Die Kultur des Nichtrauchens
Zigaretten haben ihr einstmals positives Image eingebüßt. Nichtrauchen ist cool geworden. So mancher ehemalige Raucher greift zu Lifestyle-adäquaten Ersatzprodukten wie Tabakerhitzern & Co., was aus Sicht der Schadensminimierung durchaus zu begrüßen ist.
„Nikotin ist eine psychoaktive Substanz, die die Stimmung beeinflusst“, erklärt Univ.-Doz. Dr. Ernest Groman, wissenschaftlicher Leiter des Nikotininstituts, einer Einrichtung, die Raucherentwöhnungsprogramme in Zusammenarbeit mit den österreichischen Sozialversicherungsträgern organisiert: „Und zwar abhängig davon, wie es einem gerade geht: Wenn man aufgeregt ist, wirkt Nikotin beruhigend, wenn man müde ist, wirkt es anregend und stimulierend. Und Nikotin kann kurzfristig Hungersymptome überdecken, weshalb es von vielen Frauen zur Gewichtskontrolle eingesetzt wird.“ Das ist wohl ein Grund für die Verbreitung des Tabaks, einer nikotinhaltigen Pflanze, die vor allem in Gestalt der Zigarette bis vor wenigen Jahrzehnten ein integraler und unhinterfragter Teil der westlichen Kultur war. Doch das Bewusstsein der Menschen hat sich verändert. Das Rauchen hat seinen Nimbus eingebüßt. Immer weniger Menschen rauchen Zigaretten, auch wenn es in Österreich noch immer weit über 20 Prozent sind.
Vom Ritual zur Industrie
Tabak stammt aus Amerika und wurde von den indigenen Völkern Nord- und Südamerikas rituell, aber auch zum Genuss konsumiert. In der Zeit der Entdeckung bzw. Eroberung des Kontinents gelangten die Pflanze und das „Tabaktrinken“, wie das Rauchen damals noch genannt wurde, nach Europa, wo sie sich schnell verbreiteten. Bei der Obrigkeit stieß die neue Sitte zunächst auf wenig Akzeptanz. Mitte des 17. Jahrhunderts war der Verkauf von Tabak in Österreich verboten; dieser durfte nur zu medizinischen Zwecken in Apotheken abgegeben werden. In Russland sowie im Osmanischen Reich waren Raucher zu jener Zeit sogar mit der Todesstrafe bedroht. Doch das Rauchen erfreute sich in den Bevölkerungen so großer Beliebtheit, dass die Verbote auf Dauer nicht durchsetzbar waren. Spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts war Rauchen als Ausdruck einer verfeinerten Lebensweise in allen Gesellschaftsschichten verbreitet. Überdies stellten die Einnahmen aus der Tabaksteuer eine beträchtliche Einnahmequelle für die Staatshaushalte dar.
Ende des 19 Jahrhunderts fand die Zigarette, die industriell gefertigt und exzessiv beworben wurde, massenhaft Verbreitung und drängte Kautabak, Schnupftabak sowie Pfeifen- und Zigarrenrauchen in den Hintergrund. Bis über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinaus war die Zigarette ein nicht wegzudenkender Bestandteil der westlichen Kultur, was in populären Mythen bzw. Gebräuchen wie der letzten Zigarette vor der Hinrichtung oder der Zigarette „danach“ (gemeint ist: nach dem Sex) zum Ausdruck kommt. Geraucht wurde überall: in öffentlichen Verkehrsmitteln, Flugzeugen, Restaurants, am Arbeitsplatz, in Bibliotheken, Schulen, Universitäten und Krankenhäusern. Die Zigarette wurde, obwohl Rauchen abhängig macht, mit Freiheit und Unabhängigkeit assoziiert.
Imageverlust und Rauchverbot
Anfang der 1960er Jahre jedoch kam der Wendpunkt: Das Phänomen des Rauchens wurde von der Gesellschaft zunehmend kritischer wahrgenommen. In einer großen britischen Studie wurde 1962 der Zusammenhang zwischen dem Tabakrauchen und dem Risiko der Entwicklung eines Bronchialkarzinoms und einer koronaren Herzkrankheit wissenschaftlich eindeutig belegt; heute weiß man, dass Rauchen die mit Abstand häufigste Ursache für die Entstehung von Lungenkerbs und auch der stärkste Risikofaktor für Herzinfarkte und Herzgefäßerkrankungen ist. Spätestens seit den 1980er Jahren ist die Zigarette ihr cooles Image los und wird gesamtgesellschaftlich als gesundheitsschädliches, süchtig machendes Laster betrachtet. Zuletzt wurde das Rauchen durch Rauchverbote in der Gastronomie noch weiter aus dem öffentlichen Leben gedrängt. In weiten Kreisen ist Rauchen heute verpönt, verbreitet ist es vor allem noch unter sozial Benachteiligten. Die Anzahl der Raucher ist in Österreich – wie auch weltweit – rückläufig. Laut Statistik Austria ist die Prävalenz des Rauchens bei Männern zwischen 1972 und 2019 von 38,7 Prozent auf 23,7 Prozent zurückgegangen. Bei den Frauen allerdings ist sie von 9,8 auf 17,9 Prozent gestiegen.
Weil trotz des Wissens um die gesundheitlichen Gefahren und trotz Maßnahmen wie Werbeverboten, Rauchverboten in bestimmten Räumlichkeiten oder Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen noch immer zahlreiche Menschen am Zigarettenrauchen festhielten, wurde nach weiteren Wegen gesucht, um die Raucher von ihrem gesundheitsschädlichen Verhalten abzubringen. Einer davon war der Einsatz von Ersatzprodukten. „Viele Raucher wollen eigentlich nicht mit dem Rauchen aufhören. Denen muss man eine Alternative anbieten“, sagt Groman.
Schadensminimierung durch Alternativen
Als Erstes kamen in den 1980er Jahren Nikotinkaugummis und Nikotinpflaster auf den Markt, die jedoch über den Nachteil verfügen, dass sie nicht mit dem Image der Zigaretten mithalten können: „Es gibt kaum etwas Uncooleres, als in einer Apotheke einen Nikotinkaugummi zu kaufen“, meint Groman. Als Alternative zum Rauchen haben sich Kaugummis und Pflaster daher nicht wirklich durchgesetzt.
Anders die elektrischen Zigaretten, die Mitte der 2000er Jahre aufkamen, sowie die Tabakerhitzer und die tabakfreien Nikotinbeutel, die seit ein paar Jahren erhältlich sind: „Das sind Lifestyle-Produkte mit einem hohen Coolness-Faktor. Insbesondere Tabakerhitzer werden von den Rauchern gut angenommen, weil sie der Zigarette am nächsten kommen“, erklärt Groman. Obwohl die Produkte natürlich nicht mit dieser Intention vertrieben werden, sehen Mediziner wie Groman darin ein willkommenes Hilfsmittel, um Menschen vom Rauchen abzubringen. Denn während früher in der Rauchentwöhnung Abstinenz das einzige Ziel war, beginnt sich schön langsam die Strategie der Schadensminimierung („Harm Reduction“) durchzusetzen: Wenn die Leute nicht von Nikotin loskommen, ist es immer noch besser, sie verwenden ein vergleichsweise minimal toxisches Ersatzprodukt als die hochgiftigen Zigaretten. Dass das Rauchen weitestgehend aus der Gesellschaft verschwinden könnte, hält Groman für durchaus möglich. Er verweist auf Schweden, wo nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung Zigaretten rauchen – aber dafür ist Snus, eine EU-weit nur in Schweden erlaubte Form von oral konsumiertem Tabak, weit verbreitet. Ob auch der Tabak- bzw. Nikotinkonsum an sich eines Tages verschwinden wird? „Die Frage ist, ob das wünschenswert wäre, denn Nikotin ist ja im Vergleich zu anderen Substanzen harmlos“, gibt Groman zu bedenken: „Der Mensch hat immer Substanzen verwendet, um seine Stimmung zu beeinflussen. Was würden die Leute dann konsumieren?“