13. Apr. 2019Freizeit

Wenn in der Freizeit der Körper streikt

Müde Frau
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„Leisure Sickness“, also Freizeitkrankheit, ist ein weit verbreitetes, aber weitgehend unerforschtes Phänomen. Ein Projekt der Tiroler UMIT liefert wichtige Hinweise auf Risikogruppen und Schutzfaktoren. (Medical Tribune 16/19)

Kaum haben Urlaub oder Wochenende begonnen, schmerzt der Kopf, krampft der Magen, rinnt die Nase, tritt leichtes Fieber auf und/oder bleierne Müdigkeit befällt den Körper. „Schon wieder Pech gehabt“, denken sich viele Betroffene. Offenbar nur wenige kommen auf die Idee, dass das nicht ganz zufällig passiert. Dabei haben diese leichten, im genannten Kontext auftretenden Erkrankungen seit 2002 einen Namen: „Leisure Sickness“ (also Freizeiterkrankung) nannte ein niederländisches Team im Anschluss an eine Studie das Phänomen.

„Allerdings ist ,Leisure Sickness‘ bis heute keine definierte Krankheit und verfügt auch über keine ICD-Kodierung“, sagt Univ.-Prof. Dr. Cornelia Blank von der Privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) in Hall in Tirol. Blank ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Sport-, Alpinmedizin und Gesundheitstourismus (ISAG) an der UMIT. Gemeinsam mit der Fachhochschule Bad Honnef (IUBH) hat das ISAG die holländische Studie von 2002 in den Jahren 2011 und 2017 wiederholt und bemerkenswerte Ergebnisse erzielt. Zur Anwendung kam ein Fragebogen, den – repräsentativ für die deutsche Bevölkerung über 18 Jahre – 2.040 Probandinnen und Probanden ausgefüllt haben. Die Untersuchung aus dem Jahr 2017 ergab, dass 26 Prozent der Bevölkerung vom Phänomen „Leisure Sickness“ betroffen sind. Gegenüber der niederländischen Untersuchung von 2002 (4 % der arbeitenden Bevölkerung) und jener von 2011 (12 %) ist das Ergebnis zuletzt deutlich höher ausgefallen.

Das ist umso bemerkenswerter, als der 2017 verwendete Fragebogen sehr konservativ und enger abgesteckt war als seine Vorgänger, berichtet Blank. Demnach wurde als von „Leisure Sickness“ Betroffener nur aufgenommen, wer die genannten Symptome in drei der jüngsten fünf Urlaube und an mindestens zehn Wochenenden während der zurückliegenden zwölf Monate entwickelt hat. Bei der Auswertung der Fragebögen hat Blank und ihr Team interessiert, welche Auffälligkeiten es im Zusammenhang mit unterschiedlichen Freizeitkategorien und verschiedenen Typen von Menschen im Konsum von Freizeit gibt.

Fünf Freizeitkategorien

Dabei wurden fünf Kategorien an Freizeitmustern herausgearbeitet:

  • Arbeitsbezogene Freizeit: etwa ständige Erreichbarkeit.
  • Regeneration und Weiterbildung: ebenfalls stark arbeitsbezogen, z.B. Ruhephase nach der Arbeit, freiwillige Fortbildungen.
  • Pflichten und Soziales: Unvermeidliches wie Hausarbeit, Einkaufen, Kinderbetreuung, Ehrenämter.
  • Kontrast zur Arbeit: Aktivitäten, die einen bewussten Gegenpol zur Arbeit bilden.
  • Freie Freizeit: wirklich freie Zeit, in der man tun kann, wozu man gerade Lust hat.

Auch Freizeit strukturieren

Als wichtigstes Ergebnis nennt Blank: „Leute, die ihre Freizeit planen, darunter auch soziale Kontakte, sind am wenigsten anfällig. Es macht Sinn, auch die Freizeit zu strukturieren.“ Ein zweiter wichtiger Schutzfaktor ist der Studie zufolge eine Freizeitgestaltung, die mit der beruflichen Tätigkeit stark kontrastiert – also Bewegung für Büromenschen oder Lesen für Menschen, die körperlich arbeiten. Das überraschendste Ergebnis war für Blank, dass freie Freizeit die Anfälligkeit für „Leisure Sickness“ nicht senkt, sondern sogar erhöht.

Inaktive sind anfälliger

Wenig überraschend ist, dass fast alle Menschen alle fünf Freizeitkategorien leben, allerdings in unterschiedlichen Gewichtungen. Daraus hat das Team an der UMIT fünf Gruppen geclustert, die sich in ihrer Anfälligkeit für „Leisure Sickness“ deutlich unterscheiden. Zwei dieser Gruppen haben die höchste Anfälligkeit für die Freizeitkrankheit: die „Arbeitstiere“ und die „Inaktiven“. Erstere charakterisiert Blank damit, dass sie „für die Arbeit leben“ und besonders hohe Anteile an arbeitsbezogener Freizeit haben. Allzu oft ist dann die berufsbedingte Erschöpfung so groß, dass es kaum zu außerberuflichen Aktivitäten kommt, Sport und soziale Kontakte daher kaum eine Rolle spielen. Was den „Arbeitstieren“ an Freizeit bleibt, geht für Regeneration, Weiterbildung und soziale Pflichten auf. Die „Inaktiven“ haben den höchsten Anteil an „Freier Freizeit“ und am meisten Energie für Freizeit und Aktivitäten, aber tendenziell wenig Struktur und Verbindlichkeiten in der Freizeitgestaltung. Männer, jüngere Altersgruppen und Führungskräfte sind in dieser Gruppe überproportional vertreten. Unauffällig in Bezug auf die Anfälligkeit für „Leisure Sickness“ sind die „Einzelgänger“.

Am besten geschützt sind die „Ausbalancierten“ und die „Verplanten“. Erstere sind weniger erschöpft von der Arbeit und haben deshalb mehr Lust auf Aktivitäten. Trotzdem nehmen in dieser Gruppe die Pflichten großen Raum ein, gut gelingt den „Ausbalancierten“ eine Freizeitgestaltung, die mit der Arbeit in starkem Kontrast steht. Bei den „Verplanten“ ist der Frauenanteil höher, Freizeit mit anderen ist in dieser Gruppe besonders wichtig, ebenso der Kontrast zur Arbeit. Blank sieht in diesen Ergebnissen erst den Anfang der Forschungsarbeit am Phänomen „Leisure Sickness“: „Wir tappen noch ziemlich im Dunklen.“ Seit den Untersuchungen von 2002 sei nicht viel weitergegangen. „Wir haben keine Evidenz und wissen nichts, das in die Tiefe geht.“ Nun will man an der UMIT am Thema dranbleiben, „aber für gesundheitstouristische Forschung Ressourcen zu bekommen, ist extrem schwierig“.

Evidenz aus der Rezeption

Optimal wäre es laut Blank, Hotels zu gewinnen, die ihre Gäste bei der Abreise fragen, ob sie im Urlaub krank waren und gegebenenfalls für Interviews der Forschergruppe zur Verfügung stünden. Aus diesen Interviews ließen sich Fokusgruppen und in der Folge differenzierte Fragebögen ableiten. „Dann wäre das Phänomen eingrenzbar, Symptome und Risikofaktoren klarer benennbar.“ Mit einer höheren Evidenz ließen sich auch gesundheitstouristische Angebote formulieren, maßgeschneidert für die genannten Risikogruppen. Vorerst muss es bei recht allgemein gehaltenen Empfehlungen bleiben. Dazu zählen eine Freizeitgestaltung, die mit der Arbeit kontrastiert, und „Sozialkontakte, die mir guttun“. Nicht neu, aber heutzutage nicht minder wichtig ist die Empfehlung, arbeitsbezogene Freizeit mit ständiger Erreichbarkeit auf ein Minimum zu reduzieren.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune