Aufklärung und Dokumentation – Theorie und Praxis
In diesem Teil der Serie mache ich einen Exkurs zum Thema Aufklärungsgespräch und Dokumentation, bringe Beispiele für misslungene und gelungene Fälle und zeige, wie wir in unserer Gruppenpraxis vorgehen.
Aufgrund meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als gerichtlich beeideter Sachverständiger kenne ich die große Bedeutung einer ausführlichen Aufklärung und einer Dokumentation über ein Aufklärungsgespräch. Im Falle eines von der Patientin oder vom Patienten vermuteten Behandlungsfehlers ist eine ausführliche Dokumentation die einzige Möglichkeit, bei Gericht oder im Fall eines Schiedsstellenverfahrens Erfolg zu haben.
Worauf ist theoretisch bei der Aufklärung zu achten?
Folgt man dem Ärztegesetz und der gängigen Judikatur, so ist die Patientin/der Patient über ihre/seine Erkrankung aufzuklären. Weiters muss eine Aufklärung über die geplante Behandlung erfolgen und sie/er auch über mögliche Behandlungsalternativen informiert werden. Mögliche Komplikationen sind ebenso zu erklären wie die Folgen des Unterlassens der Behandlung. Bei der Aufklärung ist darauf zu achten, dass die Patientin/der Patient diese versteht und sie/er nicht von der Behandlung abgehalten wird. Dies bedeutet, dass sich die Aufklärung einerseits am Bildungsniveau der Patientin/des Patienten orientieren muss, aber auch an deren Stimmungslage. Weiters muss die Aufklärung auf den Leidensdruck Rücksicht nehmen.
Wie dokumentiere ich das Aufklärungsgespräch richtig?
Im § 51 Ärztegesetz ist die Dokumentationspflicht für Ärztinnen und Ärzte geregelt, die ich hier zitieren möchte:
§ 51 (1) Der Arzt ist verpflichtet, Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person, insbesondere über den Zustand der Person bei Übernahme der Beratung oder Behandlung, die Vorgeschichte einer Erkrankung, die Diagnose, den Krankheitsverlauf sowie über Art und Umfang der beratenden, diagnostischen oder therapeutischen Leistungen einschließlich der Anwendung von Arzneispezialitäten und der zur Identifizierung dieser Arzneispezialitäten und der jeweiligen Chargen im Sinne des § 26 Abs. 8 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, erforderlichen Daten zu führen und hierüber der beratenen oder behandelten oder zu ihrer gesetzlichen Vertretung befugten Person alle Auskünfte zu erteilen. In Fällen eines Verdachts im Sinne des § 54 Abs. 4 sind Aufzeichnungen über die den Verdacht begründenden Wahrnehmungen zu führen. Der Arzt ist verpflichtet, dem Patienten Einsicht in die Dokumentation zu gewähren oder gegen Kostenersatz die Herstellung von Abschriften zu ermöglichen.
Wie lange muss ich die Dokumentation aufbewahren?
Gemäß § 51 Abs. 3 Ärztegesetz ist die Dokumentation der Behandlungen mindestens zehn Jahre aufzubewahren. Die Aufbewahrung der Patientendokumentation ist dabei in jeder technischen Form zulässig. Sie dient vor allem der Beweissicherung im Hinblick auf allfällige Schadenersatzansprüche einer Patientin/eines Patienten. Da Schadenersatzansprüche aber objektiv erst nach 30 Jahren verjähren, empfiehlt es sich, die Dokumentation nach Möglichkeit für die 30 Jahre aufzubewahren.
Aufklärung und Dokumentation in der Praxis
Wie sich aus der Gesetzeslage ergibt, ist eine durchgeführte Aufklärung über eine Behandlung nur dann beweisbar, wenn diese schriftlich dokumentiert ist. Daraus ergibt sich der zwingende Zusammenhang zwischen diesen beiden Begriffen.
Anhand von konkreten Beispielen werde ich zeigen, dass es in der täglichen Praxis durchaus möglich ist, auch in einer Ordination mit Kassenverträgen das Gesetz zu erfüllen.
Anamnese und Untersuchungsbefund sind das Um und Auf!
Das Kernstück einer Dokumentation in einem Rechtsstreit sind Anamnese und Untersuchungsbefund. Bei Infiltrationsbehandlungen im Bereich der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule besteht die potenzielle Gefahr, dass als Komplikation ein Pneumothorax auftritt.
Beispiel für unzureichende Dokumentation:
Anamnese: Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule links
Untersuchungsbefund: nicht vorliegend
Diagnose: Dorsalgie links
Therapie: Infiltration Brustwirbelsäule links
Beispiel für sinnvolle Dokumentation:
Anamnese: seit einem Tag massive Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule links, Patient kommt schmerzgekrümmt in die Ordination, gestützt auf eine Begleitperson, auf schmerzstillende Medikamente keine Besserung der Schmerzen, Schmerzbewertung (Skala 0–10): 8–9
Untersuchungsbefund: Beweglichkeit der Wirbelsäule nicht prüfbar, massiver Druckschmerz Th5–Th7 links
Diagnose: akute Dorsalgie links mit massiver Bewegungseinschränkung
Therapie: Infiltration Facettengelenke Th5–Th7 links, manualtherapeutische Mobilisierung
In beiden Fällen wurde keine Aufklärung über mögliche Komplikationen einer Infiltrationsbehandlung durchgeführt. Im Fall der spärlichen Dokumentation wird in einem Gerichtsverfahren der Nachweis, dass die Behandlung dringlich notwendig war, kaum gelingen. Im Fall der ausführlichen Dokumentation kann eine Richterin/ein Richter durchaus zu dem Schluss kommen, dass aufgrund des großen Leidensdruckes die Aufklärung über mögliche (seltene, aber typische) Komplikationen verzichtbar war.
Ein Beispiel aus der gutachterlichen Praxis
Nach der Infiltrationsbehandlung eines Kniegelenks trat eine Infektion auf, mehrere Operationen waren die Folge. Das Auftreten einer Infektion nach einer solchen Behandlung ist ein typisches Behandlungsrisiko. Im konkreten Fall war die gesamte Dokumentation jedoch minimalistisch:
Vorgelegt wurde eine Karteikarte in der Größe einer halben A4-Seite. Am Beginn stand der Begriff „Gonarthrose“ ohne Seitenbezeichnung. Die übrige Karteikarte war gefüllt mit einem Datumsstempel im Abstand von ein bis zwei Wochen, daneben handschriftlich die Zahl „114“ (114 ist die Positionsnummer für die intraartikuläre Injektion in ein großes Gelenk). Die Infiltrationsbehandlungen erstreckten sich über einen Zeitraum von zwei Jahren. Zu keiner Zeit wurde ein Röntgen veranlasst, zu keiner Zeit wurde die Möglichkeit einer Knietotalendoprothese dokumentiert.
Der behandelnde Arzt wurde mangels Dokumentation zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt.
Aufklärung in unserer Gruppenpraxis
In unserer orthopädischen Gruppenpraxis erhält jede Patientin bzw. jeder Patient beim Erstbesuch der Ordination einen Informations- und Aufklärungsbogen. Dieser muss vor der Behandlung durchgelesen und unterschrieben werden. Der unterzeichnete Bogen wird eingescannt und ist damit im Falle eines Rechtsstreites sofort verfügbar. Vor der Erstbehandlung werden die Patientinnen und Patienten der Ordination darauf hingewiesen, dass sie zum Informationsbogen noch Fragen stellen können. Einmal jährlich wird diese Prozedur wiederholt. Wir wissen, dass dieses Vorgehen ein Aufklärungsgespräch nicht ersetzt, gehen aber davon aus, dass diese Information sowohl für die tägliche Praxis als auch für ein Gerichtsverfahren geeignet ist, eine Aufklärung nachzuweisen. Sie können diesen Informations- und Aufklärungsbogen hier einsehen und gegebenenfalls herunterladen.
Befundbericht und Patientenbrief
In unserer Gruppenpraxis erhält jede Patientin/jeder Patient zu Beginn einer Behandlung und am Ende einer Behandlungsserie einen „Patientenbrief“ ausgehändigt, die Hausärztin/der Hausarzt erhält einen Befundbericht elektronisch zugesandt. Dieser Befund enthält die Anamnese, die Diagnose und die durchgeführte Therapie sowie weitere geplante Kontrolltermine. Weiters sind verordnete Rezepte, Zuweisungen und Verordnungen in dem Brief angeführt. Nicht angeführt sind der klinische Untersuchungsbefund und die Befundung von vorliegenden Röntgenbildern.
Im Fall eines Rechtsstreites ist ein an die Patientin/den Patienten ausgehändigter Befundbericht durchaus in der Lage, als „Beweisstück“ für eine Aufklärung zu dienen, wenn dies im Befund vermerkt ist.
Was erwartet Sie im nächsten Teil der Serie?
Im nächsten Beitrag werde ich auf unser Vorgehen bei der mehrstufigen Aufklärung zu Operationen eingehen, aber auch auf grundsätzliche Gedanken zur medizinischen Software.