
Die Chance auf Remission von Typ-2-Diabetes
Erstmals wird in einer Konsensus-Empfehlung zum Management des Typ-2-Diabetes explizit die Chance auf Remission erwähnt. Der Weg dorthin führt allerdings über eine substanzielle Gewichtsreduktion. (Medical Tribune 12/19)
Im Rahmen des vergangenen Kongresses der Europäischen Diabetesgesellschaft EASD wurden in Berlin neue Konsensus-Empfehlungen der EASD und der amerikanischen ADA zum Management der Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetes präsentiert.1
Eine Option für hochmotivierte Patienten
Ein wichtiger, weil vollkommen neuer Punkt in der Leitlinie: Erstmals wird darin die Möglichkeit der Remission angesprochen – als Option für hochmotivierte Patienten. „If a patient wishes to aim for remission of type 2 diabetes …“, heißt es wörtlich in dem Dokument. Der Konsensus spricht zwei Strategien das Potenzial zu, die glykämische Kontrolle so weit zu verbessern, dass die Patienten ohne medikamentöse Therapie die Diagnosekriterien für einen Typ-2-Diabetes nicht mehr erfüllen: der bariatrischen Chirurgie und der radikalen Gewichtsreduktion durch Lebensstilmaßnahmen, insbesondere durch stark kalorienreduzierte Ernährung mit sogenannten Formula-Diäten.
Das geht deutlich über die bisherigen, sehr allgemein gehaltenen Lebensstilempfehlungen hinaus. „Es ist mittlerweile gut gesichert, dass sich mit Gewichtsreduktion eine substanzielle Verbesserung der glykämischen Kontrolle erreichen lässt“, sagte Prof. Dr. Apostolos Tsapas von der Aristoteles Universität in Thessaloniki anlässlich der Präsentation der Empfehlungen und nennt als Benchmark eine Reduktion des HbA1c von 0,9 Prozent bei einer Gewichtsreduktion um 9 kg. Der „game changer“, auf dessen Basis die Empfehlungen der Fachgesellschaften angepasst wurden, war die vor einigen Monaten prominent publizierte DiRECT-Studie (Diabetes Remission Clinical Trial), die die Wirksamkeit einer auf massiver kalorischer Reduktion in einer Population von Patienten mit Typ-2-Diabetes und einer Diabetesdauer von maximal sechs Jahren untersuchte.2
Die Probanden setzten alle Antidiabetika ab (Patienten unter Insulintherapie waren ausgeschlossen) und erhielten über drei bis fünf Monate eine Formula-Diät mit 825–853 kcal am Tag. Eine Kontrollgruppe erhielt „bestpractice care by guidelines“. Nach der Diät-Phase wurden die Patienten schrittweise auf Normalkost umgestellt und erhielten langfristig Beratung zu Ernährung und Gewichtskontrolle. Nach zwölf Monaten hatten 24 Prozent der Patienten in der Interventionsgruppe und kein Patient der Kontrollgruppe mindestens 15 kg abgenommen. Diabetes-Remission, definiert durch ein HbA1c unter 6,5 Prozent erreichten 46 Prozent der Patienten in der Interventions- und vier Prozent in der Kontrollgruppe (Odds Ratio: 19,7; 95 % CI: 7,8–49,8; p<0,0001). Tsapas betont, dass Formula-Diäten für die Patienten leicht und von zahlreichen kommerziellen Anbietern erhältlich und sicher sind.
Bariatrische Chirurgie als Methode der Wahl
Die neuen Empfehlungen betonen auch den Stellenwert der bariatrischen Chirurgie, die bei Patienten mit einem BMI über 40 die Methode der Wahl sein kann, wenn mit konservativen Methoden keine Gewichtsreduktion erzielt werden kann. Bei schlechter glykämischer Kontrolle kann eine chirurgische Intervention auch bereits bei einem BMI zwischen 35 und 39 erwogen werden. Es bestehen jedoch zahlreiche potenzielle körperliche und psychische Kontraindikationen. Bariatrische Chirurgie führt bei Typ-2-Diabetes zu hohen Remissionsraten oder wenigstens zu verbesserter glykämischer Kontrolle, erklärte Prof. Dr. Geltrude Mingrone vom Londoner King’s College im Rahmen der Präsentation der Empfehlungen. Dem steht jedoch das Risiko unmittelbarer postoperativer Komplikationen sowie metabolischer Spätkomplikationen (Mangelernährung) gegenüber. Die bariatrische Chirurgie hat damit in den ADA/EASD-Empfehlungen die Rolle einer sinnvollen Strategie des letzten Auswegs, wenn andere Methoden versagen.
Warum die Kalorienreduktion scheitert
Die Autoren der DiRECT-Studie beschäftigen sich unterdessen mit der Frage, warum die kalorische Reduktion nicht bei allen Patienten den gewünschten Erfolg bringt. Prof. Dr. Roy Taylor, Senior-Autor und Initiator von Di- RECT, präsentierte im Rahmen des EASD 2018 zwei Poster zu dieser Fragestellung. Im Rahmen von DiRECT wurden auch das Leberfett mittels 3-Point-Dixon-MRI sowie der VLDL1-TG-Metabolismus in der Leber und die Erste-Phase-Insulinsekretion vor und nach der Gewichtsreduktion gemessen. Im Rahmen der präsentierten Studie wurden diese Werte von Respondern und Non-Respondern verglichen.
Die Auswertung zeigte, dass Non-Responder im gleichen Ausmaß wie Responder an Leberfett verloren. Die hepatischen VLDL1-TG nahmen in beiden Gruppen ab, wobei die Reduktion bei den Non-Respondern jedoch die Signifikanz verfehlte. Plasma-Triglyzeride nahmen in beiden Gruppen gleichermaßen ab, ebenso wie das ektope Fett im Pankreas. Bei Respondern kam es jedoch zu einer substanziellen Erste-Phase-Insulinantwort, die bei Non-Respondern komplett ausblieb. Offenbar erholt sich die de-differenzierte Beta-Zelle, so Taylor, also bei manchen, aber nicht bei allen Patienten, wenn der metabolische Stress reduziert wird. Längere Diabetes-Dauer war mit schlechterem Ansprechen assoziiert, wobei Patienten mit einer Diabetes-Dauer von mehr als sechs Jahren aus DiRECT ausgeschlossen waren.3
Eine weitere Analyse in einer Subgruppe der DiRECT-Population stellt dieses Ergebnis jedoch infrage. Zog man für die VLDL1-TG-Produktion einen Grenzwert von minus zehn Prozent ein, so zeigte sich, dass sich bei Patienten, deren VLDL1-TG-Produktion um mehr als zehn Prozent abnahm, auch die Insulinantwort verbesserte. Größere Reduktion der VLDL1-TG-Produktion war assoziiert mit höherer VLDL1-TG-Produktion, höherem Nüchternzucker und höheren Insulinspiegeln bei Einschluss in die Studie.4 Möglicherweise definieren diese Daten eine Subgruppe von Patienten, die metabolisch besonders gut auf Gewichtsreduktion anspricht.
Referenzen:
1 Davies MJ et al. Management of hyper-glycaemia in type 2 diabetes, 2018. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia 2018 Dec; 61(12): 2461– 98, doi: 10.1007/s00125-018-4729-5; Diabetes Care 2018 Dec; 41(12): 2669–701, doi: 10.2337/dci18-0033
2 Lean ME, Leslie WS, Barnes AC et al., Lancet 2018; 391: 541–51
3 Taylor R et al., EASD 2018; Poster #512
4 Al-Mrabeh A et al., EASD 2018; Poster #585
54th Annual Meeting of the European Association for the Study of Diabetes (EASD); Berlin, Oktober 2018