Morbus Gaucher: Enzymersatztherapie aus der Karotte
In den letzten 20 Jahren sind etliche Enzymersatztherapien (EET) für seltene und ultraseltene Erkrankungen zugelassen worden. Ein Paradebeispiel einer gut funktionierenden EET ist die für den Morbus Gaucher. (Medical Tribune 47/18)
Viele seltene Erkrankungen haben ihren Ursprung in einer Genmutation, die zu einem Enzym- oder Transporterdefekt führen. „Das macht ein Metabolitenmuster, das wir diagnostisch nutzen können“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Barbara Plecko, Leiterin der Klinischen Abteilung für allgemeine Pädiatrie an der Med Uni Graz.
Mit dem Neugeborenen-Screening können mittlerweile 25 Erkrankungen erfasst werden, dennoch verbleibt eine große Zahl an Erkrankungen, die zunächst klinisch erkannt werden müssen. „Das selektive Screening beginnt beim klinischen Bild. Da sind wir alle gefordert“, appellierte Plecko an ihre Kollegen. Das ist deshalb so wichtig, weil eine immer größer werdende Zahl an Erkrankungen behandelt werden kann. Die Therapie erfolgt entweder auf Substratebene (das Substrat wird – wie etwa bei der Phenylketonurie – diätetisch reduziert) oder auf Enzymebene (Enzymersatztherapie). Der Durchbruch der Therapie auf Genebene steht noch bevor und wird sicherlich die Behandlung seltener genetisch bedingter Erkrankungen revolutionieren.
M. Gaucher: Start der Enzymersatztherapie
Mit Enzymersatztherapie hat die Medizin mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung. Eine der ersten seltenen Erkrankungen, die damit behandelt wurden, ist der Morbus Gaucher. Dabei handelt es sich um eine lysosomale Speichererkrankung mit Multiorganmanifestation, die auf einem Defekt des Enzyms β-Glukozerebrosidase beruht. Betroffen sind vor allem Organe, die reich an Makrophagen sind: Leber, Milz und Knochenmark. Es kommt zu Hepatosplenomegalie, Anämie und Knochennekrosen. In seltenen Fällen ist auch das ZNS betroffen (neuropathische Form). Roscoe O. Brady identifizierte als Erster den Enzymdefekt bei M. Gaucher und gilt generell als Pionier der Enzymersatztherapie. Zunächst wurde die menschliche Plazenta zur Produktion der Glukozerebrosidase herangezogen, 1997 erhielt die erste rekombinante Enzymersatztherapie für M. Gaucher ihre Zulassung.
Plecko verwies auf den beeindruckenden Erfolg anhand eines Fallbeispiels: Bei einem kleinen Mädchen mit M. Gaucher kam es innerhalb von fünf Monaten zu einer deutlichen klinischen Rückbildung der Hepatosplenomegalie, zum Ende der Transfusionsabhängigkeit und zum Stopp der Knochenkrisen, die den schweren Knochennekrosen vorangehen. „Das ist sicher ein Paradigma einer gut funktionierenden Enzymersatztherapie“, so die Pädiaterin. Derzeit erhalten in Österreich laut Selbsthilfegruppe 21 Patienten mit M. Gaucher diese Enzymersatztherapie, die alle zwei Wochen per infusionem verabreicht werden muss. Mittlerweile gibt es Folgepräparate, die ebenso über den Orphan-drug-Status verfügen. Interessantes Detail am Rande: Eines davon wird in Karottenzellen hergestellt, wie Plecko berichtete.
Start- und Stop-Kriterien für Morbus Fabry
Dem Morbus Fabry liegt ein Defekt im Glycosphingolipid-Stoffwechsel mit fehlender oder verminderter Aktivität der lysosomalen Alpha-Galactosidase A zugrunde. Typische Symptome im Kindesalter sind die brennenden Hände und Füße, die immer Anlass zur Untersuchung des Harns auf eine Proteinurie geben sollten. In weiterer Folge kommt es zu einer fortschreitenden Abnahme der glomerulären Filtrationsrate, zu frühen Schlaganfällen und manchmal auch zur Entwicklung einer Kardiomyopathie. Da M. Fabry X-chromosomal vererbt wird, stellt die Diagnose bei Frauen mitunter ein Problem dar: Sie besitzen meist ein gesundes X-Chromosom, wodurch die Enzymaktivität im unteren Normbereich liegt. Hier erlaubt nur der Gentest eine definitive Aussage. Wie eine Cochrane-Metaanalyse gezeigt hat, lassen sich durch die Enzymersatztherapie die Akroparästhesien gut behandeln, was für den Patienten einen eindeutigen Zugewinn an Lebensqualität bedeutet.
Enttäuschend sei gewesen, so Plecko, dass sich die fortschreitende Niereninsuffizienz nicht aufhalten lasse, wenn man in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung mit der Therapie einsteige. Auch der Einfluss der Therapie auf die frühen Schlaganfälle sei fraglich. Deshalb brauchte es Start- und Stop-Kriterien, die 2015 von einer internationalen Arbeitsgruppe erarbeitet wurden:
- Eine klare Therapieindikation besteht bei Männern und Frauen im frühen Krankheitsstadium.
- Ein individuelles Abwägen ist bei deutlich eingeschränkter glomerulärer Filtrationstrate angezeigt.
- Ein Stop der Therapie ist bei schweren Komorbiditäten, bei Endstage-Fabry-Disease und bei gleichzeitigem Vorliegen einer schweren Nieren- und Herzinsuffizienz zu erwägen.
- Non-Compliance oder No-Shows sind ebenfalls ein Grund, die Therapie einzustellen. Plecko: „Wer so eine teure Therapie genießt – das muss man ganz ehrlich sagen –, der sollte sich verpflichtet fühlen, Kontrollen einzuhalten.“
Früher Therapiebeginn auch bei Morbus Pompe
Der Morbus Pompe ist eine muskuläre Erkrankung, die sich in zwei sehr unterschiedlichen Formen manifestiert:
- Die infantile Form mit schwerer Herzbeteiligung und muskulärer Hypotonie äußert sich oft schon früh anhand einer Trinkschwäche und Gedeihstörung.
- Die Late-onset-Form ohne Herzbeteiligung geht mit einer proximalen Muskelschwäche einher.
Zu achten ist beim M. Pompe auf die eingeschränkte Lungenfunktion, die sich abgekoppelt von der motorischen Funktion verschlechtern kann. „Das heißt, es gibt Patienten, die sind noch gehfähig, aber schon ateminsuffizient und umgekehrt“, beschreibt Plecko die möglichen Szenarien. Da die Betroffenen mit der Enzymersatztherapie viel länger leben als früher, tauchen jetzt auch zunehmend späte Manifestationen der Erkrankung auf, z.B. leukodystrophische Veränderungen und neuronale Hörstörungen. Plecko: „Das haben die Patienten früher gar nicht erlebt, weil sie an der Herzinsuffizienz verstorben sind.“ Wesentlich ist auch beim M. Pompe der frühe Therapiebeginn – das gilt insbesondere für die infantile Form, bei der der Herzmuskel wesentlich besser als der Skelettmuskel anspricht. Diese Kinder überleben zwar, sind aber oft an der Beatmung. Ein weiteres Problem der Therapie sind neutralisierende Antikörper, vor allem bei Betroffenen, die selbst gar kein eigenes Enzym bilden. Hier sollte die Enzymersatztherapie mit einer immunsuppressiven Therapie (Rituximab, MTX oder IgG) kombiniert werden.
Hurler, Hunter & Co früh klinisch erkennen
Mukopolysaccharidosen (MPS) zeigen in fortgeschrittenen Stadien ein typisches klinisches Bild, sodass sie in jedem Fall erkannt werden. „Im Frühstadium der Erkrankung sind die Mukopolysaccharidosen aber bei Gott keine Blickdiagnose“, räumte Plecko ein. Da es in Österreich kein Neugeborenen-Screening auf MPS gebe, seien die Ärzte klinisch gefordert, die Diagnose möglichst früh zu stellen. Das typische Gesicht mit betonten Augenbrauen und kurzer Nase, der Gibbus – also die Verkrümmung der Wirbelsäule – und häufige HNO-Infekte sollten etwa an MPS I (Hurler-Syndrom) denken lassen. Bei MPS II (Hunter-Syndrom) liegen bei kleinen Kindern etwas mildere Speicherphänomene vor. Wichtig ist darüber hinaus die Frage, ob eine ZNS-Beteiligung vorliegt. Denn die Enzymersatztherapie kommt in erster Linie für Patienten infrage, die primär viszerale Manifestationen haben (MPS VI, MPS IV, MPS I und MPS II).
Während es das Hurler- und das Hunter-Syndrom mit und ohne ZNS-Beteiligung gibt, steht beim Sanfilippo-Syndrom (MPS III) die ZNS-Beteiligung im Vordergrund. Beim Hurler-Syndrom ist die Stammzelltherapie eine sehr effektive Behandlungsoption. Diese Patienten bekommen die Enzymersatztherapie nur vor der Stammzelltransplantation. Schwieriger ist die Situation bei Patienten mit dem Hunter-Syndrom, bei denen eine ZNS-Beteiligung oft nur schwer vorherzusehen ist. Da wird mit den Eltern im Vorfeld besprochen, dass im Fall einer einsetzenden Neurodegeneration das Fortsetzen der Enzymersatztherapie nicht sinnvoll ist. Die intrathekale und intraventrikuläre Applikation der Enzymersatztherapie wird derzeit in Phase-I- und -II-Studien untersucht, hat bislang aber keine Zulassung erhalten. Derzeit stehen 23 Patienten in Österreich unter MPS-Therapie. Die Kosten dafür betragen 13,6 Millionen Euro.
9. Österreichischer Kongress für Seltene Erkrankungen; Graz, September 2018