„Pathologen-Mangel ist größer, als offizielle Zahlen zeigen“

Die neue Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie (ÖGPath), Prim. Dr. Christa Freibauer, startete ihr Amt am 1. Jänner 2019 mit der großen Baustelle Fachärztemangel. Mit der krebs:hilfe! sprach Freibauer über die Nachwuchsarbeit und die Herausforderungen der Pathologie. (krebs:hilfe! 1–2/19)

krebs:hilfe!: Ärzte-Nachwuchsarbeit haben Sie als eines Ihrer Kernprojekte genannt. Wie akut ist der Mangel?

Freibauer: Der Fachärztemangel ist eklatant. Es gibt in Österreich laut Ärztekammer etwa 350 gemeldete Pathologen. Diese Zahl entspricht jedoch leider nicht der Realität und muss differenziert betrachtet werden. Hier sind Ärzte gelistet, die der Versorgung gar nicht mehr oder nur teilweise zur Verfügung stehen, wie z.B. Ärzte, die schon in Pension sind und hin und wieder Vertretungen übernehmen. Diese verzerren die Statistik nach oben. In Niederösterreich würde ich sagen, dreht sich das um etwa 25 Prozent. Für die Planung der Versorgung bzw. Einschätzung, ob Pathologie ein Mangelfach ist, wird aber die Gesamtzahl der Fachärzte herangezogen – gerechnet mit Köpfen, ohne Berücksichtigung des Beschäftigungsausmaßes.

Das heißt, man müsste die Statistik bereinigen …

Wir sind gerade dabei, die Zahlen für jedes Bundesland durchzuschauen. Für Niederösterreich bin ich sicher, die Situation gut genug einschätzen zu können, da wir PathologInnen hier sehr gut vernetzt sind. In den meisten anderen Bundesländern sieht die Lage aber ähnlich aus.

Was erhoffen Sie sich von einer realistischen Statistik?

Das bringt uns dahingehend weiter, dass die Situation, in der sich die Pathologie befindet, objektiv betrachtet werden kann. Damit können wir den Fachärztemangel aber noch nicht aufhalten. Ein Faktor, der die Entwicklung beschleunigen wird, kommt ja erst auf uns zu. Wir haben eine große Gruppe an Pathologen, die annähernd altersgleich ist und in den nächsten Jahren in Pension geht. Auch wenn wir jetzt junge Menschen für die Pathologie begeistern – es wird trotzdem eine Lücke geben.

Das heißt, die jetzt arbeitenden Pathologen müssten länger arbeiten, bis die neuen nachrutschen?

Genau. Deshalb ist unser zweites Anliegen – neben der Nachwuchsförderung – der Gedanke des sogenannten Productive Agings. Hier sind wir gerade dabei, die rechtlichen Grundlagen für die Möglichkeit auszuloten, dass Kollegen länger arbeiten können – auch über das gesetzliche Pensionsalter hinaus. Gelebt wird es ja schon. Es gibt österreichweit einige Kollegen im Pensionsalter, für die wir sehr dankbar sind, weil sie weiterhin einspringen oder sich auch um die jungen Kollegen und deren Ausbildung kümmern.

Wie sieht dieses Modell dann genau aus?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Einerseits natürlich ein späterer Pensionsantritt. Andererseits gibt es aber auch die Möglichkeit, in Pension zu gehen und anschließend über Projekte oder im Rahmen einer Konsulententätigkeit zumindest als Teilzeitkraft weiterzuarbeiten. Schließlich bietet die reguläre Alterspension ja die Möglichkeit eines Zuverdienstes.

Und was haben Sie beim Thema Nachwuchsförderung konkret vor?

Wir können im Grunde jede Altersgruppe für die Pathologie begeistern, das beginnt schon im Kindergarten. Es hat etwa in Graz einen Workshop gegeben, da haben die Kinder Würstchen geschnitten, im Mikroskop angeschaut und Biodatenbanken angelegt. Die Kinder waren ganz begeistert dabei, das sieht man auch an den Fotos. Wo ich auch eine große Möglichkeit sehe, ist bei den Maturanten, die vorwissenschaftliche Arbeiten erstellen müssen – das ist der erste Zugang zur Wissenschaft. Wir haben zwar noch kein Projekt umgesetzt in diesem Bereich, aber es gibt Anfragen von Lehrern und Schülern.

Und wo liegt der Schwerpunkt der Nachwuchsarbeit ?

Definitiv bei den Medizinstudierenden und Jungmedizinern. Hier versuchen wir, jede Möglichkeit zu nützen, um uns vorzustellen. Einerseits machen wir mit Inseraten und Foldern auf uns aufmerksam und sind auch auf den Med-Karriere-Messen immer mit einem Infostand vertreten. Da sind unsere Jungpathologen mit großem Engagement dabei, bauen Mikroskope auf, zeigen histologische Bilder und knüpfen Kontakte. Andererseits richten wir uns auch ganz gezielt an Studierende, die kurz vor dem Abschluss stehen, die gerade ihr klinisch-praktisches Jahr absolvieren, und an Jungmediziner in der Basisausbildung. Nicht zuletzt hat der Vorstand der ÖGPath ein Forschungsförderungsprogramm beschlossen, das sich primär an die in Ausbildung zum Facharzt für Klinische Pathologie und Molekularpathologie stehenden ÄrztInnen richtet. Förderungsmittel sollen für zwei Programme zur Verteilung kommen. Bereits lange etabliert ist die Vergabe wissenschaftlicher Preise und Stipendien unserer Fachgesellschaft.

Gehen diese Konzepte auf ?

Ja, zum Teil funktioniert das sehr gut. Ich habe zum Beispiel drei Assistenten am Institut, wovon jeder auf seine individuelle Art große Begeisterung für unser Fach zeigt. Ich denke, es ist vor allem entscheidend, auf sich aufmerksam zu machen. Wir haben als Fach viel zu bieten. Die Pathologie ist ein hochgradig spannendes und wichtiges Fach. Das ist auch eine Anerkennung und Motivation für die Jungen, in einem so wichtigen Fach tätig zu sein.

Viele Fachgesellschaften klagen über eine Art Generationen-Gap in der Fachausbildung. Wie sieht das in der Pathologie aus?

Wir engagieren uns stark in der Fortbildung für Jungpathologen und haben jetzt diesbezüglich alle Aktivitäten in der „Pathology Future Academy“ zusammengefasst. Im Rahmen dieser Einrichtung wird das Netzwerken sehr wichtig genommen. Die Vortragenden sind meist aus unserer Fachgesellschaft und bekommen so auch einen guten Kontakt mit dem Nachwuchs. Durch die finanzielle Förderung seitens der Fachgesellschaft erreichen wir fast 100 Prozent unseres Nachwuchses

Gibt es auch eine eigene Jugendorganisation wie in anderen Fächern?

Unsere jungen Kolleginnen und Kollegen haben befunden, dass sie derzeit für eine eigene Organisation eine zu kleine Gruppe sind. Unsere rund 60 Jungpathologen sind auch gut eingebunden in die Fachgesellschaft. Seit einigen Jahren nominieren wir ein Vorstandsmitglied aus den Reihen der Juniormitglieder, dieses ist stimmberechtigtes Mitglied im Vorstand und hat die Möglichkeit, sich und die Anliegen ihrer jungen Kollegen dort einzubringen.

Wie kann und muss sich die Pathologie positionieren, um attraktiv zu sein?

Ich bin sehr glücklich, dass die damaligen Vertreter unserer Gesellschaft die Namensänderung unseres Faches im Rahmen der Ärzteausbildungsverordnung 2015 in „Klinische Pathologie und Molekularpathologie“ bewerkstelligen konnten. Seither spiegelt der Name unseres Faches genau das wider, was Pathologie in der Realität bedeutet. Wir haben als Fachgesellschaft nachgezogen. Seit der letzten Statutenänderung im September 2018 heißen wir jetzt offiziell Österreichische Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie.

Von Molekularpathologie ist derzeit vor allem im forschungsaffinen Umfeld viel die Rede. Wie viel ist in der Praxis angekommen?

Molekularpathologie ist nicht mehr nur eine Frage der Forschung, auch in der Praxis sind wir in Österreich weit fortgeschritten. Es geht darum, Molekularpathologie flächendeckend umzusetzen, Patienten sollen in ganz Österreich von den neuen Möglichkeiten der Molekularpathologie profitieren.

Welche Herausforderungen gibt es in der Pathologie?

Was im Zuge der Individualisierung der Medizin eine große Rolle spielen wird, ist die Digitalisierung. Für die Pathologie tun sich viele Fragen auf. Wer ist verantwortlich? Was ist technisch möglich? Wie ist die Datensicherheit, die Datenqualität?

Wie digital ist die Pathologie jetzt schon?

Das ist sehr unterschiedlich. Die meisten von uns verwenden bereits elektronische Laborinformationssysteme. An einigen Stellen werden auch schon Systeme verwendet, um Schnitte einzuscannen, die man dann an anderen Orten und mit digitaler Unterstützung befunden kann. Diese digitalen Möglichkeiten eröffnen Chancen für die Zukunft, die jedoch nicht von der Notwendigkeit, die nötige Anzahl an Pathologen zur Verfügung zu haben, ablenken soll.

Werden Tele-Tumorboards die Zukunft sein?

Es gibt bereits jetzt in vielen Häusern, in denen Tumorboards abgehalten werden, die Möglichkeit, Videokonferenzen abzuhalten. Unser Institut im LK Mistelbach kann sich mit jedem Haus, das wir mitversorgen bzw. mit den eingebundenen Strahlentherapeuten – von Wiener Neustadt bis Korneuburg – in Verbindung setzen. Rein vom Gefühlten her ziehen wir oft den persönlichen Kontakt vor, der eine gute Basis für eine gelungene Kommunikation darstellt, umgekehrt sind Tele-Tumorboards eine gute Lösung, wenn die Ressourcen knapp sind.

Pathologie hat eine Schlüsselfunktion in Forschung und Klinik. Wie sieht die Balance aus?

Die letztlich alles entscheidende Frage ist, was aus der klinischen Forschung wird für den einzelnen Patienten relevant. Wir sehen das auch als eine der Kernaufgaben einer Fachgesellschaft, die vielen Ideen und Ansätze aus der Forschung zu relativieren, um zu beurteilen, welche den Weg in den klinischen Alltag finden könnten. Des Weiteren erfordert die Einführung neuer Methoden zwangsläufig auch eine entsprechende forschungsorientierte Entwicklung und Validierung derselben, diese sollte notwendigerweise an pathologischen Instituten durchgeführt werden.

Der Stellenwert der Pathologie für die Therapie steigt ständig, spiegelt sich das auch in den Ressourcen wider?

Zum einen ist zu sagen, dass nicht nur die Fallzahlen, sondern auch der Aufwand in der Bearbeitung pro Fall steigt. Die Zahl der Fragestellungen, die wir mit einem Befund zu beantworten haben, ist deutlich höher geworden, als sie noch vor einigen Jahren war. Und zum anderen: Die Ressourcenplanung hinkt, wie die meisten von uns aus leidvoller Erfahrung wissen, meistens hinten nach. Das ist in der Medizin nicht anders als in anderen Bereichen. Aber wenn man die Entwicklung über viele Jahre betrachtet, dann ist die Anzahl der Stellen für Pathologen in den Instituten durchaus gestiegen, was uns wieder zur Problematik des Fachärztemangels führt, weil die Stellen unbesetzbar werden.

Ist das auch etwas, was die Fachgesellschaft aufzeigen wird?

Wir sind als Fachgesellschaft durchaus bemüht, auch Grundlagen für die Berechnung des Ressourcenaufwands in der Pathologie, der sich auch aus dem Österreichischen Strukturplan ableiten lässt, zu liefern. In Form des Normrichtwertekataloges ÖGPath, der in einigen Bereichen Aktualisierungsbedarf hat, gibt es eine Grundlage, den Personalbedarf in der Pathologie zu berechnen

Und wie sieht die Situation im niedergelassenen Bereich aus?

Die meisten Pathologen im niedergelassenen Bereich sind in großen Labors organisiert. Aber mit der neuen Möglichkeit, dass Ärzte in Ordinationen bzw. Gruppenpraxen nun auch wiederum Ärzte der gleichen Fachrichtung anstellen können, werden auch für Pathologen zusätzlich Varianten geschaffen, im niedergelassenen Bereich tätig zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über Dr. Christa Freibauer

Dr. Christa Freibauer ist Primaria am Institut für Klinische Pathologie und Molekularpathologie am LKH Mistelbach sowie seit 1. Jänner 2019 Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie (ÖGPath). Ihre medizinische Karriere startete Freibauer nach dem Medizinstudium 1988 im LKH Mistelbach, dem sie seither eng verbunden blieb. In Mistelbach absolvierte Freibauer ihre Facharztausbildung und wurde 1997 Oberärztin am Institut für Klinische Pathologie, dessen Leitung sie 2003 übernahm. Daneben ist sie seit 2006 außerordentliches Mitglied des Landessanitätsrates für Niederösterreich und engagiert sich seit 2013 sowohl in der Bundesfachgruppe als auch in der ÖGPath.