27. Mai 2019Linzer Reisemedizinische Tagung 2019

Gefährliche Reisebekanntschaften

„The Good, the Bad and the Ugly“ war das Motto der Reisemedizinischen Tagung in Linz. Zu den „Ugly“ zählen Speispinne, Killerbiene und einsame Ameisen. Manche Bisse fallen erst durch Nekrosen auf. (Medical Tribune 22/19)

Spinnenphobiker befänden sich in guter Gesellschaft, beruhigt Prof. Dr. Dietrich Mebs, Institut für Rechtsmedizin, Goethe-Universität, auf der diesjährigen Linzer Reisemedizinischen Tagung. Sogar Wrestling-Weltmeister und Baywatch-Darsteller Dwayne Johnson, „ein Abbild von einem Mann, mit Muskeln bepackt“, hat laut einem Zeitungsinterview Angst vor Spinnen.

Speispinnen wandern zu

Mebs schätzt, dass etwa 40 Prozent des darob amüsierten Auditoriums Bedenken hätten, wenn „ich aus der Tasche eine Vogelspinne heraushole und sie auf- und abmarschieren lasse“. Und dies, obwohl die einzige Spinne in Mitteleuropa, die die menschliche Haut durchdringen kann, die Dornfingerspinne ist. Doch das scheint sich zu ändern, weiß der Toxikologe: „Zur Freude der Arachnologen wandern in Deutschland pro Jahr zwei neue Arten zu.“ Bestimmte Speispinnen (Loxosceles-Arten), die einer Hausspinne ähneln, haben sich mittlerweile in Frankreich, Italien, im Mittelmeergebiet, auf der Iberischen Halbinsel, aber vor allem auch in der Türkei ausgebreitet. In Malta beispielsweise konnte Loxosceles rufescens identifiziert werden, die mehrere Personen gebissen hatte.

Anfangs sah der Biss nicht dramatisch aus. Doch nach einigen Stunden hatten die Patienten einen Entzündungsring, in der Mitte ein Punkt, der sich immer mehr vergrößerte: „Es bildet sich eine Nekrose, das ist typisch für diese Spinne“, erklärt Mebs. Die nässende Hautnekrose kann sich manchmal über Wochen hinziehen. Nichts anderes will die Spinne: „Mit ihrem Biss injiziert sie ein Verdauungsgemisch“, sagt der Biochemiker, „ist die Beute trinkfertig, wird sie ausgesaugt, ganz bequem.“ Das kenne man von Spinnennetzen mit hängenden Insekten, die innen alle hohl sind. Zu den injizierten Enzymen zählt z.B. Phospholipase D, die vor allem Phospholipide spaltet, Bestandteile der Nervenmembran.

Nekrotische Erscheinungen

Die Loxosceles könne dabei einiges anrichten, zeigt Mebs anhand von Bildern zweier junger türkischer Mädchen mit Spinnenbiss ins Oberlid, das stark geschwollen ist und nekrotische Erscheinungen aufweist. Die Spinne habe man nicht gesehen, doch ein ELISA-Test entlarvte eine vermutlich aus Südamerika eingeschleppte Speispinnenart als Übeltäter. Durch die „extrakorporale Verdauung“ sei nach etwa 14 Tagen eine schwere Veränderung des Gewebes festzustellen. Die türkischen Kollegen legten feuchte, mit Antibiotika versehene Kompressen auf und spülten kräftig. Vier bzw. sieben Monate später sind die Erscheinungen stark zurückgegangen. Das Problem: Einen Speispinnenbiss merkt man erst, wenn sich die Nekrose ausbreitet – außer man hat Erfahrung.

Mebs war in den 1960er-Jahren ein halbes Jahr im Gifttierforschungszentrum Butantan in São Paulo, Brasilien, tätig. Jeden Tag kamen Patienten mit Speispinnenbissen ins Spital, manchmal sah man auch schon kleine beginnende Nekrosen: „Die Doktoren wussten sofort, die Loxosceles hat wieder zugeschlagen.“ Die Behandlung sei schwierig. Eine Kollegin, Dr. Denise Tambourgi aus Butantan, berichtete ihm vor wenigen Jahren über eine „Geheimwaffe“: Tetrazyklinsalbe stoppt die sich ausbreitende Nekrose, wie man auch in Tierversuchen bereits belegen konnte. Nun ruft die Kollegin mit amerikanischen Forschern eine Doppelblindstudie ins Leben, um herauszufinden, ob Tetrazyklin tatsächlich eine spezifische heilende Wirkung hat. Naheliegend sei es, da Tetrazyklin auch ein Enzymhemmer ist, überlegt der Toxikologe.

Schwarze Witwen

Die Schwarze Witwe (Latrodectus mactans) wird manchmal auch der „Geheime Beißer“ genannt und verursacht ein „Facies latrodectisma“ (= Gesicht nach dem Biss einer Schwarzen Witwe): Gesicht schmerzverzerrt, völlig verschwitzt, Nase läuft, Augen tränen, Speichel kommt aus dem Mund. Die Symptome treten bereits nach einer halben Stunde auf, nachdem die Schwarze Witwe unbemerkt 1–2 μl Gift (v.a. Alpha-Latrotoxin) injiziert hat. Innerhalb kürzester Zeit werden sämtliche Acetylcholinspeicher entleert, die Drüsen arbeiten auf Hochtouren, es kommt zu äußerst schmerzhaften Mikrokontraktionen der Muskulatur und zu abdominalen Schmerzen. „Die gute Nachricht ist: Man stirbt nicht. Die schlechte Nachricht, es kann zwei Tage dauern“, berichtet Mebs. Gegebenenfalls könne man hochdosiert Benzodiazepine geben. Manch unerfahrener Arzt habe auch schon einen „Blinddarm“ diagnostiziert, der dann nolens volens operiert wurde. Die Diagnose sei eigentlich immer nur im Zusammenhang möglich: Wo war der Patient zu welcher Zeit?

Vogelspinnen

Freaks lassen sie gerne herumkrabbeln: Vogelspinnen mit kräftigen „Hauern“. Doch die Giftmenge ist vergleichsweise gering, der Biss nicht gefährlich. Im Selbstversuch hat Mebs einmal eine Vogelspinne in die Hand genommen und „ein bisschen gequetscht“, damit sie endlich beißt: Tatsächlich hat sie ihn gebissen, nichts passierte. Aber: Vogelspinnen reiben ihre Beine am Abdomen und setzen Haare frei, die in der Luft herumschweben. Diese bewirkten bei vielen Menschen, die Vogelspinnen halten, oft innerhalb von drei bis vier Wochen, allergische Reaktionen, „sodass viele ihr schönes Hobby aufgeben müssen“.

Killerbienen

Bei den Killerbienen handelt es sich um Hybriden von europäischen mit afrikanischen Bienenarten: „Die europäischen sind fleißig und ordentlich, die afrikanischen sind die Hitze gewöhnt“, meint Mebs verschmitzt, leider hätten die Amerikaner „in ihrem Hinterhof Südamerika“ ausprobiert, die Arten zu kreuzen. Die Hybriden bewähren sich zwar als Sammler, aber sie sind hochaggressiv – und mittlerweile gewandert, über Mittelamerika, Mexiko bis in den Süden der USA. „Wenn Sie in so einen Schwarm kommen, ist das hoch unerfreulich“, betont Mebs. Auch abtauchen nütze nichts, die Bienen warten, bis man wieder Luft holen muss. „Seitdem wissen wir, wie viele Stiche ausreichen, um einen Menschen zu töten: 400, 500 Stiche“, berichtet Mebs, es komme zu Ödemen, Rhabdomyolyse, Hämolyse, Nierenversagen. Es gebe zwar ein Antiserum, meist ist es für dessen Einsatz aber zu spät.

Bienen, Wespen, Hummeln

Jedoch seien die „eigentlichen Killer“ normale Bienen, Wespen, Hornissen und Hummeln. Sie könnten uns mit einem einzigen Stich töten, aber nicht durch ihr Gift an sich, sondern durch die anaphylaktische Reaktion darauf. Deshalb ist laut dem Giftexperten wichtig: „Wer weiß, dass er allergisch reagiert, muss das Notfallset mit Adrenalin-Autoinjektor bei sich am Körper tragen!“ In Deutschland sterben pro Jahr zehn bis zwölf Menschen akut, innerhalb von zehn bis 15 Minuten, an einer derartigen Anaphylaxie.

24-Stunden-Ameise

In den Tropen in Südamerika sieht man manchmal einsam wandernde 2 cm große schwarze Ameisen, schildert Mebs. Auch wenn sie „putzig“ aussehen: „Lassen Sie die Finger davon, das ist die sogenannte 24-Stunden-Ameise, die sticht!“ Diese Paraponera-Arten heißen deswegen 24-Stunden- Ameisen, weil der Schmerz, den sie auslösen, 24 Stunden andauert. Manche Naturvölker in den Tropen testen in Initiationsriten „ihre Jungspunde“ damit: Diese müssen in einen Handschuh schlüpfen, in denen die Ameisen eingenäht sind. Justin Schmidt, ein Insektenkundler und Freund Mebs, bewertet in seinem Buch über die Schmerzhaftigkeit von Ameisen die 24-Stunden-Ameise auf einer fünfteiligen Skala mit 5.

Weitere, schmerzhaft stechende Ameisen: Stink Ank (Afrika), Fire Ant (mittlerweile USA, ursprünglich aus Mittelamerika), Bull Ant (Australien). In Tropenwäldern entdecken Reisende auch immer wieder Nester in den Bäumen, mit Blättern schön verklebt. „Klopfen Sie nicht daran“, warnt Mebs, denn es könnten Weberameisen (Oecophylla sp.) sein: Hunderte kommen sofort heraus und fallen einem womöglich in den Nacken. Sie würden nicht stechen, sondern sich festbeißen und 70-prozentige Ameisensäure in die Bisswunde versprühen, „das tut grässlich weh“.

Stechende Wanzen

Zurück nach Deutschland, „da hat sich Juni 2016 etwas Merkwürdiges zugetragen“, holt Mebs aus: In der Nähe von Fulda haben plötzlich bei einem Tennismatch Menschen geschrien, weil ein Schwarm von stechenden Wanzen über sie hergefallen sei: „Klamotten, Haare – alles voll.“ Es war Psallus varians, mit Stechrüssel, eigentlich ein Pflanzensauger. Zunächst hieß es, der Klimawandel wäre schuld, jedoch weiß man bis heute nicht, warum die Wanzen „mal was anderes ausprobiert haben“.

24. Linzer Reisemedizinische Tagung 2019

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune