Den Lebensstil erfolgreich verändert?

Der Fall. „Jetzt hab ich schon 4 Kilo abgenommen“, freut sich Ihr nächster Patient (45 J., Büroangestellter). „Ich hab es sogar geschafft, meinen Limonadenkonsum von 1 Flasche am Tag auf 1 Flasche in der Woche zu reduzieren. Was sagen Sie da? Jetzt können wir sicher auf die Medikamente verzichten, oder?“ Herr P. war vor gut 4 Monaten bei Ihnen, wie aus Ihren Unterlagen hervorgeht. Seine Zuckerwerte waren das letzte Mal ziemlich hoch (BZ 195mg/dl), aber er wollte auf keinen Fall sofort ein Medikament. Heute wollten Sie anhand der aktuellen Werte mit ihm die weitere Therapie besprechen. Nüchtern BZ: 180mg/dl, HbA1c: 9,5%, 135kg, 172cm, RR 150/85mmHg, Temp. 36,9°C. Die Statine, die er wegen seiner Hypercholesterinämie nehmen sollte, hat er schon vor längerem abgesetzt, da es ihm ja eh gut gehe. Wie gehen Sie bei diesem Patienten weiter vor? Was sagen Sie ihm? Können Sie, wie Ihr Patient denkt, auf die Medikation verzichten? (ärztemagazin 15/18)

„Der BMI ist massiv überhöht und muss schrittweise auf <35 gesenkt werden“

o. Univ.-Prof. em. Dr. Werner Waldhäusl
FA für Innere Medizin/Endokrinologie & Stoffwechsel, Wien, www.ordination-waldhaeusl.at
Herrn P. ist zu gratulieren, er hat immerhin mit der Abnahme von 4 kg/4 Monate einen Anfangserfolg erzielt. Er übersieht in seiner Begeisterung jedoch, dass ein BMI von 45,6 (Körpergewicht 135kg, Größe 1,72m) immer noch massiv überhöht ist und schrittweise auf <35 abgesenkt werden muss, wenn durch Adipositas simplex gravis bedingte Folgeerkrankungen wie Gicht, Gelenkschäden, Hypertonie und Typ-2-Diabetes (T2D) vermieden werden sollen. Das verlangt allerdings viel Disziplin und eine Umstellung des Lebensstils auf eine Kost reich an gedünstetem Gemüse und Obst (keine Bananen) mit etwa 1.500 kcal/Tag, verteilt auf fünf kleinere Mahlzeiten und additiv Bewegung im Ausmaß von etwa 400kcal/d, wöchentliches Wiegen und das Vermeiden jeder neuerlichen Gewichtszunahme.

Das skizzierte Ziel von etwa 103kg ist bei einer disziplinierten Lebensweise und einer Gewichtsabnahme von 1kg/Monat binnen 3 Jahren zu erreichen und sollte es dem Patienten ermöglichen, sein HbA1c von dzt. 9,5% auf <7,0% zu reduzieren. Auf diesem Weg sollte es durchaus möglich sein, allenfalls notwendige Antidiabetika weitgehend zu reduzieren oder dar­auf zu verzichten. Wichtig in diesem Prozess ist allerdings, dass orale Antidiabetika auf die unterstützende Medikation mit Metformin, DPP-4-Hemmern und GLP-1-Agonisten beschränkt werden und die Gabe von Insulin und insulinotropen Substanzen (Sulfonylharnstoffe etc.) wegen der damit verbundenen Gewichtszunahme vermieden wird. Die Motivation des Patienten für das Beschreiten dieses Weges und die nötige Selbstdisziplin sollte nicht nur aus dem Vermeiden der Folgeerkrankungen einer Adipositas 3+, sondern auch aus dem Vermeiden einer nur allzu oft empfohlenen, aber letztlich verstümmelnden bariatrischen Magenoperation gewonnen werden.

„Bei Fehlen von Kontraindikationen ist die Basis der Therapie Metformin“

Dr. Christoph Strehblow, 
FA für Innere ­Medizin, Rheumatologie, ­Endokrinologie und ­Diabetologie, Wien
In diesem Fall ist die ausführliche Aufklärung des Patienten über die gesundheitlichen Folgen einer derart schlechten Stoffwechselsituation von zentraler Bedeutung – nur so kann eine langfristige Adhärenz erreicht werden. Patienten müssen die wesentlichen Hintergründe, die zu Diabetes Typ 2 und der verbundenen Hyperglykämie führen, verstehen, um neben der in dieser Situation unbedingt nötigen medikamentösen Therapie die kausal zum Ziel führende Lebensstilmodifikation durchzuführen. Obwohl das Ausmaß der Blutzuckersenkung einer Einzelsubstanz von der Höhe des Ausgangsblutzuckers abhängt, wäre bei diesem Patienten neben der Lebensstilmodifikation auch eine initiale duale medikamentöse Therapie in Betracht zu ziehen, wie es auch die Leitlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft vorsehen, um den glukotoxischen Effekt der Hyperglykämie und den lipotoxi­schen Effekt der freien Fettsäuren auf die Betazellen rasch zu reduzieren.

Bei Fehlen von Kontraindikationen ist die Basis der Therapie Metformin, in diesem Fall eventuell ergänzt um eine zweite Substanz. Die Wahl der zweiten antidiabetischen Medikation ergibt sich durch eventuelle Co-Morbiditäten oder Kontraindikationen. Die zunehmende Evidenz in Hinblick auf Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse einzelner neuerer Diabetesmedikamente kann in diese Überlegungen durchaus mit einfließen. Bezüglich des Einsatzes eines Cholesterinsenkers (vor allem Statine) bestehen klare evidenzbasierte Empfehlungen, die sich am Gesamtrisiko des Patienten für kardiovaskuläre Ereignisse und dessen aktuellen Lipidwerten orientieren. Aufgrund der zugrundeliegenden Stoffwechselstörung schaffen die meisten Typ-2-Diabetiker eine nichtmedikamentöse Zielwerterreichung nicht, sodass der Einsatz eines Statins sehr oft zu empfehlen ist.

„Das Statin nicht einzunehmen war eine wirklich schlechte Entscheidung“

Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik, 
1. Medizinische Abteilung Krankenanstalt Rudolfstiftung, Wien
Die Diabeteseinstellung ist trotz der erfreulichen Ernährungsumstellung und der Gewichtsabnahme mit einem HbA1c von 9,5% nicht zufriedenstellend. Gerade in Anbetracht des Alters des Patienten sollte der HbA1c-Zielwert unter 6,5% liegen. Laut gültigen Leitlinien hätte bereits bei Diagnosestellung mit einer medikamentösen Diabetestherapie begonnen werden sollen, die der Patient aber ablehnte. Nun aber muss eine medikamentöse Therapie erfolgen, da vermutlich bereits eine nicht unerhebliche Betazelldysfunktion besteht. Leitliniengemäß sollte bei dieser schlechten Diabeteseinstellung bereits primär mit einer Metformin-basierten dualen Therapie begonnen werden. In Anbetracht der gleichzeitig bestehenden Hypertonie und Adipositas eignet sich die Kombination von Metformin mit einem SGLT2-Hemmer, da es neben der glykämischen Verbesserung zu einer Senkung von Blutdruck und Körpergewicht kommt. Wird das Therapieziel nicht erreicht, muss eine Therapieerweiterung erfolgen, wobei hier DPP4-Hemmer, GLP1-Rezeptoragonisten, Sulfonylharnstoffe, Pioglitazon und schließlich Insulin zur Verfügung stehen. In Anbetracht der Adipositas würde ich am ehesten für einen GLP1-Rezeptor­agonisten votieren.

Hier ist mit einer deutlichen Verbesserung der Glykämie sowie einer weiteren Gewichtsreduktion zu rechnen. Für alle drei verwendeten Substanzen gibt es positive Studien zur Verminderung des kardiovaskulären Risikos, zudem führen sie nicht zu Hypoglykämien. GLP1-Rezeptor-agonisten werden derzeit jedoch nur bei einem BMI über 30kg/m2 und einem HbA1c über 8% unter vorbestehender antidiabetischer Therapie erstattet. Das Statin nicht einzunehmen war eine wirklich schlechte Entscheidung des Patienten. Da Menschen mit Typ-2-Diabetes ein deutlich erhöhtes Risiko für Myokardinfarkt und Schlaganfall aufweisen, müssen die LDL-Cholesterinwerte unter 70mg/dl liegen. Dies gelingt in der Regel nur durch eine konsequente Statinmedikation. Natürlich summieren sich die einzunehmenden Medikamente, was die meisten Patienten als sehr störend empfinden. Allerdings gibt es eine gute Nachricht: Eine kürzlich im „New England Journal of Medicine“ publizierte Studie konnte zeigen, dass Menschen mit Diabetes, welche mit ihren Blutzucker-, Blutdruck- und Lipidwerten innerhalb der Zielbereiche liegen, die gleiche Lebenserwartung wie Nicht-Diabetiker haben.