Wie sich Sportler beruhigen und pushen
Leistungssportler stehen gewaltig unter Druck. Manche versuchen, dem durch psychotrope Substanzen zu begegnen – sogar unter Inkaufnahme von negativen Effekten auf Performance und Karriere. Offenbar ist der Konsum von Betäubungsmitteln und Stimulanzien weiter verbreitet, als Antidopingorganisationen vermuten lassen.
Zu den Stressoren im Leistungssport zählt nicht nur der immense Druck in einem hoch kompetitiven Umfeld. Die Athleten müssen meist regelmäßig mit körperlichen Schmerzen und Verletzungen umgehen, dazu kommen Gruppendynamiken und soziale Probleme durch häufige Ortswechsel, Wettkampfreisen und Trainingslager, schreiben Jan Exner von der Klinik Lengg Zürich und Dr. Malte Claussen von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Verschärft wird der Stress in den oberen Leistungsebenen zudem durch das aufmerksame Auge der Öffentlichkeit.
Einige Sportler reagieren auf die psychischen Belastungen mit dem Griff zu psychotropen Substanzen. Wie hoch der Gebrauch von Alkohol, Nikotin, Cannabis, Stimulanzien und Betäubungsmitteln ist, haben die Kollegen anhand von Daten aus Dopingkontrollen und Fragebogenstudien ermittelt.
Zu den psychoaktiven Substanzen gehört zweifelsohne Nikotin, geraucht oder rauchlos konsumiert. Die Rauchprävalenz unter Leistungssportlern ist mit 0,8–15 % deutlich niedriger als in der Normalbevölkerung (global etwa 25 %). Zu rauchfreien Nikotinprodukten wie Kautabak und Snus greifen sie dagegen häufiger. In den amerikanischen Profiligen verwenden bis zu einem Drittel der Athleten Kautabak, bei der Eishockey-WM 2009 führten sich 30–50 % der getesteten Spieler kurz vor oder während des Matches Nikotin zu. Im Kraft- und Wintersport pushen sich bis zu 55 % der Athleten mit rauchfreiem Nikotin. Ein kurzfristiger positiver Effekt von Nikotin auf Kognition und Reaktionsvermögen ist wissenschaftlich durchaus nachgewiesen, eine deutliche körperliche Leistungssteigerung jedoch nicht.
Analgetika sind weit verbreitet
Der Cannabis-Konsum ist laut den Testergebnissen der Welt-Antidopingagentur (WADA) unter Leistungssportlern sehr selten. Fragebogenstudien deuten mit einer Spanne von 3–25 % jedoch durchaus auf einen ernst zu nehmenden Gebrauch hin. In den USA ist das womöglich den College-Dynamiken geschuldet.
Außerhalb der USA kommt Cannabis vor allem im Winter- und im Mannschaftssport, seltener bei Ausdauerathleten zum Einsatz – oft in Verbindung mit anderen psychotropen oder leistungssteigernden Substanzen. Häufig wird es als Eigenmedikation bei Gehirnerschütterungen oder Schmerzen nach Kontaktsport verwendet. Denn spezifisch leistungssteigernde Effekte hat Cannabis nicht.
Analgetika sind aufgrund ihrer schmerzlindernden Wirkung bei Athleten weit verbreitet. Ein Drittel der Spieler in den höheren deutschen Fußballligen gibt bei Dopingkontrollen die vorherige Einnahme erlaubter Analgetika, z.B. niedrigpotenter Opioide wie Tramadol oder Codein, an. Hochpotente Opioide sind während Wettkämpfen verboten, mittlerweile haben einzelne Sportverbände aber wegen der übermäßigen Nutzung das Verbot auf Tramadol erweitert. Bei Befragungen von ehemaligen Footballspielern berichtete mehr als die Hälfte, während der Karriere verschreibungspflichtige Opiate eingenommen zu haben, 70 % zeitweise sogar missbräuchlich.
Stimulanzien konsumieren Sportler wegen ihrer leistungssteigernden und psychotropen Wirkung. Darunter fallen verschreibungspflichtige Medikamente wie Methylphenidat und Modafinil, aber auch Kokain und Speed. Letztere werden bei Dopingtests nur selten gefunden. Dagegen stiegen in den letzten Jahren die Ausnahmegenehmigungen für Methylphenidat & Co. bei Athleten mit diagnostiziertem ADHS. Es wird vermutet, dass die Prävalenz von ADHS-Kranken bei Leistungssportlern tatsächlich höher ist als in der Allgemeinbevölkerung. Experten diskutieren den Gebrauch der Stimulanzien aber auch in diesem Licht kontrovers.
Besonders außerhalb der Wettkampfsaison ist der Alkoholkonsum unter Leistungssportlern bis hin zum Binge-Drinking erhöht. Eine Ursache dafür scheinen Gruppendynamiken zu sein, denn Mannschaftssportler konsumieren häufiger Alkohol als Sportler von Einzel- und Ausdauerdisziplinen. Aber auch Angst, depressive Zustände und die Bewältigung von Leistungsdruck lassen Sportler zur Flasche greifen. Langfristig kann das zum Problem werden: Ehemalige Profisportler sollen im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöhte Konsum-Raten haben.
Alkoholkonsum besonders außerhalb der Saison
Auch Anxiolytika oder Hypnotika werden von Sportlern eingenommen, genaue Zahlen gibt es dazu jedoch nicht. Genauso wenig wie zur Gamma-Hydroxybuttersäure: Diese war unter Bodybuildern lange wegen ihrer angeblich anabolen und euphorisierenden Wirkung beliebt.
Offenbar konsumieren Leistungssportler mehr psychotrope Substanzen, als Dopingkontrollen nachweisen, so das Fazit der Autoren. Bisherige Studien ließen vermuten, dass in einigen Athletengruppen Betroffene die Risiken nicht ausreichend abwägen können. Aus diesen Grund fordern die Wissenschaftler bessere Präventionskonzepte, mehr Aufklärung, niedrigschwellige psychiatrisch-psychotherapeutische Angebote und spezifische, in den Wettkampfalltag integrierbare Behandlungskonzepte für Sportler, die unter Substanzgebrauchsstörungen leiden.
Exner J, Claussen MC. DNP 2021; 22: 28–31