12. Juni 2018Ärztlich begleitete Reisen

„Der Arzt wird zuletzt gegessen“

Ärztlich begleitete Reisen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Für Allgemeinmediziner eine reizvolle Aufgabe, die weit über das Medizinische hinausgeht. Ein Reisemediziner verrät, was alles zu beachten ist. (Medical Tribune 23/18)

Ärztliche Begleitung von Touristen ist nichts für Anfänger. Die Problemstellungen reichen vom Durchfall bis zu psychischen Erkrankungen.

Reiseveranstalter, Vereine, Sportverbände, Schulen und Unis, Film- und Fernsehproduktionen aber auch private Reisegruppen oder selbst Individualreisende buchen einen Arzt, um auf Reisen oder Exkursionen notfalls ärztlich versorgt zu werden. Was aufregend klingt, sei jedoch „nix für Anfänger“, stellt Dr. Andreas Schaffert klar. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Reisemedizin und Suchtmedizin sowie Infektiologie und in einer Gemeinschaftspraxis in Stuttgart tätig. Reiseärzte benötigen Berufserfahrung als Facharzt für Allgemeinmedizin (in Deutschland) oder für Innere Medizin, Zusatzqualifikationen in Notfallmedizin und Fortbildungen in Reisemedizin. Wegen möglicher kurzfristiger Zu- oder Absagen muss der Praxisablauf gut organisiert sein, und es braucht Erfahrung in der Leitung von Gruppen.

„Große“ und „kleine“ Tasche

In die Reiseapotheke gehöre alles „einmal quer durch die ganze Medizin“, sagt Schaffert, man sollte jedoch die Medikamente mitnehmen, mit denen man sich auskennt und auch spezielle Wünsche des Veranstalters berücksichtigen. Neben der „großen“ Tasche (Innere und Chirurgie), die bei Exkursionen im Bus bleibt, wird die „kleine“ Tasche immer mitgeführt, sobald alle den Bus verlassen. In dieser Notfalltasche befinden sich:

  • Flüssigkeit, Traubenzucker (Schokoriegel)
  • Instantkaffee (gegen niedrigen Blutdruck), Herz-Kreislauf-Tropfen, Metoclopramid
  • Verbandsmaterial, Pflaster, Desinfektion für Stürze etc.
  • großes Tuch

Letzeres verwendet Schaffert als Sichtschutz im Falle einer Notdurft, „das kam bis jetzt immer recht gut an, da sind die Leute recht froh“. Grundsätzlich ist der Reisearzt nicht für die Reiseberatung vor der Reise zuständig. Trotzdem ruft Schaffert die „Gäste“ privat vorher an, erkundigt sich über deren Gesundheitszustand und gibt entsprechende Tipps.

Schiunterwäsche für Wüste

Auf jeder Reise tauchen typische „Problembereiche“ auf. Keiner rechne z.B. mit Schneefall in einer afrikanischen Oase. Er rät daher immer – neben Mückenspray, Sonnencreme, festem Schuhwerk, Kopfbedeckung, langer Hose (kein Rock), Tuch für Hüfte und Schulter, Regenschutz etc. – Schiunterwäsche mitzunehmen, sie ist leicht und kann auch als Pyjama verwendet werden. Eine Wasserflasche ist obligat, sie taugt im Notfall auch als Elektrolytlösung: 1000 ml stilles Wasser, 1 TL Salz, 7–8 TL Zucker (entspricht einer isotonen Kochsalzlösung von 0,9 %). Anzuraten ist, immer eine Kleinigkeit zum Essen wie Schokoriegel oder Obst dabeizuhaben. Die Reisenden, insbesondere Diabetiker, sollen auch über das landestypische Essen beraten werden. In Sri Lanka etwa sei das Essen so scharf gewesen, „dass ich zum Heulen angefangen habe“, berichtet Schaffert aus eigener Erfahrung. Die Gastgeber mischten daraufhin Kokosflocken – ein guter Tipp – ins Essen, die Schärfe verschwand. Ein weiterer Tipp ist die Händehygiene nicht nur vor dem Essen, sondern auch vor dem Buseinsteigen. Seit einem Vorfall in Rajasthan, Indien, bei dem fast alle Diarrhö bekamen, hält Schaffert die Gäste vor dem Einsteigen an, sich die Hände zu desinfizieren – eine Durchfallprophylaxe mit Erfolg.

Gruppendynamik

Was die Gruppe selbst betrifft, gehe „immer jemand verloren“. Außerdem gebe es immer „eine Nervensäge, einen Lehrer und einen Beschwerdeführer“, weiß Schaffert. In manchen Fällen müsse da der Arzt Einhalt gebieten und denjenigen beiseitenehmen. Einmal fing eine Altenpflegerin aus Berlin, auch in Rajasthan, fürchterlich zu weinen an und beklagte das Elend in diesem Land. „Da haben wir sie eine Weile heulen lassen, ihr etwas zu trinken gegeben, dann war es wieder gut.“ Aber es käme auch zu „psychischen Entgleisungen“ im Sinne einer Dekompensation von psychischen Erkrankungen. In diesen Fällen müssen die Betroffenen die Reise abbrechen, bevor die Gruppe zerfällt. Rechnen müsse man auch immer mit Stress, weil es einigen „zu viel“ werde, und Streit in der Gruppe, etwa um Sitzplätze. Man könne aber die Leute sehr gut mitnehmen, meint der erfahrene Reisearzt: „Ich habe mir angewöhnt, am zweiten Tag jedem das Du anzubieten, das kam bis jetzt sehr gut an.“ Damit rede es sich einfacher.

Ungeplante Tierkontakte

Ein wichtiger Punkt seien ungeplante Tierkontakte: beißende Kamele, hungrige Katzen, Mücken, Hunde (cave Tollwut). Reisende sollten nie Tiere auf den Arm nehmen, füttern oder streicheln. Manchmal ist es jedoch umgekehrt: In Mexiko verwechselten Nasenbären die nackten Beine von Menschen in kurzer Hose mit Baumstämmen zum Hochklettern. In Indonesien stahl eine Affenherde einer Frau ihren Reiseführer und warf ihn ins Wasser. Kleine herumlaufende Affen seien übrigens nicht ungefährlich, warnt Schaffert, man sollte ihnen nie direkt in die Augen schauen, da sie sonst aggressiv werden. Zum Klo-Thema empfiehlt Schaffert, immer auf den Reiseleiter zu hören und die Pausen zu nutzen, selbst wenn man nur „prophylaktisch“ geht. Um die Gruppe samt Nachzügler zusammenzuhalten, hat sich bewährt, dass der Reiseleiter vorne und der Arzt zum Schluss geht. In puncto Vergütung soll man beim Steuerberater klären, was zu versteuern ist. Geklärt gehören zudem die Materialkosten (trägt in der Regel die Reiseagentur), bei Sportgruppen ist etwa der Verbrauch an Verbandsmaterial und Tapes sehr hoch.

Das Honorar sollte zeitig angefordert werden. Schaffert betont, dass die Aufgaben eines Reisearztes im Prinzip die Einleitung von Notfallmaßnahmen sowie die Begleitung und Hilfe bei Arzt- oder Apothekenbesuch vor Ort sind, aber: „Der Arzt vor Ort behandelt.“ In Notfällen kontaktiert der Reisearzt immer den Reiseveranstalter (Notfallhandy), der die Koordination mit Versicherungen bei Krankheitsfällen übernimmt – das entscheidet nicht der Reisearzt. Bei Todesfällen sind die örtliche Polizei und die Botschaft zu informieren, aber nicht Mitreisende, Presse, Außenstehende oder Angehörige. Generell seien Professionalität, Zuneigung zu fremden Menschen und Ländern, Neugier auf Unbekanntes wesentlich – aber vor allem Gelassenheit. „Die Hunde und der Arzt werden zum Schluss gegessen“, zitiert er ein altes Sprichwort.

23. Linzer Reisemedizinische Tagung; April 2018

Was muss ich als Reisearzt beachten?

  • Verträge gründlich lesen
  • auf Schadensersatzklauseln achten, Haftpflichtversicherung?
  • Was ist im Krankheitsfall?
  • nie unterschreiben, dass man nur für eine Gesellschaft arbeitet
  • Verträge eventuell von der Ärztekammer prüfen lassen
  • mündliche Absprachen dokumentieren, per E-Mail bestätigen lassen
  • Werbemaßnahmen vorher abklären
  • Versicherung, Berufshaftpflicht, Privathaftpflicht klären
  • eigene Krankenversicherung (inklusive Rückholversicherung)
  • keine Sprechstunde abhalten! Reiseärzte dürfen nur wegen der Notfallversorgung mitkommen, die Therapie unterliegt dem Arzt des Reiselandes

Was sollte in die Reiseapotheke?

  • Stethoskop, RR-Gerät, BZ-Messgerät, Fieberthermometer, Pulsoxymeter, Otoskop
  • Pinzette, Schere („chirurgische Tasche“)
  • sterile Kanülen, Spritzen
  • Desinfektionsspray, Verbandsmaterial
  • Taschentücher, Toilettenpapier, Feuchttücher
  • Medikamente (Auswahl): diverse Schmerzmittel, Antiemetika, Antiallergika, Antihistaminika, Glukokortikoide (Wespenstiche etc.), Schleimlöser (gegen Beschwerden durch Klimaanlage!), Medikamente gegen Magen- und Darmbeschwerden inklusive Diarrhö, Nitro-Spray/ Kapseln, kleine Auswahl an Herzmedikamenten, Hustenblocker, Augentropfen, Ohrentropfen, Schlaftabletten, Hautsalben, Medikamente gegen Herpes labialis, desinfizierendes Mundgel, diverse Antibiotika

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune