Wundversorgung verbessern, Amputationen vermeiden
Die Initiative Wund?Gesund! sieht den Finanzausgleich als gute Gelegenheit, endlich „Nägel mit Köpfen“ zu machen. Es fehle an Wundversorgungsangeboten und an der Kostenerstattung – und es brauche mehr Daten samt Amputationsregister.
„Warum ist es im 21. Jahrhundert noch immer so, dass Wundpatientinnen und -patienten mehrheitlich mit traditionellen statt modernen Verbandsstoffen therapiert werden und sich damit ihr Leidensweg unnötig verlängert?“ Das fragte sich Wund?Gesund!-Sprecherin Mag. Martina Laschet kürzlich beim 1. Dialogforum, das sich dem Thema „Chronische Wunden im niedergelassenen Bereich“ widmete.
Einmal mehr forderte sie die Politik auf, dass der Fortschritt in der Wundversorgung endlich bei allen Patientinnen und Patienten ankommen müsse. Wobei Laschet die Interdisziplinarität unterstrich: Im Mittelpunkt stehe die gemeinsame Entscheidung von Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten und DGKP bzw. Wundmanagerinnen und -managern „im Sinne eines Behandlungskonzepts“.
Am Anfang eine „Bagatellverletzung“
Die Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen betonte auch DGKP Peter Kurz, Generalsekretär der AWA – Austrian Wound Association bzw. Geschäftsführer der WPM Wund Pflege Management GmbH in Bad Pirawarth, Weinviertel. Alles fange mit einer „Bagatellverletzung“ an, die häufig suboptimal behandelt werde. Bis zu einer professionellen Therapie dauere es oft Monate und Jahre.
„Theoretisch wäre es einfach, die Behandlungsprozesse entlang der Leitlinien zu gestalten“, sagte Kurz. In der Praxis mangle es aber an Fußambulanzen, Wundambulanzen und Wundzentren sowie an der bislang fehlenden Kostenübernahme für pflegerisches Wundmanagement seitens der Kassen.
Neun von zehn Wunden heilen bei optimaler Behandlung zu
„Meine Rolle als Wundmanager ist es häufig, Patientinnen und Patienten bei der Navigation durch den Behandlungsprozess behilflich zu sein“, berichtete Kurz. Eine Wunde sei immer ein Symptom, weshalb es ein Assessment und in der Folge einen Behandlungsplan mit Behandlungszielen brauche. Wenn z.B. eine Gefäßuntersuchung notwendig sei, sollte diese rasch erfolgen – ohne lange Wartezeiten.
Österreich habe im internationalen Vergleich eine der höchsten Amputationsraten, gibt Kurz zu bedenken. Dabei könnten „weit über 90 Prozent“ der Wunden zuheilen – bei optimaler Wundversorgung und Behandlung der Ursachen wie etwa Diabetes oder anderer Erkrankungen, um Rezidive zu vermeiden. Auch er wiederholte daher die „Bitte“, dass sich Krankenkassen, Ärztekammer und Politik für eine Verbesserung der Versorgung zusammensetzen.
Unterschiede von Bezirk zu Bezirk
Raffael Himmelsbach, PhD, Ludwig Boltzmann Forschungsgruppe Alterung und Wundheilung, kritisierte ebenfalls die derzeitige Versorgungsituation: „Es gibt keine übergeordnete Logik, warum in einem Bezirk chronische Wunden in einer Spitalsambulanz und in einem anderen in einer niedergelassenen Ordination behandelt werden. Die gesundheitliche Steuerung des Bereichs steckt noch in den Kinderschuhen.“
Eine funktionierende interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit bilde die Voraussetzung für die qualitative Wundversorgung, unterstrich Himmelsbach. Es sei auch viel „Beziehungsarbeit“ notwendig, besonders im niedergelassenen Bereich: „Sie ist zeitintensiv, wird nicht vergütet und wird meist durch die Pflege gestemmt.“ Dazu kämen Unterschiede bei der Vergütung in den Bundesländern.
Insbesondere im niedergelassenen Bereich fehle in Österreich ein „zentraler, nachvollziehbarer, einheitlicher und verbindlicher Einreich- und Erstattungsprozess“, hob Wund?Gesund!-Sprecher Mag. Philipp Lindinger hervor. „Wir wünschen uns hier noch mehr Zusammenarbeit und Kooperationswillen öffentlicher Einrichtungen wie Ministerien, Behörden und der Sozialversicherung“, zitierte er eines der Ziele der Initiative (siehe auch Kasten).
„Große Eile“ im niedergelassenen Bereich geboten
Es gehe darum, die Finanzierung und Erstattung moderner Produkte für das Wundmanagement „zukunftsfit“ zu gestalten. „Im niedergelassenen Bereich ist große Eile geboten, zumal die Legislaturperiode ihrem Ende entgegen schreitet“, sagte Lindinger. Je näher der Wahltermin rücke, desto schwieriger werde es, hier konsensuale Schritte aller Stakeholder zu setzen. Nachsatz: „Der Finanzausgleich wäre doch eine gute Gelegenheit, endlich auch hier Nägel mit Köpfen zu machen.“
Zum Thema Amputationen wegen Diabetes informierte Kurz auf medonline-Nachfrage, dass es in Österreich noch immer kein Amputationsregister gebe. Schon vor mehr als zehn Jahren sei die Österreichische Wundgesellschaft das erste Mal im Gesundheitsministerium gewesen und habe ein solches Register gefordert – ohne Erfolg.
Top-Wundambulanz in Melk als Beispiel
Derzeit hänge die State-of-the-Art-Wundversorgung vielfach am Engagement einzelner Personen oder Teams. Als Beispiel nannte Kurz die Wundambulanz in Melk. Aber das seien kleine Einheiten und „die sind natürlich überlaufen“. Die Patient:innen müssten dann auf private Angebote ausweichen. Aber was ist mit jenen, fragte sich Kurz, die sich das nicht leisten könnten?
Die fehlende Datenlage kritisierte auch Lindinger. „Wir haben als Initiative Wund?Gesund! im Jahr 2015 einen Wundreport gemacht.“ Demnach leiden in Österreich 250.000 Menschen an einer oder mehreren chronischen Wunden. Er hält diese Zahlen nach wie vor für valide, aber: „Der Punkt ist, wir brauchen eine Basis, von der wir allgemein wegarbeiten können, und die liegt nicht vor.“
Daumen mal Pi statt „Datenschatz“ heben
Für Diabetes gebe es zwar eine Strategie in Österreich, das funktioniere an sich und gehe voran. Doch auch hier werde die Anzahl der Menschen mit Diabetes nur geschätzt, kritisierte Lindinger, nämlich zwischen 600.000 und 800.000: „Warum müssen wir permanent mit Daumen mal Pi arbeiten, wenn es doch auch jetzt schon Gedanken von der EU in Richtung European Health Data Space gibt?“
Österreich sitze auf diesen berühmten „Datenschatz“. Aber ob es wirklich ein Datenschatz sei, „werden wir erst dann herausfinden, wenn er geöffnet wird“. Bestandteil einer tragenden Reform sei auch das Zusammenführen aller im Gesundheitsbereich notwendigen Sektoren: „Das würde uns allen sehr, sehr helfen“, ist Lindinger überzeugt.
A-IQI-Berichte: Fußamputationen steigen stark an
Ein medonline-Blick in die A-IQI-Berichte des Gesundheitsministeriums (Austrian Inpatient Quality Indicators1) zeigt, dass die Amputationszahlen im Fußbereich (ohne Trauma) in den letzten Jahren stark gestiegen sind, von 994 im Jahr 20152 auf 2.758 im Jahr 2021. Die Zahl der Amputationen untere Extremität (kein Trauma) stieg zwar ebenfalls, jedoch nur leicht: von 1.566 im Jahr 2016 auf 1.586 im Jahr 2021.
„Das sind dramatische Zahlen zum Thema Fußamputationen“, kommentierte Laschet die A-IQI-Berichte. Sie fragte sich erneut, warum man das Leiden der Patientinnen und Patienten unnötig verlängern müsse, und hatte ein „Déjà-vu“ zum 1. Dialogforum Mitte März: „Auch da haben wir zum Schluss schon gesagt: Bitte setzen wir uns doch zusammen und sprechen drüber, was es braucht, diese Strukturen professionell und State of the Art und modern aufzubauen.“
Kosten und Mortalität durch Amputationen
Wundmanager Kurz verwies auch noch auf Berechnungen von Prof. Dr. Anke Eckardt (Schweiz) und Prof. Dr. Ralf Lobmann (Deutschland) in deren Buch „Der diabetische Fuß“. Demnach belaufen sich die Kosten bei einer gelungenen Diabetes-Wundbehandlung auf rund 7.800 Euro, bei einer misslungenen Wundbehandlung mit Folgeamputation sind es knappe 28.000 Euro. Dazu kommen noch Folgekosten aus Rehabilitation und Rezidiven, außerdem sterben zehn Prozentder Unterschenkel-amputierten Menschen mit Diabetes innerhalb der ersten 14 Tage.
Die Ziele der Initiative
Die Initiative Wund?Gesund!, ein Zusammenschluss von Unternehmen und Kooperationspartnern aus dem Gesundheitswesen, hat sich drei Ziele gesetzt:
- Wund-Patient:innen mit innovativen und qualitativ hochwertigen Verbandstoffen bestmöglich zu versorgen,
- die Lebensqualität von Wund-Patient:innen durch modernes und qualitätsgesichertes Wundmanagement zu steigern sowie
- mit öffentlichen Einrichtungen wie Ministerien, anderen Behörden und der Sozialversicherung zusammenzuarbeiten, um die Finanzierung und die Erstattung moderner Produkte für das Wundmanagement transparent zu gestalten.
Getragen wird die Initiative von den Mitgliedern 3 M Österreich GmbH, Chemomedica Medizintechnik und Arzneimittel Vertriebsges.m.b.H., Coloplast GmbH, Mölnlycke Health Care GmbH, Paul Hartmann Ges.m.b.H., Smith & Nephew GmbH und Sorbion GmbH.
- https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Gesundheitssystem/Gesundheitssystem-und-Qualitaetssicherung/Ergebnisqualitaetsmessung.html
- Zahlen vor 2016 aus einer parlamentarische Anfrage von 25.02.2020: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/J/1006/fnameorig_783907.html