Wie viel Scharlatanerie verträgt die Medizin?
Ärzte dürfen methodisch so gut wie alles. Das hat seine Berechtigung, doch stellt sich die Frage: Wie absurd darf etwas sein, ohne das Vertrauensverhältnis zur Medizin zu schädigen? (ärztemagazin 12/19)
ES WAREN ZAHLREICHE SKANDALE notwendig, aber inzwischen ist der Beruf der Heilpraktiker in Deutschland heftig in der Kritik. Laien, die kaum über medizinische Grundkenntnisse verfügen, dürfen (noch) zahlreiche, auch inversive, Therapien durchführen. Das glückliche Österreich steht viel besser da. Hier gilt der Arztvorbehalt, medizinische Diagnose und Therapie liegen allein in ärztlicher Hand. Das Geschäftsfeld der Scharlatanerie muss sich die heimische Ärzteschaft also nur mit den Energethikern teilen. Von denen gibt es in Wien zwar mehr als Ärzte, aber medizinische Tätigkeit ist ihnen untersagt.
METHODEN DER ABGRENZUNG. Wie genau passiert eine Abgrenzung zwischen Medizin und Scharlatanerie? Sinnvoll wäre möglicherweise, mittels Studien so gut es geht zu überprüfen, ob etwas funktioniert oder nicht. Dann ließe sich die Grenze anhand der wissenschaftlichen Evidenz verhandeln. Das ärztemagazin hat Dr. Herwig Lindner, Präsident der Ärztekammer für Steiermark und Referatsleiter für Komplementärmedizin in der Österreichischen Ärztekammer (ÄK), gefragt, wie in der ÄK die Grenze gezogen wird; seine Antwort im Wortlaut: „Die Österreichische Ärztekammer befasst sich seit über 20 Jahren intensiv mit der Komplementärmedizin und zieht die Grenze nicht zwischen universitär gelehrter Medizin und Komplementärmedizin, sondern zwischen Komplementärmedizin und nicht-medizinischen alternativen Methoden, manche von diesen salopp Scharlatanerie genannt. Wichtig ist eine fundierte Ausbildung in der universitär gelehrten Heilkunde und in komplementärmedizinischen Methoden, um die Indikationen und Grenzen der jeweiligen Methode erkennen zu können. Daher sind komplementärmedizinische Methoden wie beispielsweise Homöopathie auch den Ärzten vorbehalten. Diese fundierte Ausbildung wird durch Diplomcurricula sichergestellt, die nach erfolgreichem Absolvieren derselben zur Verleihung von ÖÄK-Diplomen führt.“
Das ließe sich zusammenfassen als: Wenn die Ärztekammer ein Diplom dafür anbietet, ist es keine Scharlatanerie. Lindner führt weiter aus: „Neben den durch ÖÄK-Diplome zertifizierten Methoden gibt es noch andere, die eine positive Wirkung haben können und selbstverständlich auch von Ärzten angewandt werden dürfen, aber nicht in den Vorbehaltsbereich der Ärzte fallen. Ein Beispiel ist die Osteopathie. Diese Methode ist aber auch durch eine umfassende Ausbildung unterlegt.“ Ob zwischen den zertifizierten Methoden, den „anderen Methoden“ und Scharlatanerie überhaupt eine inhaltliche Grenze gezogen wird, bleibt offen.
Zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes als approbierter Arzt … bedarf es … der zur Erfüllung der Berufspflichten erforderlichen Vertrauenswürdigkeit.
Ärztegesetz, §4; 2.2.
WERBUNG. Eine bestimmte Therapie anzuwenden kann folgerichtig nie zur Streichung aus der Ärzteliste führen, dafür braucht es ein individuelles Fehlverhalten. „Qualitätsgesicherte komplementäre Therapie ist eine gute ergänzende Therapie, es gibt daher keinen Grund, einem Arzt die Zulassung zu entziehen, der gemäß seiner Ausbildung zertifiziert durch die entsprechenden Diplome der ÖÄK handelt.“ Somit können Ärzte auf ihrer Homepage auch alles anbieten, solange sie sich im Rahmen der gültigen Werberichtlinien bewegen. Im Zuge einer Internetrecherche hat das ärztemagazin gemeinsam mit Datenspezialisten exemplarisch anhand von fünf Methoden untersucht, was in Österreich so alles von Ärzten beworben wird (siehe unten). Spitzenreiter unter den umstrittenen Methoden ist ganz klar die Homöopathie; kein Wunder, dass sich die Verfechter einer wissenschaftlichen Medizin mit ihrer Kritik hauptsächlich darauf stürzen (siehe Debatte im ärztemagazin 7/2019). Während man bei der Homöopathie aufgrund der breiten Akzeptanz sowohl bei Laien als auch unter Medizinern noch von einer schwelenden Debatte sprechen könnte, sind Bachblüten oder Bioresonanz ganz klare Fälle unwissenschaftlicher Methoden. Tatsächlich werden sie auch nicht breit beworben, doch immerhin 32 Ärzte bieten sie im Internet an.
„Methoden, die einen Absolutheitsanspruch stellen und deren Apologeten den wissenschaftlichen Diskurs verweigern, sind brandgefährlich.“
Herwig Lindner
BIORESONANZ. Nach einer Dokumentation des Bayrischen Rundfunks (siehe QR-Code) nahmen 2018 sogar zahlreiche Reformhäuser Abstand von der Bioresonanz. Der Beitrag demonstrierte ziemlich eindrucksvoll – unter Zuhilfenahme von Leberkäse –, dass die Geräte reichlich nutzlos sind. Auch Lindner kann sich für die Methode nicht erwärmen: „Die Behauptung, dass bestimmte Geräte keinerlei Messwerte produzieren, müsste durch ein technisches Gutachten sehr einfach zu untermauern oder zu widerlegen sein. Damit könnte wohl auch eindeutig der immer wieder im Raum stehende Verdacht des Betrugs bekräftigt oder entkräftet werden …
Aus medizinischer Sicht ist das Messen der zahlreichen (über 200) angeführten Parameter mittels Halten von zwei Stäben, wie im Video zu sehen, nicht denkbar.“ Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) hat sich als Folge der Dokumentation tatsächlich mit der Prüfung von Bioresonanzgeräten beschäftigt und dem ärztemagazin wurde Folgendes mitgeteilt: „Diese Recherchen ergaben, dass das Produkt nicht als Medizinprodukt, sondern als Wellnessprodukt in Verkehr gebracht wird. Mangels Zuständigkeit wurden keine weiteren Untersuchungen durch das BASG durchgeführt.“ Die von Lindner angedeutete einfache Bestätigung oder Widerlegung des Verdachts auf Betrug fällt damit leider aus, niemand ist zuständig. Und dafür, ob Ärzte so etwas verwenden und bewerben sollten, ist offensichtlich auch niemand zuständig.
KONSEQUENZEN. Die Therapiefreiheit ist ein hohes Gut, die Tätigkeit und Verantwortung der Ärzte ist gesetzlich klar geregelt. Doch das Gesetz fordert auch: „Zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes als approbierter Arzt … bedarf es … der zur Erfüllung der Berufspflichten erforderliche Vertrauenswürdigkeit.“ Wenn ein Arzt veraltete Methoden bewirbt (Goldfäden), Hochdosis-Vitamin-C als wirksame Therapie gegen Krebs anpreist oder die – freundlich formuliert – wissenschaftlich unplausiblen Bachblüten einsetzt, ist dann die erforderliche Vertrauenswürdigkeit noch gegeben? Die Ärztekammer geht jedenfalls nicht dagegen vor, als einziges Beispiel für eine entzogene Lizenz wird der Impfgegner Dr. Johann Loibner genannt – und selbst das wurde später vom Höchstgericht wieder aufgehoben. Allerdings hält Lindner fest: „Zu Homöopathie gegen Krebs und Vitamin C gegen Krebs muss ganz klar gesagt werden, dass diese niemals den Anspruch auf Ausschließlichkeit erheben, sondern komplementär also ergänzend eingesetzt werden.“ Bleibt zu hoffen, dass dies alle Anwender ebenfalls so sehen, manche Einträge auf ärztlichen Webseiten lassen leider anderes vermuten (z.B.: „Homöopathie ist wirkungsvoll bei Krebs“).
GESCHÄFTSSINN. Die Auswertung der Daten zeigt, dass Wahlärzte deutlich häufiger als Kassenärzte fragwürdige Therapien anbieten. Beispielsweise bieten nur rund zehn Prozent der Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag Homöopathie an, bei den Wahlärzten sind es über 33 Prozent. Es handelt sich also auch schlicht und ergreifend um ein Geschäftsfeld. Und das Geschäft ist gefragt, Umfragen zeigen immer wieder die breite Akzeptanz alternativer Verfahren bei den Patienten. Über diese Nachfrage rechtfertigen viele Ärzte auch ihr Angebot. Allerdings zeigen oft die gleichen Umfragen bei einem genaueren Blick, dass die Patienten meist gar nicht genau wissen, was sie sich da wünschen: Eine Umfrage der Firma Peithner ergab nicht nur hohe Beliebtheitswerte, sondern offenbarte auch: 82 Prozent der Anwender charakterisieren Homöopathika als reine Naturheilmittel. Dass Laien Homöopathie von Naturheilmitteln nicht unterscheiden können, kann man ihnen nicht vorwerfen. Dass Ärzte und Hersteller diesen Irrtum nicht aufklären, sondern damit Geschäfte machen, fällt aus einem kritischen Blickwinkel nicht gerade unter „vertrauensbildende Maßnahme“. Auch über die Hintergründe und Herstellung von Bachblüten werden Konsumenten selten aufgeklärt. Bei vielen würde der Zauber der Zaubermittel ansonsten womöglich weniger gut ankommen.
Das Produkt wird nicht als Medizinprodukt, sondern als „Wellnessprodukt“ in Verkehr gebracht. Mangels Zuständigkeit wurden keine weiteren Untersuchungen durch das BASG durchgeführt.
Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen über Bioresonanz
WOVOR DIE ÄK WARNT. Es hat den Anschein, dass zumindest methodisch der Ärztekammer alles recht ist. Lindner zur Frage, von welchen komplementärmedizinischen/alternativmedizinischen Methoden die Ärztekammer abrate: „Wir warnen vor jedem Ausnützen der Hoffnung von kranken Menschen und stellen uns entschieden gegen jeden Rat, der Patienten von naturwissenschaftlich abgesicherten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen abhält. Methoden, die einen Absolutheitsanspruch stellen und deren Apologeten den wissenschaftlichen Diskurs verweigern, sind brandgefährlich.“
Fragwürdige Werbung
Wir sind der Frage nachgegangen, welche fragwürdigen Therapien Ärztinnen und Ärzte in Österreich auf ihren Homepages bewerben. Im Zuge einer Internetrecherche und Datenverarbeitung (im Rahmen eines Hackathon) haben wir exemplarisch nach fünf Methoden gescannt:
17 Bachblüten
17 Ärzte halten die Methode für bewerbenswert
15 Bioresonanz
Laut BASG ein Wellnessgerät, bei 15 Praxen im Einsatz
450 Homöopathie
Mit Abstand die beliebteste unter den strittigen Methoden
1 Vitamin C gegen Krebs
Ein Arzt empfiehlt Hochdosis-Vitamin-C als Krebstherapie
1 Goldfäden beim Fadenlifting
Die veraltete Methode wird noch von einem Arzt beworben
IM GESPRÄCH
Dr. Herwig Lindner, Präsident der Steirischen Ärztekammer, Leiter des Referats für Komplementärmedizin der Österreichischen Ärztekammer