Resolution: ÖÄK für Revival des „Krankenscheins“
Im Namen von fast 48.000 Ärztinnen und Ärzten beschloss die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) auf dem Ärztekammertag eine Resolution für den Finanzausgleich: Der „Krankenschein“ soll wieder kommen, aber digital. Und eine strenge Eintrittsregel für Spitalsambulanzen, die künftig die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) finanzieren soll.
Es geht um nichts weniger als die künftige Verteilung der Steuergelder zwischen Bund, Ländern und Gemeinden – die sogenannte 15a-Vereinbarung. Der 147. Ärztekammertag am 23.06.2023 stand ganz im Zeichen der aktuellen Finanzausgleichsverhandlungen. Denn damit werden auch im Gesundheitssystem die Weichen für die nächsten fünf Jahre gestellt.
Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ließ bereits im medonline-Interview Ende Jänner keinen Zweifel daran, die Verhandlungen für eine umfassende Gesundheitsreform zu nutzen. Doch was wollen Österreichs knapp 48.000 Ärztinnen und Ärzte? Deren Länderpräsidenten sowie die Vertreterinnen und Vertreter der angestellten und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte aus den Bundesländern haben ziemlich konkrete Vorstellungen, wie ein Blick in die einstimmig beschlossene Resolution* zeigt.
Täglich rund 350.000 Patientenkontakte
Und sie begründen diese Vorstellungen auch: „Wir Ärztinnen und Ärzte wissen durch täglich rund 300.000 Patientenkontakte in den Ordinationen (nur E-Card-Konsultationen) und fast 50.000 in den Spitälern (ambulant und stationär) um die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten wie sonst niemand im Gesundheitssystem Bescheid und werden unsere Erfahrungen gerne lösungsorientiert in die Diskussion einbringen.“
Fünf Punkte liegen ihnen am Herzen, allen voran: „Es ist uns wichtig, dass die Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten erhalten bleibt.“ Wichtig sei auch, dass diese sowohl im niedergelassenen als auch angestellten Bereich „genügend top ausgebildete Ärztinnen und Ärzte als Ansprechpartner“ haben und an den fachlich und medizinisch geeigneten Orten „nach besten wissenschaftlichen und ärztlich ethischen Prinzipien“ behandelt werden.
Weiters soll die Digitalisierung zum Nutzen der Ärztinnen und Ärzte rasch ins tägliche Arbeiten einfließen. Fünftens seien die Verantwortlichkeiten in der Finanzierung des Gesundheitswesens klar zu regeln. Diese fünf Punkte dienen auch zur Orientierung für die „Lösungsansätze“, zu denen sich die ÖÄK bekenne – samt Forderung an die politisch Verantwortlichen zur „raschen“ Umsetzung.
Bonus für Vorsorge, tägliche Turnstunde
In der Prävention und Vorsorge müsse „dringend“ mehr in Patienteninformation und -aufklärung investiert werden, heißt es in dem dreiseitigen Papier. Außerdem schlägt die ÖÄK ein Anreizsystem mit Bonus vor, sofern angebotene Vorsorge-Programme absolviert werden. Impf- und Vorsorgeprogramme wie z.B. Darmkrebsvorsorge, Diabetes-Vorsorge etc. seien auszubauen und „zu 100 Prozent“ zu finanzieren.
Schon in Kindergarten und Schule sollen außerdem gesundheitspädagogische Maßnahmen die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung verbessern. Genannt werden etwa Gesunde Jause, tägliche Turnstunde oder Med4school (Initiative der Wiener Ärztekammer und SV-Träger sowie ihrer Kooperationspartner für Gesundheitsförderung in Volksschulen, Anm.d.Red.).
Zuerst Strukturen schaffen, dann lenken
Beim Thema Patientensteuerung – dem ausführlichsten Teil der Resolution – schlägt die ÖÄK gleich 13 Maßnahmen vor. Davon betreffen acht die Verbesserung der Strukturen, um die Patientinnen und Patienten überhaupt „sinnvoll und effizient“ durch das System zu lenken. Dies erreiche man durch:
- mindestens 1.300 neue Kassenstellen
- Kassenverträge für alle Sonderfächer, um Angebot für die Versicherten zu verbessern
- Weiterentwicklung des Honorarsystems, Stärken der Gesprächsmedizin, Abschaffen von Deckelungen und Degressionen
- flexiblere Kassenverträge und bedarfsorientierte Weiterentwicklung des Vertragssystems
- massiven Ausbau und Finanzierung von Bereitschaftsdiensten für eine flächendeckende 24/7-Vorsorgung im extramuralen Bereich (z.B. auch durch Telemedizin, Funkdienst, Telefon)
- Errichtung und Finanzierung von zusätzlichen Versorgungseinheiten vor Spitälern (siehe dazu auch medonline-Interview zum Pilotprojekt im Burgenland)
- mehr Hausapotheken und ärztliches Dispensierrecht (mit Vorrang der Medikamentenversorgung im Ballungsraum durch Apotheken, im ländlichen Raum durch Ärztinnen und Ärzte)
- neue Zusammenarbeitsformen im niedergelassenen/Spitalsbereich, z.B. durch sinnvolle gemeinsame Nutzung von Großgeräten
E-Card als neuer „Krankenschein“ mit Limits
Doch die Bereitstellung von Strukturen per se ist zu wenig. Es fehle seit 2005 – der Einführung der E-Card – „ein wirksames Mittel zur Patientensteuerung“, lautet der ärztliche Befund. „Dringend notwendig“ sei eine „verpflichtende Patientenlenkung“, um die aktuellen Strukturen und damit das Gesundheitssystem zu entlasten. Die Resolution nennt neben dem genannten massiven Ausbau im niedergelassenen Bereich eine „klare Information“ der Patientinnen und Patienten über den Weg durch das System.
Es bedürfe aber auch „Konsequenzen bei Nichteinhaltung“ des vorgegebenen Versorgungspfads. Dieser müsse in einem „gemeinsamen Diskurs“ von den Verantwortlichen im Gesundheitssystem – Ärzteschaft, Pflege, ÖGK, Träger und Politik – entwickelt werden. Die Steuerung stellt sich die ÖÄK wie folgt vor:
- folgende Reihenfolge hat zu gelten: niedergelassen – ambulant (auch digital) – spitalsambulant – stationär
- kein Eintritt in die Spitalsambulanz ohne Überweisung (siehe dazu auch unser medonline-Interview Ende Dezember), die Steuerung erfolgt über die E-Card – ausgenommen Notfälle
- Programmieren der E-Card im Sinne des Status quo ante (Krankenschein für Allgemeinärztin/-arzt und Fachärztin/-arzt mit entsprechenden Limits)
- medizinischer Erstanlaufkontakt (auch telemedizinisch) müsse die Ärztin, der Arzt sein
- auch die Sozialversicherung sei gefordert, wirksame Lenkungssysteme einzuführen
Digitalisieren ja, aber anwenderfreundlich
Der dritte Punkt der Resolution betrifft die Digitalisierung. Hier seien Investitionen in benutzerfreundliche Systeme nötig, die die medizinische Tätigkeit unterstützen. Für die Patientinnen und Patienten schlägt die ÖÄK „zertifizierte Gesundheits-Apps und DiGA“ (digitale Gesundheitsanwendungen) vor. Auch brauche es klare rechtlichen Rahmenbedingungen für Telemedizin.
Gesundheitsdaten solle man weiters für „rein wissenschaftliche Zwecke bei garantierter Datensicherheit und ethischer Prüfung“ auswerten können. Zudem nennt die ÖÄK die Förderung strukturierter Dateneingabe und Verwendung unter Berücksichtigung kompatibler Diagnose-Kodierungssysteme wie „SNOMED CT“ (Systematized Nomenclature of Medicine – Clinical Terms, verwaltet von SNOMED International, einer nach eigenen Angaben gemeinnützigen Organisation, Anm.d.Red.).
Länder zahlen gesamten stationären Bereich
Die verflochtenen Finanzierungsströme sind ein eigener Punkt, der kurz und ohne Umschweife abgehandelt wird: „Alle Leistungen im niedergelassenen Bereich und die Leistungen in den Spitalsambulanzen werden durch die Sozialversicherung finanziert. Im Gegensatz sind die Spitalskosten – also der gesamte stationäre Bereich – von den Ländern zu tragen.“ Damit wolle man eine Entflechtung erreichen, inklusive klarer Verantwortung und Nachvollziehbarkeit.
Im letzten Punkt schlägt die Resolution Verbesserungen der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen vor. „Zeit“ taucht hier mehrmals auf: In der postpromotionellen ärztlichen Ausbildung müsse man „ausreichende Zeitressourcen“ ermöglichen, z.B. durch flächendeckende Installierung von Ausbildungsoberärztinnen und Ausbildungsoberärzten in jeder Abteilung, in der ausgebildet wird.
Pensionierte Ärztinnen und Ärzte sollen ausbilden
Es soll verbindliche Zeitkontingente für die Ausbildung geben, sowohl für ausbildende Fachärztinnen und Fachärzte als auch für die Auszubildenden. Erstere müssten auch „medizinisch-didaktisch“ geschult sein. Weitere Vorschläge sind „lebensphasengerechte Arbeitszeitmodelle“ im Spital und im niedergelassenen Bereich und steuerbegünstigte Teilzeit-Modelle für Ärztinnen und Ärzte im Pensionsalter zu Ausbildungszwecken.
Last but not least fordert die Resolution für den Arbeitsalltag „Zeit für Patientinnen und Patienten“ und eine Rückführung der „verdichteten Arbeitsbedingungen“.
Hinweis: Lesen Sie hier auch unseren Beitrag zur Pressekonferenz der ÖÄK über die Hintergründe zur Resolution.
*Die gesamte Resolution finden Sie hier: https://www.aerztekammer.at/home/-/asset_publisher/topnews/content/pa-gesundheitsversorgung-der-zukunft/261766
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