17. Jän. 2024Schmerzwochen 2024

Gender Pain: Schmerz ist nicht gleich Schmerz

Die ÖSG rückt in den Schmerzwochen 2024 die geschlechterspezifischen Unterschiede in der Wahrnehmung, Entstehung und Therapie von Schmerzen in den Mittelpunkt.

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MedTriX/Unger

Gender Pain und Unterschiede in der Wahrnehmung, Entstehung und Therapie von Schmerzen bei Mann und Frau stehen im Mittelpunkt der Schmerzwochen 2024. Auch die International Association for the Study of Pain (IASP) und die Europäische Schmerzföderation (EFIC) fokussieren sich dieses Jahr auf „Sex and Gender Disparities in Pain“.

„Das hat einen guten Grund. Denn Frauen haben öfter Schmerzen und Schmerzerkrankungen als Männer“, betonte OÄ Dr. Waltraud Stromer, Fachärztin für Anästhesiologie und allgemeine Intensivmedizin am Landesklinikum Horn und Past-Präsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG). Frauen haben zudem ein 6-fach erhöhtes Risiko zu chronifizieren, gibt sie zu bedenken. „Überraschenderweise haben viele Studien auch gezeigt, dass die Schmerzschwelle bei Frauen geringer und ihr Schmerzempfinden stärker ist als bei Männern. Ursache ist, dass Frauen eine verringerte deszendierende Schmerzhemmung haben. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen treten bei Frauen häufiger auf. Diese beeinflussen aber auch das Schmerzempfinden.“

Frauen und Männer gingen auch unterschiedlich mit Schmerz um, erklärte die Schmerzexpertin weiter. So würden Frauen schneller ärztliche Hilfe aufsuchen und auch alternativen Behandlungsmethoden gegenüber aufgeschlossener sein. Weiters zeigte sich in Studien, dass sie mehr von multimodalen Behandlungsstrategien profitieren.

Unterschiedliche Wirksamkeit von Medikamenten bei Männern und Frauen

Auch hinsichtlich der Medikation bestehen geschlechtsspezifische Unterschiede. Das Nebenwirkungsrisiko bei Schmerzmitteln ist bei Frauen deutlich höher. „Bei 8 von 10 Medikamenten, die aufgrund toxischer Nebenwirkungen vom Markt genommen wurden, sind diese bei Frauen aufgetreten“, warnte Stromer.

Unterschiede bei der Wirksamkeit kämen auch dadurch zustande, weil Männer und Frauen unterschiedlich strukturiert sind. Männer haben mehr Muskelmasse und Wasseranteil, Frauen mehr Fettanteil. Lipophile Medikamente wie Opioide verweilen länger im Fettgewebe, werden langsamer freigesetzt und wirken deshalb bei Frauen länger.

Auch die Hormone haben einen großen Einfluss auf die Wirksamkeit von Medikamenten. Testosteron wirkt schmerzhemmend. Oxytozin und Östrogen beeinflussen das Schmerzempfinden ebenfalls. Bei hohen Östrogenspiegeln werden vermehrt Endorphine und Enkephaline ausgeschüttet und vermehrt Opioid-Rezeptoren exprimiert. Es kommt zu einer stärkeren Sensibilisierung dieser Rezeptoren. Daher steigt die Empfindlichkeit der Andockstellen für Opioide. Daher hat dieselbe Dosierung von Opioiden eine 2- bis 3-fach stärkere Wirkung bei Frauen als bei Männern. „Das muss einfach berücksichtigt werden!“, so Stromer. Auch Paracetamol wirkt bei Frauen länger, bei älteren Frauen sogar noch länger, weil die Metabolisierung um 50% gegenüber Männern reduziert ist. Wird darauf nicht Rücksicht genommen, kann es zu Leberschädigung kommen.

„Wir stehen noch ganz am Anfang, aber der Weg aus der Unisex-Medizin ist vorgegeben. Die Forschung beschäftigt sich mit der Thematik und wir werden zukünftig viel mehr auf die Unterschiede eingehen müssen“, erklärte die Past-Präsidentin abschließend.

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Rechtsanspruch auf ärztliche Zweitmeinung

ÖSG-Präsident ao. Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Eisner, Univ.-Klinik für Neurochirurgie, MedUni Innsbruck, erinnerte daran, dass rund 1,8 Millionen chronisch Schmerzleidende in Österreich leben. Durch ihre Behandlung entstehen jährlich rund 8 Milliarden Euro an direkten und indirekten Kosten. „Schmerzfrei sind die Betroffenen aber dennoch nicht“, so Eisner. Eines seiner großen Anliegen ist, dass Patientinnen und Patienten einen gesetzlichen Anspruch auf das Einholen einer medizinischen Zweitmeinung auf Kassenkosten bekommen. „Das würde zu mehr Patientensicherheit, weniger medizinischen Fehleinschätzungen oder unnötigen Eingriffen führen und so auch Kosten für das System sparen“, machte Eisner deutlich.

Erfreut zeigte er sich, dass die integrative Schmerztherapie im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) bis Sommer 2024 verankert werden soll.

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Schmerzprävention und -therapie durch Training

Auf den hohen Stellenwert, den Bewegung und Sport in der Prävention, aber auch der Therapie von chronischen Schmerzen einnehmen, verwies ÖSG-Vizepräsident Univ.-Prof. Dr. Richard Crevenna, Leiter der Univ.-Klinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin der MedUni Wien. „Rund 80% der Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen könnten mit aktiver Vorbeugung und Behandlung Schmerzen verhindern. Gerade bei unspezifischen, nicht gefährlichen Schmerzen wirkt Bewegung im Sinne von Training wie eine ‚Polypill‘, also ein Medikament mit breiten präventiven, therapeutischen und rehabilitativen Effekten“, so Crevenna.

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COVID-19: Herausforderung für die Schmerzmedizin

Ein noch relativ neues und unbekanntes Feld in der Schmerzmedizin hat sich durch Covid-19 eröffnet, wie Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee und ÖSG-Generalsekretär ausführte. „Umso wichtiger ist es, dass der ICD-11 auch bald in Österreich in Kraft tritt, der erstmals die biopsychosoziale Definition von chronischem Schmerz beinhaltet“, so Likar. Während Schmerz bisher bei zahlreichen Erkrankungen ausschließlich als Symptom gesehen wurde, nahm die WHO chronische Schmerzzustände als eigenständige Krankheitsgruppe in den ICD-11 auf. „Hinsichtlich Long Covid (Symptome länger als 4 Wochen) und Post-Covid (Symptome länger als 3 Monate) ist die Diagnose ‚chronischer Schmerz‘ wirklich wichtig!“

Einmal mehr forderte Likar die Einführung einer vertieften Ausbildung in der Schmerztherapie. „Wenn Schmerzbetroffene in Schmerzeinrichtungen, Schmerzzentren, Reha-Einrichtungen und Tageskliniken zugewiesen werden, brauchen sie eine hochspezialisierte Behandlung. Diese wäre durch die von uns geforderte Ausbildung mit 400 Stunden Praxis und 80 Stunden Theorie auf gute Beine gestellt“, erklärte Likar.

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Pressekonferenz der Österreichischen Schmerzgesellschaft, Wien, 17.1.2024