Neuer sondenloser Herzschrittmacher hilft deutlich mehr Patienten
Er ist nur so groß wie eine Vitaminkapsel und kommt ohne – infektionsanfällige – Sonden aus: Schon 2013 hatte ein Team um Prim. Priv.-Doz. Dr. Clemens Steinwender vom Kepler Universitätsklinikum (KUK), damals noch AKH Linz, den weltweit ersten sondenlosen Herzschrittmacher eingesetzt. Nun führte der Kardiologe auch die europaweit erste Implantation der zweiten Generation des elektronischen Devices durch. Die neueste Technologie eigne sich für deutlich mehr Patienten als bisher, erklärt Prim. Steinwender im medonline-Interview.
Medonline: Herr Prim. Steinwender, ein 88-jähriger Patient hat den „Premieren-Schrittmacher“ (siehe Kasten unten) erhalten. Der Eingriff erfolgte unter leichter Sedierung und dauerte nur eine halbe Stunde. Können Sie die Indikationen genauer beschreiben und welche Patienten können von niedergelassenen Ärzten und anderen Spitälern zugewiesen werden?
Clemens Steinwender: Besonders gut geeignet ist der neue sondenlose Schrittmacher „Micra AV“ für Patienten mit Sinusrhythmus und atrioventrikulärem Block (AV-Block). Hier kann die neue Technologie eine gute Koordination zwischen dem Sinusrhythmus des Patienten und der erforderlichen Stimulation der Herzkammern bewerkstelligen. Die erste Generation des sondenlosen Schrittmachers, der „Micra VR“, ist vor allem für Personen mit Vorhofflimmern und langsamer Herzfrequenz oder AV-Block – insgesamt für deutlich weniger Patienten als der „Micra AV“ – geeignet.
Sondenlose Schrittmacher eignen sich besonders für ältere Patienten, etwa ab 75 Jahren, oder Patienten nach vorhergehenden Herzoperationen oder nach Komplikationen mit herkömmlichen Schrittmachern.
Weltweit hat die erste Implantation eines sondenlosen Herzschrittmachers schon am KUK stattgefunden, jetzt, bei der zweiten Generation, gibt es eine Europa-Premiere. Welche Zentren sind hier weltweit und europaweit noch führend?
Die Klinik für Kardiologie des KUK findet sich hier in guter Gesellschaft mit den Universitätskliniken in Bordeaux und Tours in Frankreich, Southampton in Großbritannien, Barcelona in Spanien, Amsterdam in den Niederlanden, Leuven in Belgien und Kopenhagen in Dänemark.
Die beste Spitzenmedizin hilft nur, wenn die präklinische Versorgung funktioniert und die Akutpatienten rechtzeitig das Zentrum, in diesem Fall das KUK, erreichen. Sehen Sie hier noch Potenzial bzw. was würden Sie sich da etwa von der Politik wünschen?
Der kritische Punkt bei der Device-Therapie – Schrittmacher gehören gemeinsam mit den implantierbaren Defibrillatoren zu den CIEDs (cardiovascular implantable electronic devices) – ist im Gegensatz zum Beispiel zu Herzinfarkten nicht die Notfallversorgung, sondern die Qualität der Implantation. Für die notärztliche Diagnostik und Versorgung stehen genügend Praxen und regionale Krankenhäuser zur Verfügung.
Um eine hohe Qualität der Implantation zu gewährleisten und damit akute und chronische Komplikationen zu minimieren, ist jedoch das Konzept einer abgestuften Versorgung sehr wichtig: Die Implantation von einfacheren CIEDs kann in regionalen Krankenhäusern erfolgen, während komplexere Devices, zu denen auch die sondenlosen Schrittmacher gehören, in Kliniken mit großer entsprechender Expertise, d.h. mit erfahrenen Operateuren und großen Fallzahlen implantiert werden sollen. Dies gilt auch für das Management von CIED-Komplikationen.
Das Konzept der abgestuften Versorgung bei CIEDs muss in Zukunft noch klarer umgesetzt werden. Dies heißt jedoch nicht, dass Versorgungskompetenz aus regionalen Krankenhäusern abgezogen werden soll – schließlich ist es ja das Ziel, die Patienten mit CIEDs dann regional weiter zu betreuen. Es soll auch für eine reibungslose Kooperation untereinander ein Wissenstransfer und eine jeweilige lokale Expertise für die Betreuung von CIED-Patienten auf- und ausgebaut werden.
Was liegt Ihnen sonst noch zu dem Thema sondenloser Herzschrittmacher auf dem Herzen?
Alle Daten aus den bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen zu sondenlosen Schrittmachern zeigen, dass diese die Technologie der Zukunft sind.
Zwar sind sie – vorerst noch – teurer als herkömmliche Schrittmacher, durch die Reduktion von Komplikationen, v.a. durch ihre Kleinheit, sind sie bei entsprechender Berechnung wohl aber schon jetzt als kosteneffektive Therapie einzuschätzen.
Besten Dank für das Gespräch!
88-jähriger Premiere-Patient Europas mit neuem sondenlosen Herzschrittmacher wohlauf
Bei herkömmlichen Herzschrittmachern ist die sensible Stelle vor allem der Raum im Gewebe unter dem Schlüsselbein für Batterie und Generator und die von dort zum Herzen führenden Sonden. Hier können sich Bakterien ansiedeln und Infektionen auslösen – noch Jahre nach der Implantation. Durch Materialermüdung können zudem Brüche der elektrischen Leitungen innerhalb der Sonden auftreten und zu Fehlfunktionen des Schrittmachers führen.
Sondenlose Herzschrittmacher ersparen daher den Patienten diese Probleme, da alle Bauteile eines Schrittmachers in einer Kapsel von der Größe einer Vitamintablette vereint sind. Mittels Herzkatheter werden die kleinen Devices direkt ins Herz vorgebracht und dort mittels kleiner Häkchen befestigt.
Den „Premieren-Schrittmacher“ der zweiten Generation dieser Devices hat nun ein 88-jähriger Patient am Linzer Kepler Universitätsklinikum (KUK) erhalten, informierte das KUK am 04.06.2020 in einer Aussendung. „Mich freut es sehr, dass sich das behandelnde Team so gewissenhaft Gedanken über die beste Behandlungsmöglichkeit für mich gemacht hat. Der Eingriff ist sehr gut und wenig belastend verlaufen“, zeigt sich der Patient heilfroh.
Das freut auch Prim. Priv.-Doz. Dr. Clemens Steinwender, Vorstand der Klinik für Kardiologie und Internistischen Intensivmedizin an der Klinik für Kardiologie des KUK, der schon im Dezember 2013 die weltweit erste Implantation des derzeit einzigen sondenlosen Schrittmachers durchgeführt hatte: „Mit der zweiten Generation können wir unseren Patientinnen und Patienten nun die neueste Technologie im Bereich der sondenlosen Herzschrittmacher anbieten. Deren Vorteile wurde in zahlreichen Studien, an denen wir mitgewirkt haben, nachgewiesen.“
Zudem eignen sich sondenlose Schrittmacher auch deswegen besonders für ältere Patienten, da sie minimal-invasiv sind und ohne Schnitt und Naht sowie lediglich unter leichter Sedierung implantiert werden können: Der 88-jährige Patient hat nur eine wenige Millimeter große Punktionsstelle in seiner rechten Leiste, die von dem etwa 30-minütigen Eingriff zeugt.