Neue Viren, die man kennen sollte

Foto: Anest/GettyImages
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Zuwachs auf der Liste der in Österreich heimischen Zoonosen: Bei Enzephalitiden unklarer Genese sollte man in Zukunft auch an die Möglichkeit einer West-Nil-Virus- und Bornavirus-Infektion denken. Aktuelle Fälle zeigen, dass beide Viren nicht nur Wild- und Nutztiere, sondern auch den Menschen befallen können. (CliniCum 6/18)

Das West-Nil-Virus (WNV) gehört zur großen Gruppe der Flaviviren, ist also ein Verwandter des FSME-Virus. Andere bekannte Erreger aus dieser Gattung sind das Japanische-Enzephalitis-, Gelbfieber-, Zika- und Dengue-Virus, die alle durch Stechmücken übertragen werden. Stechmücken sind auch der Vektor für das WNV: Der natürliche Übertragungszyklus findet zwischen ornithophilen Mücken und Vögeln statt. In beiden können sich die Viren vermehren. „Menschen und Pferde sind nur Zufalls-Endwirte“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Norbert Nowotny, Institut für Virologie, Veterinärmedizinische Universität Wien. „Mit 103 Kopien pro ml ist die Virämie in unserem Blut nicht groß genug, um die Infektionskette aufrechtzuerhalten.“

Von Afrika nach Amerika

Das erstmals 1937 im West-Nil-Distrikt in Uganda aus dem Blut einer Patientin isolierte Virus war ursprünglich nur in den Tropen und Subtropen heimisch, ist mittler weile aber auf der ganzen Welt zu finden. 1999 wurde der Erreger in die USA eingeschleppt, vier Jahre später hatte er sich von der Ostküste ausgehend bereits über das ganze Land verbreitet. Das Virus wurde bisher in den USA bei mehr als 320 Vogelarten, bei zahlreichen Säugetieren (am häufigsten betroffen Menschen und Pferde) und sogar bei Alligatoren nachgewiesen. 2001 wurden die ersten neuroinvasiven Erkrankungen in Lateinamerika beobachtet.

Erste Fälle in Ungarn

Im Jahr 2003 erreichte das WNV auch Europa: In Ungarn wurden Gänse entdeckt, die mit einem WNV der Linie 1 (der Linie, die in den USA grassiert) infiziert waren. Als im Jahr darauf in derselben Gegend erkrankte Falkenartige untersucht wurden, gab es eine große Überraschung: Die Analyse ergab, dass die Vögel von einem West-Nil-Virus Lineage 2 befallen waren, einer genetischen Linie, die bis zu diesem Zeitpunkt nur in Afrika südlich der Sahara bekannt war. „Mit ziemlicher Sicherheit ist dieses Virus mit Zugvögeln nach Zentraleuropa gekommen“, so Nowotny. Solche Ereignisse sind relativ selten, da Vögel nur etwa eine Woche lang virämisch sind. „Der Zugvogel muss sich also in Afrika frisch infiziert haben, dann rasch nach Europa geflogen und dort gleich von einer virusübertragungskompetenten Stechmücke gestochen worden sein.“

Ähnlich wie in den USA hatte sich das Virus vier Jahre nach seinem ersten Auftreten bereits über das gesamte Staatsgebiet von Ungarn ausgebreitet. 2008 wurden schließlich auch erste Infektionen mit dem West-Nil-Virus der Linie 2 im Osten Österreichs gefunden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen: „Wenn das Virus einmal irgendwo ist, dann bleibt es auch dort!“ Aus Sicht des Virologen müssen wir uns daher darauf einstellen, mit dem Virus zu leben. Derzeit ist der Schwerpunkt des WNV-Verbreitungsgebietes in Österreich der Großraum Wien, betroffen sind aber auch das Burgenland, der Osten Niederösterreichs und Teile der Steiermark. Die Frage ist, wie so ein exotisches Virus aus Afrika bei uns den Winter überleben kann. Gibt es Stechmücken auch im Winter? „Ja, in frostfreien Gebieten, etwa in der Kanalisation, in Kellern oder Weinkellern können vereinzelt Weibchen gefunden werden, in denen die Viren überwintern können“, berichtet Nowotny.

Meist asymptomatischer Verlauf

Bis Ende 2016 gab es in Österreich 20 humane West-Nil-Virus-Erkrankungen (West-Nil-Fieber und neuroinvasive Fälle), aber noch keinen Todesfall. Mittlerweile hat man auch ein recht gutes Bild über die Klinik der Erkrankung: In 75 Prozent der Fälle verläuft die Infektion beim Menschen asymptomatisch, in den restlichen 25 Prozent entwickelt sich ein West-Nil-Fieber. Die neuroinvasive Erkrankung ist selten: Nur bei jeder 140. Infektion kommt es zu einer Meningitis oder Enzephalitis. Welche Dimensionen die WNV-Epidemie weltweit angenommen hat, veranschaulichen Zahlen aus den USA. Es wird geschätzt, dass zwischen New York und Los Angeles allein in den Jahren 1999–2006 rund 1,4 Millionen Menschen mit dem West-Nil-Virus infiziert wurden. In diesem Zeitraum kam es zu 9.000 neuroinvasiven Erkrankungen, von denen jede zehnte tödlich endete. Da sich die meisten Infizierten gesund fühlen, sind WNV-Infektionen auch ein Problem für das Blutspendewesen.

In Wien, Niederösterreich und dem Burgenland hat das Rote Kreuz 2014 begonnen, alle Blutspenden auf West-Nil-Nukleinsäure zu untersuchen. Bereits im ersten Jahr wurde ein positiver Fall gefunden. Bei entomologischen Nachforschungen wurden in der Nähe des Wohnorts des infizierten Blutspenders auch virushaltige Stechmücken entdeckt. Für einiges Aufsehen sorgte im Juli und August 2017 die Meldung, dass gleich sieben von 12.000 Blutspenden aus dem Osten Österreichs positiv auf WNV getestet worden waren. Im Rahmen einer genaueren virologischen Analyse stellte sich jedoch heraus, dass nur eine echte WNV-Infektion vorlag und die anderen sechs Blutspender mit dem Usutu-Virus infiziert waren, einem weiteren afrikanischen Flavivirus, das aufgrund seiner engen Verwandtschaft mit dem West-Nil-Virus im Real-Time-PCR-Test kreuzreagiert hatte. Dieses ebenfalls durch Stechmücken übertragene Virus wurde erstmals 2001 in der Umgebung von Wien nachgewiesen. Es dürfte ungefährlicher sein als das West-Nil-Virus, eine Humanpathogenität ist aber möglich.

Bornavirus

Ein anderer Erreger, der uns in Zukunft noch mehr beschäftigen dürfte, ist das Bornavirus. Namensgeber ist die 30 km südlich von Leipzig gelegene Kleinstadt Borna, in der 1894 ein Stall voller Kavalleriepferde an einer Enzephalitis erkrankte. Erst in den 1990er Jahren gelang es, den Erreger elektronenmikroskopisch nachzuweisen und zu sequenzieren. Erkrankte Tiere leiden zunächst unter Appetitlosigkeit, Verhaltensänderungen wie Ängstlichkeit und Aggressivität sowie Bewegungsstörungen. Die zunehmende neurologische Symptomatik mit Ataxie und Paralyse endet in 90 Prozent der Fälle tödlich. Betroffen sind vor allem Pferde und Schafe, in seltenen Fällen auch andere Säugetiere. Schon länger war bekannt, dass die Tiere sich nicht untereinander anstecken, sondern offensichtlich durch eine andere Quelle infiziert werden. 2006 konnten Schweizer Forscher schließlich die Feldspitzmaus als Reservoirtier identifizieren. „Die Spitzmäuse sind lebenslang infiziert und scheiden das Virus über Sekrete und Exkrete aus“, erläutert Nowotny. Ein möglicher Übertragungsweg sind auch Spitzmäuse, die Mähdreschern zum Opfer fallen.

Die erkrankten Haustiere infizieren sich über kontaminiertes Gras und Heu. Lange Zeit wurde angenommen, dass die Borna-Krankheit nur Tiere befällt. In den Jahren 2011 bis 2013 verstarben jedoch in Sachsen-Anhalt drei Züchter südamerikanischer Bunthörnchen an den Folgen einer sich progressiv verschlechternden Enzephalitis. Bei allen drei konnten Bornaviren des Stamms VSBV-1 als Auslöser der Erkrankung nachgewiesen werden. Übertragen hatten die Infektion die Bunthörnchen. Sind Bornaviren für den Menschen also doch nicht so harmlos? Geht auch vom europäischen Stamm BoDV-1 eine mögliche Gefahr aus? Eine Bestätigung dieser Befürchtung erfolgte Anfang 2018: In Deutschland erkrankten drei Organempfänger, die Nieren und Leber desselben Spenders erhalten hatten, an einer schweren Enzephalitis. Zwei Patienten verstarben im Verlauf der Erkrankung. Der aufsehenerregende Befund: In allen drei Fällen konnte eine BoDV-1-Infektion nachgewiesen werden. Der offensichtlich infizierte Spender hatte selbst keine Symptome gehabt. Dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelte, zeigen zwei weitere voneinander unabhängige Todesfälle mit Symptomen einer akuten Enzephalitis, bei denen mittlerweile ebenfalls eine BoDV-1-Infektion gefunden wurde.

Endemiegebiete

Sieht man von den Bunthörnchen-Züchtern ab, sind die bisherigen Fälle humaner Bornavirus-Erkrankungen nur in Endemiegebieten aufgetreten. BoDV-1 lässt sich nämlich nicht überall nachweisen, sondern tritt regional begrenzt auf. Bekannte Endemiegebiete sind Teile Ostdeutschlands um die Stadt Borna, große Teile Bayerns und die Ostschweiz. Zum Ostschweizer Endemiegebiet werden auch Lichtenstein, Vorarlberg und wahrscheinlich Tirol gerechnet. Darüber hinaus entdeckten Nowotny und seine Mitarbeiter vor Kurzem auch ein Endemiegebiet in Oberösterreich, in dem bisher vier Erkrankungsfälle bei Pferden und sieben positive Spitzmäuse gefunden wurden. Für eine regional begrenzte Erkrankung spricht, dass bei den fünf bisher bekannten humanen BoDV-1-Erkrankungen die Stämme identisch mit den BoDV-1-Stämmen waren, die im jeweiligen Gebiet bei Pferden und Spitzmäusen gefunden wurden. Wie sich die Menschen angesteckt haben, ist allerdings noch unklar. „Ein direkter oder indirekter Kontakt mit infizierten Spitzmäusen oder ihren Ausscheidungen kann nicht ausgeschlossen werden“, schreibt dazu die Gesellschaft für Virologie in einer Stellungnahme. Eine Virusausscheidung durch infizierte Menschen konnte mit den bisher eingesetzten Nachweismethoden nicht dokumentiert werden. Es wird daher derzeit davon ausgegangen, dass eine natürliche Übertragung von Mensch zu Mensch nicht stattfindet.

Diagnostik

Im Falle einer akuten Erkrankung und post mortem lassen sich BoDV-1-Infektionen mit den heute zur Verfügung stehenden serologischen und molekularbiologischen Untersuchungsmethoden mit sehr großer Sicherheit diagnostizieren: Eine wesentliche Erkenntnis aus den bisherigen Fällen war, dass im Gehirn verstorbener Patienten große Mengen BoDV-1-RNA gefunden werden können. Zusätzlich kann das Bornavirus-Antigen im ZNS auch direkt immunhistochemisch nachgewiesen werden. Nicht oder nicht sicher nachweisbar ist die virale RNA jedoch im Blut und im Liquor. Diagnostisch verwertbar sind dafür aber hohe Konzentrationen Bornavirus-spezifischer Antikörper im Serum. Wichtig ist die Frage des sicheren Nachweises auch für retrospektive Untersuchungen.

Um zu klären, ob humane BoDV-1-Enzephalitiden eine neue Erkrankung sind oder ob die Infektionen bisher einfach übersehen wurden, ist geplant, Fälle schwerer Enzephalitiden der letzten drei Jahre aus Borna-Endemiegebieten (in Österreich also Vorarlberg, Tirol und Oberösterreich) noch einmal aufzurollen und nach Hinweisen auf eine Bornavirus-Infektion zu suchen. Ob und in welchem Umfang es bei Menschen klinisch unauffällige BoDV-1-Infektionen gibt, weiß derzeit niemand. Ein möglicher Hinweis darauf könnte jedoch die offensichtliche Symptomfreiheit des infizierten Organspenders sein. Um solche Fälle in Zukunft zu verhindern, wurde vorgeschlagen, vor Organtransplantationen Spender auch auf Bornaviren zu untersuchen.

Quelle: Nowotny N. „Neue Viren, die man kennen muss.“ 12. Österreichischer Infektionskongress, Saalfelden, 14.4.18