11. Juli 2023Linzer Reisemedizinische Tagung

Notfälle in den Tropen

Die Versorgung von Notfällen in den Tropen kann eine große Herausforderung darstellen – vor allem in entlegenen Regionen. Medizinerinnen und Mediziner, die in solchen Gebieten tätig sind, sollten sich auf typische Stolpersteine vorbereiten, um bestmögliche Notfallmaßnahmen zu gewährleisten. Im Folgenden wird anhand von Fallbeispielen gezeigt, welche Strategien in solchen Regionen hilfreich sind.

Arzt gibt einem Kind eine Spritze
Bernhard Haberfellner

Die steigende Zahl von Reisenden mit spezifischen gesundheitlichen Risiken oder Vorerkrankungen, die oft ungewöhnliche Aktivitäten planen, erfordert eine sorgfältige Einschätzung ihrer Reisefähigkeit. Besonders bei Langzeitreisenden oder sozialen Arbeitseinsätzen ist es wichtig, die Anpassungsfähigkeit an die fremde Kultur zu berücksichtigen. Oftmals führen Reisende eine übermäßig umfangreiche Reiseapotheke mit sich, was in entlegenen Regionen zu unvorhergesehenen Problemen führen kann. Eine sinnvolle Maßnahme besteht darin, die Reiseapotheke gemeinsam mit dem oder der Reisenden zu überprüfen und unnötigen Ballast zu entfernen. Des Weiteren sollten Medikamente auf das Hand- und Großgepäck verteilt und relevante medizinische Befunde eingescannt werden. Bei Bedarf kann auch ein internationales Attest mitgeführt werden, insbesondere bei der Mitnahme von Opiaten oder Injektionsmaterialien. Es ist von großer Bedeutung zu beachten, dass Medikamentenfälschungen äußerst verbreitet sind und schwerwiegende Folgen haben können.

Vor Reiseantritt sind einige wichtige Vorbereitungen zu treffen. Dazu gehören die Überprüfung der medizinischen Versorgung im Reiseland, das Vorhandensein einer Reiserücktrittsversicherung und das Festlegen von Notfallstrategien. Oft werden medizinische Risiken über- oder unterschätzt. Eine reisemedizinische Beratung sollte neben infektiologischen Gefahren auch die Prävention von Unfällen in den Fokus nehmen.

Versorgung von Notfallpatienten und -patientinnen

Die Sicherheit am Unfallort steht an erster Stelle, wobei Vorsichtsmaßnahmen wie der Blick in den Rückspiegel und das Absichern der Unfallstelle wichtig sind. Flussdiagramme wie das ABCDE-Schema unterstützen die Ersthelferinnen und Ersthelfer, während eine sorgfältige Aufgabenverteilung und ein regelmäßiger Wechsel im Notfallteam eine angemessene Versorgung sicherstellen. Bei unklaren medizinischen Situationen ist es ratsam, die Arbeitsbedingungen zu optimieren. In tropischen Regionen sollte auf ausreichende Wärme für den Notfallpatient bzw. die Notfallpatientin geachtet werden, da die Helfenden die Auswirkungen einer schnellen Auskühlung möglicherweise nicht erkennen. Zudem ist eine Kontrolle des Blutzuckers und das Legen eines Venflons wichtig, um eine Hypoglykämie beispielsweise als mögliche Ursache neurologischer Erkrankungen zu berücksichtigen. In entlegenen Gebieten ist eine sorgfältige Planung notwendig, da die weitere Versorgung einer intubierten, analogsedierten Person oft nicht gewährleistet ist.

Allergische Reaktionen

Ein häufiger Notfall in den Tropen sind allergische Reaktionen (z.B. durch Insektenstiche), in der schwersten Ausprägung der anaphylaktische Schock. Sofortige Maßnahmen umfassen die Unterbrechung der Allergenzufuhr, die richtige Lagerung und den Schutz vor Wärmeverlust. Bei schwerer Anaphylaxie sollten zwei großlumige Zugänge gelegt und 500–1000ml Kristalloid sowie zusätzlich Sauerstoff (mind. 6–8l) und Notfallmedikamente verabreicht werden, darunter Adrenalin (0,5mg i.m./EpiPen), H1-Antagonisten (Dibondrin 30mg i.v.) und Solu-Dacortin (250–500mg i.v.). Stethoskop, Pulsoxymeter und Blutdruckmanschette sind ausreichend. Wichtig ist es, zu beachten, dass bei ca. 5–20% der Personen nach zunächst erfolgreicher Therapie ein biphasischer oder protrahierter Verlauf innerhalb von 6–24 Stunden auftreten kann, insbesondere bei Asthmatikerinnen und Asthmatikern. Intoxikationen sind aufgrund unzureichender Schutzvorkehrungen häufig. Zuerst sollte an den Eigenschutz gedacht, die Giftzufuhr gestoppt, ein Antidot verabreicht, das Gift asserviert und die Vitalparameter sollten stabilisiert werden.

Verbrennungen sind ebenfalls häufig. Je schmerzhafter die Verbrennung, desto oberflächlicher ist sie. Zu berücksichtigen ist die Ursache der Verbrennung. So führen beispielsweise Öl und Strom zu tiefen Verbrennungen. Die betroffenen Hautstellen sollten möglichst schnell lokal gekühlt werden, jedoch unter Vermeidung von Unterkühlung. Betroffenen sollte ausreichend Flüssigkeit verabreicht werden, zudem ist an den Tetanusschutz zu denken. Als Schmerzmedikament eignet sich Ketamin.

Der neurologische Notfall

Der neurologische Notfall umfasst häufig epileptische Anfälle, die in einem Status epilepticus enden können. In Ländern wie Indien sind solche Anfälle oft neben Tuberkulose auf Neurozystizerkose zurückzuführen, verursacht durch Zysten des Schweinebandwurms Taenia solium im Zentralnervensystem. Bei Anfällen sollte der Blutzucker gemessen werden. Zur medikamentösen Behandlung stehen Lorazepam (2–4–8mg lgs. i.v.) und Midazolam (2–7,5–10mg) zur Verfügung. Bei Bedarf kann die Gabe nach 5–10 Minuten wiederholt werden (2–3x). Die Verwendung von Propofol (1%) in einer Dosierung von 2mg/kg KG i.v. kann bereits eine Indikation zur Intubation darstellen. Als Differenzialdiagnose sind Synkopen und psychogene Anfälle zu berücksichtigen. Synkopen sind in der Regel kürzer, während epileptische Anfälle mit spezifischen Beschwerden wie aufsteigender Wärme/Übelkeit und einseitigen Sensibilitätsstörungen im Gesicht einhergehen. Psychogene Anfälle dauern in der Regel länger als fünf Minuten. Generalisierte Anfälle können auf einen drohenden Herz-Kreislauf-Stillstand hinweisen.

Tauchunfälle

Bei Tauchunfällen, unabhängig von der spezifischen Art des Unfalls (DCS I oder II, AGE, …), ist eine gleichartige primäre Behandlung erforderlich. Wichtige Maßnahmen umfassen die Sicherung und regelmäßige Überwachung der Vitalfunktionen, die Dokumentation (Telefonnummern von Zeugen selbst notieren lassen), korrekte Lagerung, normobare Sauerstoffgabe, Anamneseerhebung, neurologische Untersuchung und Auskultation der Lunge. Bei einem Pneumothorax sollte vor dem Abflug eine Entlastung erfolgen. Infusionstherapie, Blasenkatheterisierung und schonender Transport in ein geeignetes Zielkrankenhaus sind ebenfalls wichtig. Eine hyperbare Sauerstofftherapie sollte rasch angestrebt werden, während die Verwendung von Acetylsalicylsäure, Heparin oder Kortikosteroiden nicht empfohlen wird. Bei Immersion, insbesondere bei kardial vorgeschädigten Personen, kann es zu Problemen kommen. Die Thermoregulation spielt eine entscheidende Rolle, insbesondere bei Kindern und Patientinnen und Patienten mit Vorerkrankungen wie Morbus Parkinson. Dabei kann eine Überwärmung ab 42,2°C bereits ein tödliches Maximum darstellen, wohingegen bei Unterkühlung ein wesentlich größerer Wechsel des Temperaturbereichs überlebbar ist. Bei Ertrinkungsunfällen sind eine großzügige Sauerstoffgabe und frühzeitige Intubation ratsam, während Volumentherapie zurückhaltend angewendet werden sollte. Die Verwendung einer Magensonde kann erforderlich sein, wenn eine Reanimation notwendig ist (vgl. Kinderreanimation: zuerst 5x beatmen, dann gleich wie immer die Herzdruckmassage. Beatmung im Wechsel, also: 30x2 weiter fortführen).

Tierbisse

Bisswunden durch Tiere sind bei Reisenden häufig anzutreffen. Um solche Verletzungen zu vermeiden, sollten Kleidung und Schuhe vor dem Anziehen überprüft werden. Toilettensitze sind oft Verstecke für Spinnen. Bei der Giftwirkung von Schlangen unterscheidet man zwischen Hämatotoxizität (Zahnfleischbluten, Hämoptoe, Hämaturie) und Neurotoxizität (Ptosis, Doppelbilder, Lähmung der Atemmuskulatur). Zudem können Zytokine im Gift zu starken Gewebsnekrosen und Schwellungen führen, die eventuell eine Fasziotomie notwendig machen. Tourniquets, Inzisionen an der Bissstelle sowie das Absaugen oder Auftragen von Salben sollten vermieden werden. Nach einem Schlangenbiss sind Ruhe und Wärme wichtig. Die betroffene Extremität sollte hochgelagert und immobilisiert werden. Tollwut wird oft unterschätzt. Bisse passieren extrem häufig, weshalb die Indikation zur präexponentiellen Tollwutprophylaxe großzügig gestellt werden sollte.

Naturkatastrophen, Kokosnüsse und Nahrungsgifte

Naturkatastrophen wie Tsunamis und Zyklone in den Tropen werden oft unterschätzt. Auch Kokosnüsse, die mit Urlaubsgefühlen verbunden sind, stellen eine ernsthafte Gefahr dar – jährlich sterben viele Touristinnen und Touristen durch herabfallende Nüsse oder werden schwer verletzt. Bei den Nahrungsgiften unterscheidet man Tiere, die an sich giftig sind, wie der Kugelfisch, und Tiere, die giftig werden. Das sind Raubfische, die am Ende der Nahrungsmittelkette stehen und somit bestimmte Algenformen (Dinoflagellaten) anreichern. Eine relativ häufige Fischvergiftung stellt Ciguatera dar. Typisch hierfür sind ein metallischer Geschmack und ein umgekehrtes Warm-Kalt-Empfinden.

Nesselverletzungen treten häufig bei Badeurlauberinnen und -urlaubern auf. Wichtig ist in dieser Situation, die verunfallte Person nie mit Süßwasser abzuwaschen, weil dies zu anaphylaktischen Reaktionen führen kann. Durch die Reizung der Qualle kommt es zum Abschießen eines Mini-Stiletts und dadurch zum Injizieren von Gift.

Bei sozialen Einsätzen im Ausland sind medizinische und organisatorische Herausforderungen zu bewältigen und oft ist eine geeignete Triage erforderlich, um die akutesten Fälle schnell zu identifizieren. Die medizinische Ausrüstung vor Ort ist häufig begrenzt, aber die Arbeit in solchen Situationen ist schon allein deshalb sehr reizvoll, da man entlegene und wunderschöne Gebiete erkunden kann, zu denen normale Touristinnen und Touristen kaum Zugang haben.

Häufige Erkrankungen von Einheimischen

Aufgrund der Koch- und Heizweise in Hütten mit offenem Feuer leiden Einheimische häufig unter Exazerbationen von COPD. Durchfälle sind aufgrund mangelnder Hygiene weitverbreitet und erfordern vor allem Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr als therapeutische Maßnahmen. Bei der Entscheidung für eine Antibiotikabehandlung sind die verschiedenen Resistenzsituationen zu berücksichtigen. In Slumgebieten sind Mangel- und Fehlernährung (Marasmus, Kwashiorkor) häufig anzutreffen, wobei eine zu schnelle Kalorienzufuhr Komplikationen verursachen kann. Diese Personen leiden oft auch unter Begleitinfektionen und haben einen unzureichenden Impfstatus. Das metabolische Syndrom und Depressionen nehmen weltweit – gerade in sehr armen Regionen – an Bedeutung zu. Auch die Kriminalität spielt in einigen Gebieten eine nicht zu unterschätzende Rolle, daher ist eine gute Vorbereitung ratsam.

Dr. Bernhard Haberfellner

Facharzt für spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, Arzt für Allgemeinmedizin,
Alpin- & Höhenmedizin/Expeditionsarzt,
Taucherarzt, Notarzt, 4020 Linz

www.tropenarzt.at

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Bernhard Haberfellner
Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum innere