6. Aug. 2019EULAR 2019

Gicht und Komorbiditäten: Harnsäure schädigt Herz und Nieren

Gicht ist mit vielen Komorbiditäten sowie einem erhöhten renalen und kardiovaskulären Risiko assoziiert. Dass uratsenkende Therapie die Lage der Patienten verbessert, ist naheliegend, allerdings nur unzureichend belegt. (Medical Tribune 27–28/19)

„Rund 50 Prozent unserer Gicht-Patienten leiden auch unter Hypertonie“, sagt Dr. Edward Roddy von der britischen Keele University auf dem EULAR-Kongress (European League Against Rheumatism) in Madrid. Auch praktisch alle anderen kardiovaskulären Risikofaktoren sowie eingeschränkte Nierenfunktion und Typ-2-Diabetes treten häufig in Verbindung mit Gicht auf. Dabei werden unterschiedliche Zusammenhänge angenommen. So dürften erhöhte Harnsäurespiegel die Nieren belasten, was zu einer chronischen Niereninsuffizienz führt, die wiederum den Anstieg des Harnsäurespiegels begünstigt und das kardiovaskuläre Risiko erhöht.

Darüber hinaus sind mittlerweile auch zahlreiche Grunderkrankungen bekannt, die sowohl zu Hyperurikämie als auch zu einem erhöhten kardiovaskulären Risiko prädisponieren. Roddy nennt in diesem Zusammenhang beispielsweise Schlafapnoe, Hypothyreose und COPD. „Die Assoziationen zwischen Gicht und verschiedensten Komorbiditäten sind vielfältig und komplex. Wie weit es sich dabei um kausale Zusammenhänge auf Basis plausibler biologischer Mechanismen handelt, ist nur zum Teil geklärt“, räumt er ein.

Älteste Beschreibung des metabolischen Syndroms

Bekannt sind diese Zusammenhänge allerdings schon lange. Bereits in den 1920er Jahren beschrieb Franz Volhard eine Assoziation von Hyperurikämie mit Hypertonie und Hyperglykämie. Es sei dies, so Roddy, die älteste Beschreibung des metabolischen Syndroms in der modernen Medizin. Allerdings sei die Gicht über die Jahre aus den Definitionen des metabolischen Syndroms wieder verschwunden. Möglicherweise zu Unrecht, zumal das Risiko, eine Gicht zu entwickeln, bei Personen mit metabolischem Syndrom um rund den Faktor drei erhöht ist. Eine isolierte Gicht stellt jedenfalls die Ausnahme dar und wird nur bei rund 12 Prozent der Gichtpatienten angetroffen, während mehrfache Komorbiditäten die Regel sind. Häufig wird eine eingeschränkte Nierenfunktion beobachtet, die NSAR-Verschreibungen ausschließen sollte.1

Nierenerkrankung erschwert Management

Roddy betont, dass eine komorbide Nierenerkrankung das Management der Gicht erheblich erschwert. Zwar werden die gleichen Urat-Zielwerte empfohlen wie bei Nierengesunden, doch kann die Nierenfunktion die Optionen in der uratsenkenden Therapie limitieren. Die Allopurinol-Dosis muss angepasst werden und das Risiko einer Allopurinol-Hypersensitivität ist erhöht. Zudem wird mit der reduzierten Dosis der Zielwert häufig verfehlt. Möglicherweise wird bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion jedoch zu vorsichtig dosiert. In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde versucht, bei Patienten mit Niereninsuffizienz, die unter der reduzierten Allopurinol-Dosis das Urat-Ziel von 6 mg/dl nicht erreichten, die Dosis zu eskalieren. Damit erreichten mehr Patienten den Zielwert, ohne dass es zu vermehrten Komplikationen kam.2 Dieselbe Gruppe führte im Anschluss eine Post-hoc-Analyse ihrer Studie durch, um festzustellen, welche Allopurinol-Dosen die Patienten schließlich erhielten.

Dabei ergab sich in der Gruppe mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate über 60 eine Dosierung von durchschnittlich 491 mg Allopurinol zur Erreichung des Therapieziels. Selbst Patienten mit einer eGFR unter 30 nahmen im Schnitt 350 mg Allopurinol. Und das zum Zeitpunkt der Auswertung bereits seit zwei Jahren und bei guter Verträglichkeit.3 Die Inzidenz von renalen Nebenwirkungen und Überempfindlichkeitsreaktionen war gering. Roddy: „Das sind Dosierungen, mit denen wir uns bei unseren nierenkranken Patienten üblicherweise nicht mehr wohlfühlen.“ Seit Langem bekannt ist die Assoziation zwischen Gicht und kardiovaskulären Erkrankungen. Weniger klar ist allerdings, ob es sich dabei um eine reine Assoziation infolge gemeinsamer Risikofaktoren handelt oder ob es eine kausale Verbindung zwischen Hyperurikämie und kardiovaskulärer Erkrankung gibt.

Gicht erhöht die Mortalität infolge Herzkrankheiten

Jedenfalls gibt es im Falle der Gicht solide Evidenz für diese Assoziation, während die Datenlage für die asymptomatische Hyperurikämie weniger klar ist, so Dr. Mariano Andrés von der Universidad Miguel Hernandez in Alicante, Spanien. Laut einer Metaanalyse erhöht Gicht die kardiovaskuläre Mortalität um den Faktor 1,29 und die Mortalität infolge koronarer Herzkrankheit um den Faktor 1,42.4 Verantwortlich dürfte eine Kombination von Faktoren sein. Zu den zahlreichen Komorbiditäten der Gicht-Patienten kommen ein pro-oxidativer Zustand sowie ungünstige Auswirkungen der Hyperurikämie auf das Endothel.

Die Hyperurikämie dürfte auch systemische Inflammation und Hypertonie begünstigen. Diese Faktoren könne man im kardiovaskulären Risiko-Management direkt beeinflussen. Sinnvoll sei bei Gicht Patienten beispielsweise eine Quantifizierung der Atherosklerose mittels Carotis-Ultraschall. Auf dieser Basis könne eine Risikoeinschätzung durchgeführt und beispielsweise ein niedriges LDL-Cholesterinziel festgelegt werden. Dabei dürfe allerdings, so Andrés, nicht auf das Grundproblem vergessen werden: die Ablagerung von Mono-Natriumurat-Kristallen in den Gelenken und anderen Teilen des Körpers. Diese Kristalle lösen sich unter uratsenkender Therapie auf.

Andrés: „Es ist logisch und naheliegend, dass die uratsenkende Therapie auch das kardiovaskuläre Risiko reduziert, gute Studiendaten haben wir dazu allerdings nicht. Das liegt unter anderem daran, dass es unethisch wäre, Gichtpatienten mit Placebo statt mit uratsenkender Therapie zu behandeln, da die Uratsenkung eine etablierte Therapie der Gicht ist.“ Daher kommt die Evidenz zur Wirksamkeit der Uratsenkung auf das kardiovaskuläre Risiko praktisch ausschließlich aus Registern und Populationsstudien. Und diese sind mit Vorsicht zu genießen, denn im klinischen Alltag werden die Therapieziele sehr häufig nicht erreicht. Nicht einmal dort, wo es Daten aus kontrollierten Studien gibt, ist der Sachverhalt klar.

Allopurinol, Febuxostat und Colchicin

Das gilt zum Beispiel für den Vergleich der beiden Xanthinoxydase-Inhibitoren Allopurinol und Febuxostat. Da in den Zulassungsstudien für Febuxostat Hinweise auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko auftraten, verlangte die FDA eine Sicherheitsstudie mit einem kardiovaskulären Endpunkt. In diese Studie wurden Patienten mit Gicht und kardiovaskulärer Erkrankung eingeschlossen und randomisiert mit Allopurinol oder Febuxostat behandelt. Das Ergebnis führte zu keinem Ende der Diskussionen. Denn während hinsichtlich des primären kardiovaskulären Endpunkts keine Unterschiede zwischen den Gruppen gefunden wurden, zeigten sekundäre Analysen eine Erhöhung der kardiovaskulären Mortalität und der Gesamtmortalität unter Febuxostat.5

Andrés weist auf eine deutlich höhere Abbruchrate in der Febuxostat-Gruppe hin. Auch war die Einnahme von Low-dose-ASS zwischen den Gruppen nicht gleich verteilt. Vor allem lässt diese Studie jedoch keinerlei Vergleiche mit unbehandelten Patienten zu. Es ließe sich also nicht sagen, ob Febuxostat tatsächlich das Mortalitätsrisiko erhöht oder ob Allopurinol in der Risikoreduktion besser ist. Nicht unterschätzt werden dürfe auch der Effekt von Colchicin auf das kardiovaskuläre Risiko. Zwei Studien fanden eine Reduktion des Herzinfarkt-Risikos von Gicht-Patienten um fast 50 Prozent, wenn die Standard-Prävention durch niedrig dosiertes Colchicin erweitert wird.6,7

Referenzen:
1 Bevis M et al. Rheumatology (Oxford). 2018 Aug 1; 57(8): 1358–1363
2 Stamp LK et al. Ann Rheum Dis. 2017 Dec; 76(12): 2065–2070
3 Stamp LK et al. Arthritis Res Ther. 2017 Dec 21; 19(1): 283
4 Clarson LE et al. Eur J Prev Cardiol. 2015 Mar; 22(3): 335–43
5 White WB et al. N Engl J Med. 2018 Mar 29; 378(13): 1200–1210
6 Crittenden DB et al. J Rheumatol. 2012 Jul; 39(7): 1458–64
7 Solomon DH et al. Ann Rheum Dis. 2016 Sep; 75(9): 1674–9

EULAR-Kongress (European League Against Rheumatism); Madrid, Juni 2019

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune