewalt in der Erziehung ist in Österreich seit 25 Jahren gesetzlich verboten (§ 146 a Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch – Züchtigungsverbot), trotzdem ist sie im familiären Umfeld nach wie vor Realität. Mit Gewalt in der Erziehung werden meist Formen körperlicher Gewalt assoziiert, die im Affekt oder als bewusst geplante Erziehungsmaßnahme in Gestalt einer „g’sunden Watsch’n“ oder eines „Klaps auf den Po“ begangen werden. Körperliche Misshandlungen können vielfältige Verletzungen (Hautrötungen, Hautabschürfungen, Hämatome, Rissquetschwunden, Verbrühungen, Verbrennungen, Frakturen etc.) bei den Kindern verursachen und in Einzelfällen sogar tödlich enden.

Körperliches und seelisches Leid

Gleichfalls können emotionales Leid und/ oder psychische Beschwerden bei den betroffenen Kindern hervorgerufen sowie deren Rechte eingeschränkt oder ihre Persönlichkeit und Würde beeinträchtigt werden. Dabei sind psychische Gewalt und deren Auswirkungen von Außenstehenden in der Regel viel schwieriger zu erkennen als die zugefügten Körperverletzungen. Psychische Gewalt äußert sich durch Aussagen, Handlungen oder Haltungen Erwachsener gegenüber Kindern, die Ablehnung, Demütigung oder das Gefühl, wertlos zu sein, vermitteln. Die Gewalterfahrungen lösen bei den jungen Opfern häufig seelische Schäden und Krankheitsbilder aus, wie posttraumatische Belastungsstörungen, psychosomatische Leiden bis hin zu selbstschädigendem Verhalten und Suizid im Jugend- oder Erwachsenenalter.

Verwahrloste Kinder

Werden grundlegende körperliche und psychische Bedürfnisse der Kinder innerhalb der Familie nicht oder nur unzulänglich erfüllt, kann dies u.a. zu Unter- bzw. Fehlernährung und Verwahrlosung führen. Weiters kann dadurch die altersgemäße geistige, soziale und seelische Entwicklung der betroffenen Kinder massiv behindert werden. Eine spezifische Form der Vernachlässigung heutzutage sind Zeitmangel und fehlende Beziehungsangebote für Kinder. Essstörungen, Suchtverhalten oder Beziehungsstörungen sind mögliche Folgen.
Kinder erleben häusliche Gewalt indirekt mit. Sie sehen, wie ihre Mutter geschlagen wird, hören, wie ihr (Stief-)Vater tobt, spüren die vorliegende Aggression, Wut und den Hass zwischen den Eltern. In 70 bis 90 Prozent der Fälle, in denen die Mutter durch den Lebenspartner misshandelt wird, sind die Kinder anwesend. Häufig glauben sie, an der unglücklichen Familiensituation (mit-)schuldig zu sein. In diesem Zusammenhang erleben sie Angst, Ohnmacht, fühlen sich im Stich gelassen, was sich in unspezifischen Symptomen wie Schlafstörungen, Schmerzen (z.B. Bauchschmerzen), Einnässen, Lernschwierigkeiten, unangemessener Aggressivität, Depressivität usw. manifestieren kann.
Bereits im Kleinkindesalter lassen sich Entwicklungsverzögerungen beispielsweise in der Sprachentwicklung bei den Betroffenen feststellen. Selten äußern diese eigene Wünsche, sie sind im sozialen Verhalten überangepasst und weisen Bindungsstörungen auf.
Kinder, die Gewalt im häuslichen Umfeld erleben, „lernen“, dass Konflikte mit Gewalt gelöst werden. Daher sind sie als Jugendliche oder Erwachsene gefährdet, selbst Gewalt auszuüben bzw. zu erdulden. Gewaltbetroffene Buben neigen im Erwachsenenalter dazu, Gewalt als Durchsetzungsmittel ihrer Bedürfnisse anzuwenden. Mädchen hingegen sind stärker gefährdet, später Gewalt in ihren Partnerbeziehungen zu tolerieren.

Schlüsselfunktion der Ärzte

Die ersten Ansprechpersonen für die verletzten oder geschädigten Kinder sind häufig Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte. Ihnen kommt daher eine Schlüsselstellung nicht nur beim Erkennen von Gewalt sowie der fachgerechten medizinischen Versorgung und Betreuung der Opfer in der Notsituation zu, sondern auch bei der konkreten Unterstützung der Betroffenen und der Prävention weiterer Misshandlungen. Ärztliches und pflegerisches Personal kann bei Aufklärung von Gewalttaten unterstützend tätig sein. Voraussetzung dafür ist neben einer sorgfältigen Anamnese, einer körperlichen Untersuchung sowie einer präzisen Dokumentation von etwaigen Verletzungen die Sicherung von möglichen biologischen Spuren am Körper der Kinder und an deren Kleidung.

Beweis- und Spurensicherung

Damit eine fachgerechte klinische Untersuchung und die gezielte Spurensicherung stattfinden können, ist – in Ergänzung zur klinischen Anamnese – eine für das Gewaltereignis spezifische Anamnese zu erheben. Neben der Befragung zur Vorgeschichte bedarf es einer genauen Beschreibung des Tatherganges. Der gegenständliche Vorfall sollte mit den „eigenen Worten“ des Kindes festgehalten werden, damit die Angaben Authentizität haben. Hervorzuheben ist, dass nicht nur die medizinisch zu versorgenden Verletzungen, sondern auch die aus therapeutischer Sicht nicht relevanten Bagatelltraumen (z.B. Kratzer am Hals, kleine Hämatome an der Innenseite der Oberarme und -schenkel) wichtige Beweise für erlittene Misshandlungen sind. Deshalb sind alle Defekte und Beschwerden detailliert und für außenstehende Dritte nachvollziehbar zu benennen. Hierbei muss eine objektive Beschreibung der Verletzungen durchgeführt werden. Eine Interpretation über die mögliche Entstehung der Befunde sollte nicht erfolgen. Ebenso darf in die Dokumentation keine Beurteilung darüber einfließen, ob das Verletzungsbild mit dem geschilderten Vorfall übereinstimmen könnte oder nicht.
Für die Beweisführung einer Gewalttat sind zusätzliche grafische und fotografische Dokumentationen der einzelnen Verletzungen, aber auch der Fremdspuren am Körper des Opfers sowie an dessen Bekleidung wichtig.
Asservate zur Gewinnung von DNA-fähigem Material spielen insbesondere in Fällen sexualisierter Gewalt eine bedeutende Rolle. Die Spurensicherung kann nur dann verwertbare Ergebnisse liefern, wenn die Untersuchung in relativ engem zeitlichem Kontext zum Delikt stattfindet. Zum Beispiel Spermien sind in der Vagina zirka 72 Stunden nachweisbar, bei Oralund Analverkehr bis zu 24 Stunden.

Verletzungsdokumentation

Um gerichtsverwertbar und nach den aktuellsten Standards zu dokumentieren, ist im Rahmen des Projektes MedPol (Medizin – Polizei) ein vierseitiger Dokumentationsbogen von Experten der Gerichtsmedizin, der Österreichischen Ärztekammer, des Opferschutzes und des BM.I erstellt worden. Durch dessen benutzerfreundlichen Einsatz können Untersuchungen und Spurensicherungen rascher und genauer durchgeführt werden, da durch die systematische Vorgehensweise nichts Wesentliches übersehen oder vergessen wird. Dieser Untersuchungsbogen erleichtert die Beweisführung (auch in späteren Verfahren) und soll daher österreichweit von der Ärzteschaft sowie den diplomierten Pflegekräften genutzt werden (www.docwissen.at/wissens plattform/medizin-gegen-gewalt/gewalterkennen/die-verletzungsdokumentation).
Gemeinsam mit dem Leitfaden „Gesundheitliche Versorgung gewaltbetroffener Frauen“ wird damit profunde Unterstützung sowie umfangreiche Information zur Befunderhebung, Dokumentation und Gesprächsführung mit Gewaltopfern gegeben (www.bmwfj.gv.at/Familie/Gewalt/Seiten/GesundheitlicheVersorgunggewaltbetroffenerFrauen.aspx).