
Psychisch Kranke zum Sporteln bewegen

Die Sporttherapie hat sich im stationären Kontext vieler Psychiatrien etabliert. Doch wie geht es „draußen“ weiter? Konzepte dazu stellte die AG Sportpsychiatrie auf der ÖGPP-Jahrestagung vor. Wichtig ist Realismus, sind doch auch psychisch Gesunde mitunter bewegungsfaul. (Medical Tribune 21/18)
Zwar gebe es für Sport- und Bewegungstherapie bei vielen psychiatrischen Erkrankungen nur geringe bis mittlere Evidenz, holt Prim. Dr. Wolfgang Preinsperger, Leiter Abteilung II, Anton Proksch Institut (API), Wien, auf dem Psychiatrie-Kongress in Gmunden aus. Das liege aber teilweise an der Heterogenität der Therapietechniken, Settings und Indikationsstellungen.
Nach der Entlassung in Bewegung bleiben
Eindeutig belegt ist die Wirkung von Sport- und Bewegungstherapie bei depressiven Erkrankungen und Angsterkrankungen. Ebenso gut untersucht ist, dass körperliche Aktivität das Auftreten von Demenzerkrankungen verzögert. Die kognitiven Funktionen verbessern sich, insbesondere durch körperliches Training in früheren Lebensjahren. Die Sport- und Bewegungstherapie fand auch Aufnahme in die S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ (AWMF-Registernr.: 038-020).
Um begonnene sporttherapeutische Aktivitäten und einen körperlich aktiven Lebensstil aus dem stationären in den ambulanten Bereich erfolgreich und nachhaltig zu transferieren, ist laut Preinsperger Folgendes wichtig:
- auf das „Danach“ fokussieren (selbstständiges Weiterführen),
- Motivationsarbeit/„Coaching“ (ggf. Fortführung im ambulanten Setting),
- davor und begleitend darüber reden, motivieren, Vorlieben/Vorerfahrungen erfragen und berücksichtigen, Ausprobieren ermöglichen und vor allem die realistische Umsetzbarkeit beachten.
„Ich denke, die Motivationsarbeit ist auch unser Job als behandelnde Ärzte sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich“, betont Preinsperger, es mache einen Unterschied, ob ein Patient anonym in eine Sporttherapie oder in sporttherapeutische Gruppenaktivitäten zugewiesen werde oder ob man diese vom ärztlichen Standpunkt aus fördert. Die Umsetzung „draußen“ hängt von vielen Fragen ab: Wozu ist der Patient bereit? Was ist aufgrund seiner Sportbiografie überhaupt realistisch erreichbar? Was ist in seinem Lebenskontext machbar, in seiner Wohnumgebung, seinem sozialen Netzwerk? Der Übertritt aus der stationären in ambulante Behandlung ist die erste „Sollbruchstelle“. Deswegen sei einerseits ein strukturiertes, geplantes, eventuell (nach Indikationsstellung und Vereinbarung) verpflichtendes Angebot im stationären Bereich wichtig, damit die Patienten, von denen viele inaktiv sind, an körperliche Aktivitäten herangeführt werden.
„Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, schon Eigeninitiative und Eigenverantwortung im stationären Kontext zu stärken, weil diese danach in einem größeren Ausmaß erforderlich sind“, mahnt Preinsperger. Die nächste Herausforderung ist die Aufrechterhaltung körperlich-sportlicher Aktivitäten, da es bereits in der Allgemeinbevölkerung hohe „Dropouts“ aus gesundheitsfördernden Programmen gebe, erinnert Preinsperger. Eine besonders hohe Rate an Abbrechern zeige sich bei „Risikopopulationen“ wie psychisch Kranke, „insofern sind spezifische, strukturierte Interventionen gerade bei diesen Zielgruppen erforderlich, um die Rate an ‚Dabeibleibern‘ zu erhöhen“.
Gute Erfahrungen mit LOGIN bei Suchtkranken
In der Behandlung von Suchterkrankungen arbeitet das API mit „LOGIN“* zusammen, einem Verein zur Förderung von Inklusion und Partizipation durch Sport u.a. für Menschen mit psychischen Erkrankungen. „Login kommt zu uns in die Institution und bietet sportliche Aktivitäten an, die die Patienten draußen in ähnlicher Form, teilweise mit den gleichen Trainern, wahrnehmen können.“ Die Patienten gehen schon während des stationären Aufenthalts „in eine Struktur draußen, z.B. in eine Volleyballgruppe, in die sie dann auch nach der Entlassung gehen können“, berichtet Preinsperger. Demnächst wird das API auch Informationen über therapeutische Effekte von Sport und Bewegung strukturiert ins psychoedukative Programm einbauen.
Zur Diskussion Gruppenprogramme vs. Einzelarbeit unterstreicht der Psychiater: „Beides ist wichtig!“ Vielen falle es schwer, alleine aktiv zu bleiben. Sport in der Gruppe könne viele weitere positive Effekte haben – Kommunikation, soziale Fertigkeiten, Kontakt, Rücksichtnahme, Kooperation. Wichtig sei aber auch ein „Grundtraining“, das unabhängig von anderen Menschen oder bestimmten Voraussetzungen ist, „etwas Einfaches“, das jeder selbstverantwortlich wahrnehmen könne, wie Laufen oder Radfahren. Die Psychoedukation unterstreicht auch Dr. Wolfgang Pennwieser, Psychiater in Wien und Vorsitzender der Session: Man solle den Patienten vermitteln, dass Sport etwas sei, „das wie ein Medikament wirkt, aber viel weniger Nebenwirkungen hat“.
18. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik; Gmunden, April 2018
Sportliche Sozialpsychiatrie
In der Steiermark entwickelte der Psychosoziale Dienst Hartberg (Leiterin Dr. Ulrike Schrittwieser) das „Hartberger 5-Säulen- Modell“ für Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Problemstellungen und ihren Angehörigen:
- Gesundenuntersuchung/ Sportmedizin/-psychiatrie
- Bewegung
- Ernährung
- Resilienz
- Betriebliche Gesundheitsförderung Besonders gut angenommen wird „JuKiTz on the rocks“ – therapeutisches Klettern für Jugendliche.