
Herzklappen-OP überholt Bypass
Ob Bypass, Herztransplantation oder künstliche Herzklappe: Die Grundlagen für fast alle großen Herzoperationen wurden in den 1960er Jahren gelegt. Das Beispiel Klappenchirurgie zeigt, welch große Fortschritte seit damals erzielt wurden. (Medical Tribune 26/18)
My Heart Beat Like A Hammer“ sangen Fleetwood Mac 1968 auf ihrer ersten Langspielplatte. Andere Herzen klangen damals wie das Tick- Tack einer lauten Standuhr. So zumindest beschreibt ein Kardiologe das Geräusch der ersten Kugelklappen, die in den 1960er Jahren eingesetzt wurden. Abgesehen davon, dass das Geräusch die Patienten oft sehr belastete und Schlafprobleme verursachte, war die von Albert Starr und Lowell Edwards entwickelte Mitralklappenprothese aus medizinischer und technischer Sicht ein voller Erfolg: Bereits der zweite Patient, der 1961 eine Starr-Edwards- Klappe erhielt, überlebte mit dem Implantat zehn Jahre bei guter Gesundheit. Zum Verhängnis wurde ihm schließlich nicht sein Herzklappenfehler, sondern ein Sturz von der Leiter beim Streichen seines Hauses.
„Zweitklappe“
Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem historischen Rückblick Charles Hufnagel, der bereits in den 1950er Jahren eine Kugelklappe entwickelt hatte. Im Unterschied zur Starr-Edwards- Klappe war die Hufnagel-Klappe aber noch kein Ersatz für eine körpereigene Herzklappe, sondern eine Art „Zweitklappe“, die zur Unterstützung einer insuffizienten Aortenklappe in die Aorta descendens eingepflanzt wurde. Erst Albert Starr wagte es, eine Herzklappe komplett zu entfernen und durch eine künstliche Klappe zu ersetzen. Eine Technik, die dann rasch von Chirurgen aus aller Welt aufgegriffen wurde. Zu den heimischen Pionieren der Herzchirurgie gehörten die Grazer Franz Spath und Julius Kraft-Kinz, die 1962 die erste Operation mittels Herzlungenmaschine in Österreich durchführten.
Mechanische Klappen
Mittlerweile gibt es Patienten, die schon seit über 40 Jahren mit einer mechanischen Herzklappe leben. Trotz dieser beeindruckenden Erfolge ist die Starr-Edwards-Klappe heute längst Geschichte. Moderne mechanische Klappen zeichnen sich nicht nur durch eine geringere Lautstärke, sondern auch durch bessere hämodynamische Eigenschaften und eine niedrigere Thrombogenität aus. Statt Kugelklappen oder Einscheibenklappen, die in den 1970er und 1980er Jahren implantiert wurden, verwendet man heute vorwiegend sogenannte Doppelflügelklappen. „Vorteil dieser Klappen ist, dass die beiden mit einem Scharnier an einem Metallkarbonring fixierten Flügel sich bei offener Klappe in einem Winkel von fast 90 Grad in den Blutstrom stellen und dadurch einen nahezu laminaren Blutfluss erzeugen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Otto Dapunt, Leiter der Abteilung Herzchirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie, Graz. Obwohl seit Ende der 1960er Jahre biologische Herzklappen auf dem Markt sind, bei denen die Patienten keine Antikoagulation mehr benötigen, sind mechanische Klappen wegen ihrer besseren Haltbarkeit nach wie vor unverzichtbar. Kandidaten für eine Doppelflügelklappe sind für den Herzchirurgen vor allem „junge Erwachsene, die in ihrem Leben keine weitere Herzoperation mehr haben wollen und sich mit der lebenslangen Einnahme von Cumarinen abfinden können“. Bei der häufigsten Indikation, dem Aortenklappenersatz, liegt der Anteil mechanischer Klappen heute bei etwa 10–15 Prozent.
Bioprothesen
Herzklappen von Schweinen oder aus Rinderperikard haben immer noch den großen Nachteil einer begrenzten Lebensdauer. Die Zehn-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von Bioprothesen (= Freiheit von Reoperation wegen Klappendegeneration) liegt bei 85–90 Prozent. Am besten sind die Funktionsdaten im Langzeitverlauf bei der Ross-Operation, bei der die defekte Aortenklappe durch die patienteneigene Pulmonalklappe ersetzt wird. Die exzellente Zehn-Jahres- Überlebenswahrscheinlichkeit des Autografts (fast 100 Prozent) wird bei diesem Eingriff, der vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen durchgeführt wird, allerdings mit der Notwendigkeit einer zweiten Klappenoperation erkauft: Als neue Pulmonalklappe wird eine Bioprothese implantiert, die an dieser Stelle wegen der niedrigeren Druckbelastung eine längere Lebensdauer hat. Herzklappen aus menschlichen Spenderherzen werden in der Klappenchirurgie übrigens kaum mehr verwendet: „Zum einen sind Homografts nur sehr limitiert verfügbar, zum anderen kommt es bei diesen Klappen im Langzeitverlauf oft zu extremen Verkalkungen“, erklärt Dapunt. Ursache dafür dürften Schädigungen der Klappen während der Kryopräservation sein.
Tierische Klappen
Welche neuen Entwicklungen gibt es bei Bioprothesen? Ein interessanter Ansatz sind devitalisierte tierische Klappen, die vor der Implantation mit humanen Zellen besiedelt werden. Ein anderer Trend, der schon seit mehreren Jahren zu beobachten ist, ist die Abkehr von gestenteten Bioprothesen: Ursprünglich wurden biologische Herzklappen in einen Metallstent eingenäht. Die neuen gerüstlosen Bioprothesen sind zwar etwas schwieriger zu implantieren, haben aber bessere hämodynamische Eigenschaften. Eine neue Technik, bei der Dapunt und seine Mitarbeiter zu den weltweiten Vorreitern gehören, sind sogenannte Nahtlosklappen, bei denen das tierische Gewebe von einem Gerüst aus Nitinol (einer Nickel-Titan- Legierung mit Memory-Effekt) umgeben ist. Der große Vorteil dieser Klappen ist, dass sie nicht mehr in die Herzkammer eingenäht werden müssen, sondern sich der Umgebung von selbst exakt anpassen. Dadurch dauert das Einsetzen des Implantats nur mehr zehn Minuten. „Da die Nahtlosklappen alles Gewebe zur Seite drängen und eine große Öffnungsfläche haben, ist auch ihre Hämodynamik sehr gut“, betont Dapunt.
TAVI für Hochrisikopatienten
Viel getan hat sich in der Herzklappenchirurgie in den letzten 50 Jahren auch bei den Zugangswegen: Bei isoliertem Klappenersatz finden die Operateure heute in der Regel mit kleinen lateralen Thorakotomien oder Ministernotomien das Auslangen. Eine Längseröffnung des gesamten Brustbeins erfolgt meist nur noch dann, wenn der Patient zusätzlich auch einen Bypass bekommen soll. Die größten Zuwachsraten gibt es zurzeit bei der interventionellen, kathetergestützten Aortenklappenimplantation (TAVI). Da die Patienten durch den minimalinvasiven Eingriff, bei dem der Katheter über die Aorta, die Herzspitze oder transfemoral eingeführt wird, relativ wenig belastet werden, können auf diesem Weg auch Hochrisikopatienten noch eine neue Herzklappe erhalten. Ein Ersatz für den operativen Zugang sind die teils von Herzchirurgen, immer öfter aber auch von interventionellen Kardiologen durchgeführten TAVI-Prozeduren allerdings nicht. Auch wenn Internisten das vielleicht gerne anders sehen würden, stellt eine kürzlich veröffentliche Leitlinie klar, dass Katheterklappenimplantationen im Wesentlichen alten, fragilen Patienten vorbehalten bleiben sollten. In den Leitlinien wird unter anderem auf fehlende Langzeitdaten sowie das gehäufte Auftreten von paravalvulären Lecks und Schrittmacherimplantationen nach TAVI verwiesen.