11. Okt. 2019Mikrobiom

Darmkeime beeinflussen das alte Gehirn

Im Alter geht die Diversität der Darmbakterien verloren. Dies führt über lokale, systemische und schließlich Neuro-Inflammation zu kognitivem Abbau und Demenz. (Medical Tribune 36–37/19)

Beim Vergären von faserreichen Kohlenhydraten in der Nahrung bilden unsere Darmbakterien kurzkettige Fettsäuren (Acetat, Butyrat, Propionat). Diese wiederum sind an der Bildung von „tight junction“-Proteinen (Claudin, Occludin) beteiligt, welche die Funktion haben, die Blut-Hirn-Schranke abzudichten. „Geht im Alter die Diversität mehr und mehr verloren, können diese Fettsäuren nicht mehr in ausreichendem Maße gebildet werden“, erklärte Prof. Dr. Friedrich Leblhuber, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Linz, im Gespräch mit der MT. Das wirke sich negativ auf die Bildung von Claudin und Occludin aus, und dadurch werde die Blut-Hirn-Schranke als selektive Barriere „durchlässiger“ für verschiedene Metabolite und Neurotoxine. Diese Veränderungen der Darm-Hirn-Achse führen in weiterer Folge zu Inflammation im ZNS und schließlich zu kognitivem Abbau bis hin zur Demenz.1,2

Protektive Keime gehen verloren

Prof. Dr. Friedrich Leblhuber
FA für Psychiatrie und Neurologie in Linz

Auch „protektive“ Keime können im Alter verloren gehen, so zum Beispiel Akkermansia muciniphila, welche die Dickdarmschleimhaut zu vermehrter Produktion von Schleim anregen und so die Darmwand besser abdichten. Darüber hinaus stellen diese Keime eine Energiequelle für andere nützliche Stämme, wie das Faecalibacterium prausnitzii, dar. Letzteres ist stark antiinflammatorisch wirksam, was besonders unter dem Aspekt der „silent inflammation“ mit daraus resultierendem „leaky gut“ bedeutsam sei3, so der ehemalige Leiter der Abteilung für Neurologisch-Psychiatrische Gerontologie an der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg. Auch Fehlernährung trage zur Dysbiose des Darmmikrobioms und somit zu Veränderungen der Darm-Hirn-Achse1 im Sinne eines circulus vitiosus bei, gab Leblhuber zu bedenken. „Denn durch einseitige Ernährung – ein häufiges Phänomen speziell im Alter und bei Demenz – kommt es zu vermindertem Verzehr faserreicher Nahrungsmittel“, so der Experte.

Zu den besonders faserreichen Nahrungsmitteln zählen Früchte wie Heidelbeeren, Himbeeren, Nektarinen und Melonen sowie Gemüse wie Artischocke, Zichorie, Knoblauch, Zwiebel und Pastinake. Neuroprotektive Effekte sind auch vom Granatapfel bekannt. Andere Nahrungsmittel, zum Beispiel Pilze, sollen das Darmmikrobiom durch Metabolite wie Spermidin verändern.4 Auf das Darmmikrobiom lässt sich aber nicht nur mittels Ernährung, sondern auch durch körperliche Aktivität Einfluss nehmen. Insbesondere Ausdauertraining kann das Darmmikrobiom günstig verändern. So konnte bei körperlich Aktiven eine höhere Diversität des Darmmikrobioms nachgewiesen werden.5 Dass Probiotika eine Wirkung auf das Darmmikrobiom haben und dieses verändern können, konnte in einer großen Zahl von Übersichtsarbeiten gezeigt werden. „Die Anzahl klinischer Studien mit ähnlichen Ergebnissen ist zur Zeit jedoch noch relativ gering“, so Leblhuber.

Blick in die Zukunft: individuelle Analyse

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Diagnostik und Therapie der Demenz? Insbesondere in Hinblick auf die Prävention demenzieller Erkrankungen (Neuroprotektion) könnte die Mikrobiomanalyse – zusätzlich zur Bestimmung von Entzündungsmarkern im Darm, zum Beispiel Calprotektin3 und Zonulin6 – hilfreich sein. Neben der Analyse der Keimzahl der genannten protektiven Bakterienstämme könnte dabei auch der Nachweis toxischer Bakterienstämme wie etwa Porphyromonas gingivalis im oralen Mikrobiom eine Rolle spielen, so Leblhuber, da sich diese besonders nachteilig auf das Darmmikrobiom auswirken.7 Die umfassende individuelle Analyse des Darmmikrobioms – mit daraus resultierenden personalisierten Therapieansätzen für verschiedene metabolische und neurodegenerative Erkrankungen inklusive Alzheimer’sche Demenz7,8 – scheint also gar nicht so weit entfernte Zukunftsmusik zu sein.

Referenzen:
1 Caracciolo B et al., Mech Aging Dev 2018; 136–137: 59–69
2 Sampson TR, Mazmanian SK, Cell Host Microbe 2015; 17 (59): 565–576
3 Leblhuber F et al., J Neural Transm 2015; 122(9): 319–322
4 Nakamura et al., Gut Microbes 2019; 10(2): 159–171
5 Clarke SF, Gut 2014; 63 (12): 1913–1920
6 Leblhuber F et al., Curr Alz Res 2018; 15(12): 1106–1113
7 Kato T et al., mSphere 2018; 3(5): e0046018
8 Garcez ML et al., Neurotox Res 2019 May 14; doi: 10.1007/s12640019000573

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune