Mut zur Praxisgründung
Scheuen Sie sich nicht davor, von erfahrenen Kolleg:innen oder Mentor:innen zu lernen. Berufen Sie sich stets auf Ihre Stärken und Fähigkeiten und nehmen Sie sich Zeit, in inneren Filmen Ihren künftigen Handlungsspielraum vorab zu erleben.
Tagträumen? Ja, Sie haben richtig gelesen. Tagträumen in seiner besten Form bedeutet, sich vor seinem inneren Auge Szenarien aus der Zukunft so realistisch wie möglich vorzustellen, gewissermaßen einen inneren Film zu drehen. Dabei erleben Sie sich selbst (Voraussetzung: stressfreie Umgebung!) in verschiedenen Situationen und stellen Ihre Handlungen auf die Probe.
Gerade in der Phase weitreichender Entscheidungen wie einer Praxisgründung, womöglich in einer neuen Umgebung, sind stets auch die emotionalen Zentren in unserem Gehirn involviert und beeinflussen alle Entscheidungen. So kann die Umgebung Ihrer künftigen Ordination etwa durch Kindheitserinnerungen im besten Fall positiv emotional aufgeladen sein. Umso lieber werden Sie an Ordinationstagen dort hinfahren. Auch die zu erwartende Klientel spielt eine Rolle. Die Chance, Ihre künftigen Patient:innen – und Angehörigen! – bei Praxisvertretungen kennenzulernen, sollten Sie jedenfalls ergreifen. Für jüngere Ärzt:innen bietet zudem die Lehrpraxis die Chance, sich nicht nur fachlich, sondern auch emotional und mental mit einer späteren Praxisführung vertraut zu machen. Student:innen sollten ihre Ausbildner:innen also auch im Umgang mit schwierigen Situationen beobachten, denn schließlich lernen wir in unserem Verhalten viel von positiv besetzten Vorbildern!
Nicht verunsichern lassen
Meistens gibt es in der Phase der Praxisgründung kritische Stimmen und Vorbehalte aus dem Umfeld. Fragen wie „Hast du dir das wirklich gut überlegt?“ oder „Warum tust du dir heute noch eine Kassenpraxis an?“ können die gefasste Entscheidung ins Wanken bringen – umso mehr, wenn sie von wichtigen Personen kommen. Legen Sie sich daher rechtzeitig Standardantworten auf gut gemeinte, aber nicht immer hilfreiche Warnungen zurecht. Mit einer Antwort wie „Ja, habe ich und ich freue mich auf die neue Aufgabe“ bremsen Sie unangenehme Fragespiralen und erinnern sich selbst zugleich an die positiven Aspekte ihrer Entscheidung.
Natürlich sollten Sie stets realistisch bleiben und den zu erwartenden emotionalen und mentalen Aufwand abschätzen. Denken Sie dabei daran, was Sie abgesehen vom medizinischen und wirtschaftlichen Erfolg zurückbekommen. Ein emotionaler Lohn kann das Vertrauen der Patient:innen sein. Wollen Sie auch außerhalb der Ordinationszeiten in Notfällen erreichbar sein? Die Erfahrung zeigt, dass Patient:innen dieses Angebot dankbar annehmen und sich wirklich nur dann melden, wenn sie nicht mehr weiter wissen, vielleicht auch nur, um die Bestätigung zu haben: „Mache ich mich nicht lächerlich, wenn ich deshalb die Rettung rufe?“
Bereiten Sie sich mental vor
Eine Herausforderung gerade am Beginn der selbstständigen Tätigkeit können einzelne Momente der Hilflosigkeit sein. Wo im Krankenhaus interdisziplinär und multiprofessionell Entscheidungen getroffen werden, müssen Sie nun auf Ihr eigenes Wissen und Können vertrauen. Es kann also heißen, die eigenen und zugleich die Grenzen der Medizin anzuerkennen, etwa wenn Sie als Hausärztin/Hausarzt in einer ländlichen Gegend Menschen in allen Lebensphasen begleiten. Doch auch auf solche Momente können Sie sich bis zu einem gewissen Grad mental vorbereiten, indem Sie die Szenarien im Kopf durchspielen, dabei Ihren Handlungsspielraum und Ihre kommunikativen Strategien abstecken – bis hin zur möglichen Alarmierung des Notarzt-Hubschraubers. Auch die Frage nach künftigen Nebentätigkeiten wie Sachverständige, Schulärztin/Schularzt oder die medizinische Betreuung in Pflegezentren können Sie sich mit inneren Filmen überlegen: Sehen Sie sich rechtzeitig an, was zeitlich und vom persönlichen Energieaufwand gut machbar ist.
Booster Selbstwirksamkeit
Selbst-wirksam-sein bedeutet, sich in herausfordernden Situationen seine Stärken und Fähigkeiten bewusst zu machen. Gerade vor wichtigen Entscheidungen wie der Frage „Eine eigene Praxis gründen Ja oder Nein?“ kommen mitunter Zweifel auf. Gedanken kreisen dann womöglich um weitere Fragen wie: „Werde ich es schaffen?“ oder „Habe ich genügend Management-Know-how, um eine Praxis zu führen?“. Richten Sie bei solchen Grübelspiralen die innere Aufmerksamkeit auf Situationen, die Sie erfolgreich bewältigt haben, und fragen Sie sich, was Ihnen damals geholfen hat. War es vielleicht Ihre Besonnenheit oder gab es konkrete Unterstützung von anderen? Selbst-wirksam-sein bedeutet aber genauso, potenzielle Lernfelder zu erkennen, um Schwierigkeiten künftig noch besser begegnen zu können.
Unsere Gastautorin DDr. Isabella Wessig studierte Philosophie und Medizin in Wien. Kurz vor Ende ihrer Turnusausbildung am Krankenhaus Wiener Neustadt bekam sie das Angebot von Dr. Alfred Johne aus Puchberg/Schneeberg, Praxisvertretungen zu übernehmen. Rund drei Jahre lang durfte sie dabei Erfahrungen sammeln, wobei auch gemeinsame Visiten gefahren wurden. Während dieser Zeit betrieb Wessig zudem eine Wahlarztpraxis mit Schwerpunkt Komplementärmedizin in Wiener Neustadt. 2016 übernahm sie schließlich die Kassenpraxis für Allgemeinmedizin; kurz darauf übersiedelte das Ordinationsteam mit fünf Mitarbeiter:innen in neue, barrierefreie Ordinationsräume.