Infektionen – ein Dauerbrenner
Der Kampf gegen Infektionskrankheiten ist eine Geschichte von Erfolgen, aber auch von Rückschlägen und neuen Herausforderungen. Zu tun gibt es genug, vor allem gegen robuste Überlebenskünstler. (Medical Tribune 26/18)
Die Pocken waren seit der Antike eine Geißel der Menschheit. Unbehandelt verliefen sie in vermutlich 30 Prozent der Fälle tödlich. Nach Schätzungen starben um 1800 weltweit jedes Jahr 400.000 Menschen an Pocken, darunter bis zu zehn Prozent aller Kleinkinder. 1980 jedoch erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Pocken für ausgerottet. „Das war das erste Mal in der Geschichte, dass eine Viruserkrankung aufgrund gezielter menschlicher Aktivitäten von der Erde verschwand“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Norbert Nowotny vom Institut für Virologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Mohammed Bin Rashid University of Medicine and Health Sciences in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate.
Eine Erfolgsgeschichte
Die letzten 50 Jahre der Infektiologie können als große Erfolgsgeschichte gelesen werden. Gegen viele schwere Infektionserkrankungen gab es schon seit Längerem Impfungen, in jener Zeitspanne aber wurden immerhin Vakzinen gegen Röteln (1969), Frühsommer- Meningoenzephalitis FSME (1974), Hepatitis B (1981), Hepatitis A (1990) oder das Humane Papillomavirus HPV (2006) zugelassen. Auch in der Forschung gab es Meilensteine, etwa die Entwicklung der Polymerase- Kettenreaktion 1983, die erstmals eine sensitive und spezifische Diagnostik basierend auf dem Genom von Krankheitserregern erlaubte. Die vergangenen fünf Jahrzehnte waren aber auch von Rückschlägen und neu auftretenden Herausforderungen geprägt. „Ein Riesenproblem sind die Antibiotikaresistenzen, die in den beiden letzten Jahrzehnten vermehrt aufgetreten sind“, betont Nowotny.
Aufgrund von übermäßigem Antibiotika- Einsatz bei Nutztieren und in der Medizin – etwa Antibiotika bei Viruserkrankungen – wird die wichtigste Waffe der Menschen gegen bakterielle Infektionen langsam stumpf. Auch konnte ein Sieg wie über die Pocken bislang in der Humanmedizin nicht wiederholt werden. „Der ursprüngliche Plan der WHO war Polio bis 2000 auszurotten“, erinnert sich Nowotny. Heute, 2018, kommt es noch immer vereinzelt zu Ausbrüchen von Kinderlähmung. Grund waren kriegerische Handlungen in den noch vorhandenen Endemiegebieten Afghanistan und Pakistan. „Es wird jedoch vermutlich nur mehr einige wenige Jahre dauern, bis Polio tatsächlich weltweit ausgerottet sein wird“, ist der Wiener Virologe überzeugt. Überdies sind in den letzten Jahren verstärkt neue Infektionskrankheiten aufgetaucht bzw. erstmals in Gebieten aufgetreten, in denen sie bislang nicht vorkamen.
Die Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von „emerging diseases“. Dazu zählt auch AIDS bzw. die HIV-Infektion (siehe Seite 36–37). Die Infektion ist heute relativ gut durch Kombinationspräparate behandel-, aber nicht heilbar. Unzählige Versuche, Impfstoffe gegen HIV zu entwickeln, sind fehlgeschlagen. In jüngerer Zeit plötzlich aufgetaucht war SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome), das 2002/2003 weltweit etwa tausend Todesopfer forderte, oder MERS (Middle East Respiratory Syndrome), das erstmals 2012 auftrat und bislang zu weltweit 750 Todesopfern geführt hat. Ebola wiederum war zwar in ländlichen Regionen Zentralafrikas bereits länger bekannt, wütete aber 2014 plötzlich in Westafrika, unter anderem auch in Großstädten.
Im Laufe der Epidemie wurden laut WHO 28.639 Menschen infiziert, von denen 11.316 starben. „Durch Klimawandel, globale Erwärmung und internationalen Reiseund Güterverkehr treten immer mehr Infektionskrankheiten in Gebieten auf, in denen sie vorher nicht waren“, bekräftigt Nowotny. Seit 2008 ist etwa in Ostösterreich ein ursprünglich nur in Afrika vorkommender West-Nil-Virus-Stamm beheimatet. Zugvögel schleppten ihn vermutlich zuerst nach Ungarn, von wo er sich rasch ausbreitete. Dieses Virus wird von heimischen Stechmücken übertragen. Andere Erreger wie das Dengue-Virus oder das Chikungunya-Virus brauchen bestimmte Überträger. „Wenn bei uns das Klima wärmer wird, werden sich exotische Stechmückenarten jedoch auch in Österreich etablieren“, weiß Nowotny: „Wird zum Beispiel ein frisch mit dem Dengue-Virus infizierter Urlauber zufällig von einer solchen Gelse gestochen, dann ist eine direkte Übertragung der Krankheit auf andere Menschen auch bei uns möglich.“
Italien, Frankreich und Kroatien hatten bereits kleinräumige Ausbrüche von Dengue- und Chikungunya-Infektionen. „Deshalb wäre ein staatlich unterstütztes Überwachungsprogramm von exotischen Stechmückenarten und eingeschleppten Erregern dringend notwendig“, fordert der Virologe. Ein infektiologischer Dauerbrenner ist auch die Influenza. Zum einen gibt es die jährliche saisonale Grippe, bei der man nach wie vor an besseren Impfstoffen arbeitet, zum anderen immer wieder völlig neue Grippeviren, die sich länder- und kontinentübergreifend ausbreiten. Vor genau 50 Jahren brach die bislang letzte verheerende Grippepandemie aus, an der weltweit von 1968 bis 1970 geschätzt eine Million Menschen starben: die Hongkong-Grippe. Seither gab es einige gefährliche Pandemie-Kandidaten, wie die seit 2003 grassierende Vogelgrippe H5N1, die zwar hochpathogen für Geflügel, aber bis heute nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist, mit rund 450 Todesopfern weltweit. 2009/2010 kam es zur bisher letzten Grippe-Pandemie, der „Schweinegrippe“ H1N1 – hochansteckend, aber nicht wesentlich pathogener als die saisonale Grippe.
Noch mal Glück gehabt
Warum ist die „echte Grippe“ potenziell so gefährlich? Influenza-Viren haben ein segmentiertes Genom. Diese Genomabschnitte können sich relativ leicht zwischen diversen Influenza- Viren austauschen, vor allem dort, wo Menschen, Vögel und Schweine eng zusammenleben. Dadurch kann ein neues Influenza-Virus entstehen, gegen das kein Mensch Immunität besitzt und das sich dann weltweit ausbreiten kann. In weiten Teilen Asiens und Afrikas überschnitten sich seinerzeit die H5N1-Vogel- und die H1N1-Schweinegrippe. Glücklicherweise kam es zu keinen Rekombinationen: „Eine neues Grippevirus, das die hohe Pathogenität des H5N1-Virus und die hohe Übertragbarkeit des H1N1-Virus vereint hätte, wäre eine Katastrophe gewesen. Da hat die Menschheit noch einmal Glück gehabt“, bekräftigt Nowotny. „Ein Impfstoff, der gegen alle Influenza- Viren wirksam ist, wäre ein Segen“, erklärt Nowotny.
Doch das ist nicht so einfach: Man müsste einen Virus-Baustein finden, der sowohl allen Grippeviren gemeinsam ist, als auch eine Immunantwort beim Menschen hervorruft, erklärt der Virologe. Sollte es wieder einmal zu einer Grippepandemie kommen – man nimmt an, dass dies wahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren passieren wird – oder auch zum Ausbruch einer anderen „emerging disease“, ist die Menschheit aber nicht ganz unvorbereitet. Die Infektiologen sind heutzutage weltweit vernetzt. Wenn irgendwo auf der Welt eine Infektionskrankheit auftritt, die potenziell gefährlich ist, werden – koordiniert von der WHO und dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) – sofort alle einschlägigen Experten weltweit informiert. Nowotny: „Wir stehen alle in intensivem Kontakt miteinander, um die Entstehung und Ausbreitung neuer Infektionserkrankungen von Anfang an zu verfolgen und Maßnahmen zu ergreifen.“