20. Sep. 2023Welttag der Patientensicherheit

Beteiligung erhöht Patientensicherheit

Die Einbindung von Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen in die Behandlung kann viel bewirken, so das Motto am Welttag der Patientensicherheit. Wie das geht, zeigen zahlreiche Initiativen. Davon profitiert auch das Gesundheitspersonal, das nicht selten durch vermeidbare Schäden traumatisiert sein kann.

thingamajiggs/AdobeStock

Fehler im Gesundheitssystem würden nicht nur „menschliches Leid“ verursachen, sondern auch zu einem „immensen Vertrauensverlust“ führen, betonte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) am Internationalen Tag der Patientensicherheit. Dieser wird seit 2019 jährlich am 17. September begangen. Heuer wählte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dafür das Motto „Engaging patients for patient safety“.

„Die Perspektiven und Erfahrungen von Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen sind von unschätzbarem Wert, da sie den Weg durch das Gesundheitssystem in Österreich aus erster Hand erleben“, bezeichnet Rauch eine stärkere Patienteneinbindung als zentrales Ziel, um die Sicherheit im Gesundheitswesen zu verbessern. Der WHO zufolge belegen Studien, dass eine Patientenbeteiligung die Schadenslast um bis zu 15 Prozent verringern kann (siehe Kasten).

Dies könnte jährlich unzählige Menschenleben retten und „Milliarden Euro an möglichen Folgekosten“ sparen. Rauch erinnert an zahlreiche Initiativen in den vergangenen Jahren, darunter die 2022 durchgeführte bundesweite Patientenbefragung. Demnach funktioniert die Zusammenarbeit und Informationsweitergabe zwischen Gesundheitspersonal und Patientinnen und Patienten zwar grundsätzlich, aber es liegt „Optimierungspotenzial“ vor.

80 Prozent der Patientinnen und Patienten vermissen Ansprechperson

Vier von fünf Befragten äußerten den Wunsch nach einer professionellen Ansprechperson, die die Behandlung koordiniert. Nur 30 Prozent gaben an, dass sie im Spital eine Ansprechperson hatten. Noch dazu hat sich dieser Wert seit der letzten Befragung 2015 verschlechtert – um fast die Hälfte. Rauch weist auch darauf hin, dass die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung „noch verbessert“ werden könne.

Allerdings steige mit der Zahl der Angebote nicht automatisch auch das Wissen oder die Gesundheitskompetenz. Um das Erstellen von Gesundheitsinformationen aller Formen zu unterstützen, habe die Österreichische Plattform für Gesundheitskompetenz (ÖPGK) eine Toolbox für eine „Gute Gesundheitsinformation“ erarbeitet. Zudem biete die ÖPGK auch ein Trainingsnetzwerk für eine „Gute Gesprächsqualität“ an.

Auch die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) hebt hervor, dass Patientinnen und Patienten, Familien sowie Betreuerinnen und Betreuer „gemeinsam eine entscheidende Rolle“ für die Sicherheit der Gesundheitsversorgung spielen würden. Patientensicherheit bedeute, auch die Stimme der Patientinnen und Patienten zu „hören“. Dazu zähle u.a., dass sie an der Mitgestaltung von Sicherheitsstrategien beteiligt und „aktive Partner in ihrer eigenen Obsorge“ sind.

ÖGARI-Appell: Eine Operation wie eine „Reise“ planen

Dies kann man laut ÖGARI nur erreichen, indem Plattformen und Möglichkeiten bereitgestellt werden, um Stimmen, Bedenken, Erwartungen und Präferenzen zu äußern. Die Fachgesellschaft selbst gehe schon länger aktiv auf Patientinnen und Patienten zu, indem sie ein eigenes Patientenforum mit hilfreichen Tipps anbietet: „Planen Sie die Operation in Anästhesie so sorgfältig wie eine Reise“, wird hier etwa an Patientinnen, Patienten und Angehörige appelliert.

Kurze verständliche Texte und Videos erklären, was vor einer Operation zu tun ist, erklären Anästhesiefragebogen und Aufklärungsbogen, gehen auf „The Big Operation“ und das „Patient Blood Management“ ein und erläutern das Anamnesegespräch in der Schmerzmedizin. Auch zur Betreuung von Intensivpatientinnen und -patienten finden sich videounterstützte Informationen. Dies sei besonders für Angehörige wichtig, „die ihre Lieben in einer solch kritischen Lebensphase begleiten“.

Trainingszentren, um kritische Situationen zu üben

Darüber hinaus setzt die ÖGARI Akzente, um seitens des Gesundheitspersonals die Patientensicherheit zu erhöhen. „Hier ist vor allem die Einführung von medizinischem Simulationstraining zu nennen“, sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Helmut Trimmel, MSc, Leiter der Sektion Notfallmedizin der ÖGARI. Unter Federführung der Anästhesie würden Angehörige verschiedener Disziplinen wie Chirurgie, Geburtshilfe, Kinderheilkunde, Neurologie etc. kritische Behandlungssituationen trainieren.

„An vielen Spitälern in Österreich existieren mittlerweile derartige Trainingszentren“, informiert Trimmel, z.B. am AKH Wien, Landesklinikum Wiener Neustadt, Klinikum Klagenfurt, Landeskrankenhaus Feldkirch oder an der Universitätsklinik Innsbruck. Die ÖGARI erinnert auch an den „World Sepsis Day“ am 13. September, ebenfalls eine WHO-Initiative.

Hier habe die Fachgesellschaft gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Dachverband der intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs einen wesentlichen Beitrag geleistet, um die Behandlungsqualität zu verbessern. Der Bogen spanne sich von neuen medizinischen Behandlungsmethoden bis hin zum Einsatz von „artificial intelligence“ an Intensivstationen.

Anästhesistinnen und Anästhesisten seien auch die wesentlichen Systemträger des österreichischen Notarztwesens. Aktuell werde gemeinsam mit dem nichtärztlichen Personal im Rettungsdienst an einer Verbesserung der Ausbildung und neuen Einsatzmöglichkeiten für Rettungs- und Notfallsanitäterinnen und -sanitätern  gearbeitet (siehe auch medonline-Beitrag zur geforderten Novelle des Sanitätergesetzes). Am 12. Oktober soll hier eine entsprechende Enquete des Parlaments den Boden bereiten.

PHARMIG: Arzneimittelsicherheit „höchste Priorität“

Einen wesentlichen Beitrag zur Patientensicherheit bilden zudem sichere Medikamente. In der Entwicklung und auch während ihrer Anwendung habe die Sicherheit „höchste Priorität“, betont Mag. Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs: „Daher erstreckt sich die Überwachung von so heiklen Produkten wie Medikamenten über ihren gesamten Lebenszyklus.“

Während der klinischen Entwicklung würden die Medikamente „auf Herz und Nieren“ geprüft. Danach weiten Nebenwirkungsmeldungen das Sicherheitsnetz und die Anwendung zugelassener Arzneimittel im Alltag aus. Gegebenenfalls würden neue Informationen in zukünftigen Packungsbeilagen berücksichtigt und „vervollkommnen auf diesem Weg den Erfahrungsschatz“.

Der Beipackzettel sei ein behördlich genehmigtes Dokument. Außerdem sind Nebenwirkungen u.a. auch auf der Homepage der Europäischen Zulassungsbehörde EMA in frei zugänglichen Datenbanken nachzulesen. „Die Meldung von unerwarteten Nebenwirkungen durch Patientinnen und Patienten oder auch durch die Behandlerinnen und Behandler ist ein wichtiger Beitrag“, unterstreicht Herzog. Damit erfahre man mehr über Risiken eines Arzneimittels und erhöhe so die Therapiesicherheitsanforderungen für sich und andere.

Plattform Patientensicherheit: Initiativen in allen Bundesländern

Die Österreichische Plattform Patient:innensicherheit hat im D-A-CH-Raum mit ihren Schwesterorganisationen Aktionsbündnis Patientensicherheit in Deutschland und der Stiftung Patientensicherheit Schweiz die Aktionswoche rund um den Welttag der Patientensicherheit unter das Motto „Sicherheit. Für Patient:innen. Mit Patient:innen.“ gestellt.

„Der Slogan der diesjährigen Aktionswoche unterstreicht, dass die Beteiligung von Patientinnen und Patienten in ihre Behandlung sowie die Einbindung ihrer Angehörigen ihren Schutz erhöhen und zu besseren Ergebnissen in der Versorgung führen“, sagt Dr. Brigitte Ettl, Präsidentin der Plattform für Patientensicherheit und ehemalige Ärztliche Direktorin der Klinik Hietzing. Diese Maßnahme der Patienten- und Angehörigenkommunikation sei auch im Global Patient Safety Action Plan 2021–2030 verankert.

Heuer haben Spitäler aus allen Bundesländern Initiativen eingereicht, wie eine interaktive Landkarte  zeigt, darunter Händehygiene-Workshops, Gewinnspiele oder auch die Teilnahme an weltweiten Beleuchtungsaktionen. „Wir schalten wortwörtlich das Licht an für Patientensicherheit, indem Gesundheitseinrichtungen ihre Fassaden in Orange erstrahlen lassen“, erklärt Anna Teufel, BSc, MA, Leiterin der Geschäftsstelle. Auch die jährlich stattfindende Konferenz der Plattform am 13.10.2023 steht unter dem Motto des Patientensicherheitstages.

„Second Victims“ vorbeugen

Die Erfahrungen des Gesundheitspersonals rückt der Verein „Second Victim“ („Zweites Opfer“) in den Fokus. Darunter versteht man Behandelnde, die wegen eines unvorhergesehenen Zwischenfalls, eines medizinischen Fehlers oder Patientenschadens traumatisiert wurden. Laut einer rezenten vom Verein durchgeführten quantitativen Studie – die erste dieser Art – waren knapp neun von zehn Kinderärztinnen und -ärzten (89 Prozent) während ihrer Berufslaufbahn bereits „Second Victim“.

Ohne Aufarbeitung könnten Betroffene psychische und physische Krankheitssymptome entwickeln, die teils bis zum Berufsausstieg führen. „Wir brauchen psychosoziale Unterstützungsstrukturen für medizinisches Personal, denn es geht uns alle an. Sind wir krank, können wir kranke Menschen nicht adäquat versorgen“, gibt Intensivmedizinerin Dr. Eva Potura, Vereinsgründerin und Vorsitzende von „Second Victim“ zu bedenken. Das Studienteam schlägt etwa Peer-Support-Programme sowohl im niedergelassenen als auch im innerklinischen Bereich vor.

WHO: Fakten zur Patientensicherheit

  • Etwa jede:r zehnte Patient:in erleidet Schäden, pro Jahr kommt es zu mehr als 3 Mio. Todesfällen. Mindestens die Hälfte dieser Schäden (1 von 20 Betroffenen) ist vermeidbar.
  • Häufige unerwünschte Ereignisse, die zu vermeidbaren Schäden führen können, sind Medikationsfehler, unsichere chirurgische Eingriffe, gesundheitsbedingte Infektionen, Sepsis, Diagnosefehler, Stürze des:der Patient:in, Druckgeschwüre, Fehlidentifizierung des:der Patient:in, unsichere Bluttransfusionen und venöse Thromboembolien.
  • Jede:r 30. Patient:in im Gesundheitswesen ist von medikamentenbedingten Schäden betroffen, wobei mehr als ein Viertel dieser Schäden als schwerwiegend oder lebensbedrohlich angesehen wird. Die Hälfte der vermeidbaren Schäden im Gesundheitswesen ist auf Medikamente zurückzuführen.
  • 10 Prozent der vermeidbaren Patientenschäden wurden im chirurgischen Bereich gemeldet, wobei die meisten daraus resultierenden unerwünschten Ereignisse vor und nach der Operation auftraten.
  • Diagnosefehler treten bei 5–20 Prozent der Arzt-Patienten-Kontakte auf.
  • Patientenstürze sind die häufigsten unerwünschten Ereignisse in Krankenhäusern. Ihre Häufigkeit liegt zwischen 3 und 5 pro 1.000 Bettentage. Mehr als ein Drittel dieser Vorfälle führen zu Verletzungen.
  • Eine gut umgesetzte Patienteneinbindung kann die Schadenslast um bis zu 15 Prozent reduzieren.

Studien dazu unter:
https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/patient-safety