13. März 2018

Hochpotente Debatte um Globuli

Zu einer Pro & Contra-Debatte über Homöopathie lud kürzlich die OBGAM in Linz. Das Match war fair, geht aber wie erwartet in die Verlängerung – nicht zuletzt wegen der Patienten, zu denen selbst Ärzte zählen. (Medical Tribune 11/18)

Herzlich, aber hart in der Sache: Grams, Nicole Hüttner (Moderatorin), Länger, Pilz, Peinbauer (v.li.).
Herzlich, aber hart in der Sache: Grams, Nicole Hüttner (Moderatorin), Länger, Pilz, Peinbauer (v.li.).

MT-Leser sind immer topinformiert, wie sich herausstellt: Er habe in einer Ausgabe ein Interview mit Dr. Natalie Grams gelesen und sich damals gleich ihr Buch „Homöopathie neu gedacht“ gekauft. So begründete Dr. Erwin Rebhandl, Präsident der OÖ Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (OBGAM), sein Motiv für die im Vorstand einstimmig beschlossene Fortbildungsveranstaltung Ende Februar. „Ich war wirklich eine Vollbluthomöopathin“, startete Grams in ihr Impulsreferat. Durch die Recherchen zu ihrem 2015 erschienenen Buch wurde sie jedoch zur Gegnerin der – Homöopathika. Denn was an der Homöopathie wirkt, sei nicht die verdünnte Arznei – „da ist nichts drin, das wissen wir heute aus physikalisch-chemischer Sicht“ –, sondern die Zuwendungsmedizin. Im Umgang mit den Patienten „können wir wirklich viel von der Homöopathie lernen“. Die nicht mehr praktizierende Ärztin, die derzeit u.a. als Kommunikationsmanagerin der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP – Die Skeptiker) tätig ist, zerlegt penibel das 200 Jahre alte Konzept und spricht von „Augenscheinplausibilität“ (Ähnlichkeitsprinzip).

Und die gerne berichteten „Erfahrungen“ einer Besserung oder Heilung seien kein Beweis, da sich die Arzneiwirkung nicht trennen lässt von anderen Heilungsmechanismen. Dazu zählen: „Droge“ Arzt, Placebo- Effekt, Zufall, Regression zur Mitte, Spontanheilungen, Besserung durch Absetzen von Medikamenten, Selbstheilungskräfte etc. Als Wirksamkeitsnachweis könnten daher nur qualitativ hochwertige Studien gelten. Die bekannteste und größte systematische Übersichtsarbeit ist jene vom australischen Gesundheitsministerium (NHMRC, 2015). 225 Einzelstudien seien hineingeflossen, „und trotzdem hat man nichts gefunden“. Auch in der von Homöopathen gerne zitierten Studie von Mathie (2014) stehe „im Grunde genommen genau das Gleiche drin, es gibt keine belastbaren Nachweise, dass die Homöopathie über Placebo-Niveau wirkt“. Warum sie hier stehe: Ihr sei es wichtig, auf die „Gefahren der Homöopathie“, nicht nur in der Medizin, wo wirksame Therapien unterlassen oder verschleppt würden, sondern auch auf „unser rationales Denken“ aufmerksam zu machen.

Und: „Es gibt keine friedliche Koexistenz von Schulmedizin und Homöopathie als Ergänzung, man kann die Medizin nicht besser machen, wenn man Unsinn integriert.“ Gerade die integrative Medizin sei ihm ganz wichtig, den „Touch“ davon hätten die Primärversorgungszentren (PVZ), stellte Dr. Thomas Peinbauer, der mit Rebhandl und Dr. Samy Zogholy in Haslach das PVZ „Hausarztmedizin plus“ betreibt, in seinem Impulsreferat klar. Medizin werde auch nicht „gedacht“, sondern sei eine „praxisorientierte Erfahrungswissenschaft“, das sage auch die WHO. Der ehemalige Präsident des Europäischen Komitees für Homöopathie sowie Generalsekretär des Weltverbands homöopathischer Ärzte geht ebenfalls auf den Australian Report ein, jedoch völlig gegensätzlich: Nur Studien mit mehr als 150 Teilnehmern und einem Jadad-Score 5/5 (Qualitätsscore) seien berücksichtigt worden: Damit blieben von anfangs 1.800 Arbeiten nur fünf Studien übrig, auf denen die Aussage „keine belastbare (‚reliable‘) Evidenz“ beruht.

Eine Black Box

Zur Wirkungsweise bekennt Peinbauer offen: „Wir wissen es nicht. Es ist eine Black Box.“ Aber auch bei Lachgas kenne man beispielsweise nicht den Wirkmechanismus. Ebenso bei Artemisinin, das zur Behandlung von Malaria von der Pharmakologin und TCM-Expertin Tu Youyou aus einer TCM-Arznei isoliert wurde – wofür sie 2015 den Nobelpreis bekam. Zur Evidenz von Homöopathie im hausärztlichen Bereich zitierte Peinbauer, der seit 2016 auch Univ.-Lektor für Allgemeinmedizin an der Johannes- Kepler-Universität für Komplementärmedizin ist, drei Publikationen aus dem EPI3-Projekt (2008–2012, Frankreich). Dabei handle es sich um eine Kohortenstudie mit 8.559 Patienten aus 825 Hausarztpraxen mit und ohne homöopathische Zusatzqualifikation. Ergebnis: Bei Infektionen der oberen Atemwege, muskuloskelettalen Erkrankungen und psychischen Störungen zeigte sich ein gleich guter klinischer Verlauf wie in der Schulmedizin, aber bei weniger Antibiotika, Psychopharmaka und halb so vielen NSAR.

Peinbauer verweist so wie Grams auf den Mathie-Review, der in einem medizin-transparent.at-Artikel (Cochrane Österreich) aufgegriffen wurde: Bei drei von 32 eingeschlossenen Studien sehen die Autoren einen ersten Nachweis eines „kleinen Effekts“ von klassischer Homöopathie. Die Antwort auf die Frage, ob Homöopathie besser als Placebo wirkt, lautet aber: „Wahrscheinlich nein“. Darauf beruft sich auch die Wiener Patientenanwältin Dr. Sigrid Pilz in der anschließenden Diskussion. Sie vertritt einen pragmatischen Ansatz: Homöopathie sei eine „Add-on-Therapie, eine Wohlfühlmedizin in Wahlarztpraxen“. Beschwerdefälle rund um homöopathische Behandlungen gebe es „sehr selten“. Sie habe aber als „aufgeklärter Mensch“ keinen Zugang zu dieser „Wiederverzauberung der Welt“. Univ.-Doz. Dr. Reinhard Länger, zuständig in der AGES-Medizinmarktaufsicht/ BASG für die Zulassung und Registrierung pflanzlicher und homöopathischer Arzneimittel, versichert: Homöopathische Arzneimittel würden auf Basis der Gesetze streng auf toxikologisch relevante Substanzen geprüft, vom Ausgangsmaterial beginnend.

„Auch beim Herstellvorgang reicht es nicht, dass ich ein Löfferl in den Neusiedler See schütte, sondern dieser muss den Kriterien für homöopathische Arzneimittel entsprechen.“ Die anschließende Diskussion war geprägt von vielen Einzelgeschichten, die Grams mit dem Hinweis auf „Anekdotensammlungen“ an sich abperlen ließ. Darunter eine niedergelassene Wahlärztin für Homöopathie und Psychotherapie, die nach 30 Jahren und 10.000 Patienten die Erfahrung machte: „Mit der Homöopathie erreiche ich wesentlich schneller eine Besserung bei psychischen und psychosomatischen Störungen als mit Psychotherapie alleine.“ Ein niedergelassener Kollege, Homöopath seit 26 Jahren, berichtete von Röntgenbildern als Beweis für homöopathische Behandlung einer Lungenentzündung und einem „Professor“, Schulmediziner, mit entzündeter Zehe: Diagnostiziert wurde eine beginnende Osteomyelitis, man riet ihm zur Amputation. Geholfen habe ihm ein Homöopath. Eine Kollegin verwehrt sich dagegen, „dass Homöopathen nicht klar denken, ich kann sehr wohl klar strategisch auch als Ärztin handeln, und ich weiß, wo die Grenzen sind“.

Klinische Prüfungen

Anwesende Schulmediziner betonten, dass sie ja auch „ganzheitliche Medizin“ betreiben. Das bestätigt Grams: „In Deutschland gibt es etwa 7.000 Ärzte für Homöopathie und 350.000 ohne – die haben auch gute Erfolge!“ Länger versuchte „als fast neutraler Beobachter dieser Diskussion“ zu vermitteln: „Ich finde es erstaunlich, dass man versucht, anhand von publizierten Daten zu sagen, Homöopathie wirkt oder wirkt nicht.“ Man könne nicht alles in einen Topf schmeißen. Er rät zu klinischen Prüfungen zu einem konkreten Arzneimittel mit einer Indikation. „Das geht auch für Produkte, die nicht aus der Denkweise der Naturwissenschaft kommen: Wir haben jetzt eine zentrale europäische Zulassung für ein Birkenrindenextrakt zur Wundheilung, das aus der Anthroposophie kommt!“. Auch Rebhandl glaubt: „Wir brauchen finanzierte, hochwertige Forschung, um der Klarheit näherzukommen.“

Da in vielen Punkten Aussage gegen Aussage stand, bat MT beide Seiten um weiter führende Links:
Contra: www.homöopedia.eu und www.beweisaufnahme-homoeopathie.de;
Pro: www.hri-research.org/de/homeopathy-faqs und www.wisshom.de/index.php?menuid=102

Die Situation in Österreich
In Österreich haben ca. 1000 Ärzte (von 44.000) das ÖÄK-Diplom Komplementärmedizin – Homöopathie (mind. 350 Stunden). Durchgeführt wird die Aus- und Fortbildung von der Ärztegesellschaft für Klassische Homöopathie (ÄKH) und der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM). Als Vorteil in Österreich nennt Dr. Thomas Peinbauer den Arztvorbehalt – im Gegensatz zu Deutschland, wo auch Heilpraktiker homöopathisch praktizieren können (ohne gesetzliche Regelung). Kassenrefundierungen gibt es aber nur bei Ärzten mit Zusatzqualifikation Homöopathie. Für diese gilt seit 2016 eine europäische Norm (CEN-EN 16872:2016), an deren Ausarbeitung er als Komitee-Vorsitzender beteiligt war. „Einmalig in Europa“ ist aber laut Dr. Christoph Abermann, ab Herbst für die neue Homöopathie-Ausbildung bei der ÄKH verantwortlich, der Praxisbezug in Österreich: Von Beginn an werden die Studierenden Live-Patienten sehen und unter Supervision Gespräche führen. Die Ausbildung dauert 3 Jahre zu je 7 Wochenend- Seminaren sowie E-Learning-Anteile und schließt mit einer Diplomarbeit ab.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune