24. Apr. 2025Wie die neue Regierung das österreichische Gesundheitssystem zukunftsfit machen will

Wege zur besseren Gesundheitsversorgung

Prävention, „Ambulantisierung“ und Digitalisierung: Das sind nur drei der vielen Themenkomplexe, mit denen das österreichische Gesundheitswesen künftig effizienter werden soll. Auf der Jahrespressekonferenz der Gesundheitsplattform Praevenire diskutierten hochkarätige Stakeholder im Gesundheitssystem über das neue Regierungsprogramm im Bereich Gesundheit.

Krankenversicherungskonzept.
Foto: Kiattisak/stock.adobe.com

„Österreich hat ein herausragendes Gesundheitssystem, dieses ist aber ineffizient und hat ein Finanzierungsproblem“, konstatiert Praevenire-Präsident Dr. Hans-Jörg Schelling.

Um der österreichischen Bevölkerung weiterhin eine gute Versorgung im öffentlichen Gesundheitssystem bieten zu können, braucht es jetzt Maßnahmen zu strukturellen Änderungen und zur Effizienzsteigerung. Das Regierungsprogramm sieht etliche Neuerungen vor, zu denen auch der Verein Praevenire mit zahlreichen Vorschlägen beigetragen hat. Zentrale Themen dabei sind

  • Ausbau des niedergelassenen Bereichs (u.a. „Ambulantisierung“ von Spitälern),
  • Prävention,
  • Patientenlenkung,
  • Digitalisierung und
  • Finanzierung aus einem Topf.

Konzentration auf den niedergelassenen Bereich

„Unsere Aufgabe ist es, auch in Zukunft Spitzenmedizin auf E-Card für alle Menschen in Österreich sicherzustellen, unabhängig von sozialem Status oder Einkommen“, betont Mag. Peter McDonald, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), die derzeit ein hohes Budgetdefizit hat. Dafür brauche es einerseits bessere Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung und Vorsorgeinitiativen, andererseits den Ausbau einer integrierten multiprofessionellen Versorgung im niedergelassenen Bereich und von telemedizinischen Services. Neu geschaffen werden sollen Facharztzentren verschiedenster Disziplinen, auch mit Einbindung anderer Gesundheitsberufe. Dazu gehören auch spezialisierte Zentren für chronische Erkrankungen, seltene Erkrankungen und die psychosoziale Versorgung. Zusätzlich sollen Pflege- und Therapiepraxen aufgebaut werden, an die Ärzte zuweisen können.

Andreas Huss, MBA, Obmann-Stv. der ÖGK, weist darauf hin, dass das österreichische Gesundheitssystem sehr spitalslastig – und damit teuer – ist. Zum Vergleich: Österreich hat 108 öffentliche Spitäler – Dänemark bei einer Einwohnerzahl von sechs Millionen nur 32.

Kosten einsparen soll in Hinkunft etwa die tagesklinische oder ambulante Durchführung von bisher stationären Eingriffen. Konkrete Pläne zum Umbau von Akutspitälern in multidisziplinäre ambulante Einrichtungen gibt es derzeit etwa in Niederösterreich, weitere werden folgen.

Aufwertung der Servicehotline 1450

Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle, Gesundheitssprecher der ÖVP und ehemaliger Rektor der Med Uni Graz, betont die Notwendigkeit einer steuernden Lenkung der Patientenströme, damit diese rasch und einfach an den Best Point of Service gelangen können, „denn sonst würde jeder Ausbau der Versorgung wieder ins Leere gehen“. Dazu soll die Servicehotline 1450 österreichweit einheitlich als Erstanlaufstelle ausgebaut werden und eine rund um die Uhr verfügbare telemedizinische Abklärung sowie eine Weiterleitung an einen niedergelassenen Arzt oder eine Spezialambulanz ermöglichen, inklusive Terminvergabe.

Darüber hinaus arbeitet die ÖGK derzeit an einem intelligenten elektronischen Zuweisungssystem für MR/CT-Untersuchungen, die in Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Staaten überdurchschnittlich häufig durchgeführt werden. Dieses sieht auch eine Dringlichkeitsreihung vor, damit kritisch Kranke zeitnah eine Abklärung bekommen. Das neue System soll noch heuer ausgerollt werden.

Mehr Telemedizin, ELGA für alle

Durch ein Vorantreiben der Digitalisierung erwartet man sich zudem Effizienzsteigerung und Einsparungen. So sollen telemedizinische Angebote weiter ausgebaut und ELGA besser genützt werden, sodass Daten und Befunde der Patienten jederzeit abrufbar sind. Dadurch ließen sich teure Doppelgleisigkeiten – etwa durch bisher gängige Software-Inkompatibilitäten – vermeiden, so Prof. Smolle. Bis Jahresende sollen alle Labor- und Bildgebungsdaten in ELGA verfügbar sein, auch Wahlärzte und andere Gesundheitsberufe sollen in die elektronische Gesundheitsakte eingebunden werden. Im Jahr 2026 soll zudem die verpflichtende Diagnosecodierung eingeführt werden.

Digitalisierung könnte aber auch bei der Entbürokratisierung helfen, hofft der ÖVP-Gesundheitssprecher. Dabei soll es aber nicht wie bisher sein, dass jeder Digitalisierungsschritt als Arbeitsleistung für den Arzt dazukommt, sondern als eine wirkliche Erleichterung, fordert Prof. Smolle. „Denn das Gesundheitspersonal soll sich wieder mehr seiner Kernaufgabe, nämlich der Arbeit am Patienten, widmen – nur das schafft langfristig Zufriedenheit im Beruf.“ Perspektivisch sollen Ärzten bei der Dokumentation außerdem spezialisierte Assistenten zur Hand gehen. 

Prävention: Neuerungen beim Mutter-Kind-Pass und bei Erwachsenenimpfungen

Eine größere Rolle soll in Zukunft der Prävention zukommen. „Zentrales Anliegen dabei ist es, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken“, so Rudolf Silvan, Gesundheitssprecher der SPÖ. Zu nennen seien hier Präventionsprogramme für Erwachsene zur Früherkennung oder das Kindergesundheitspaket, das u.a. den Eltern-Kind-Pass „zu einem umfassenden Gesundheitsförderungsinstrument für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr ausbaut“, wobei aber die Kariesvorsorge derzeit noch fehlt.

Auch Impfungen sind als Teil der Prävention zu sehen, da sie schwere Erkrankungen und hohe Kosten vermeiden helfen. So wird das öffentliche Erwachsenen-Impfprogramm demnächst höchstwahrscheinlich um vier Impfungen erweitert werden.

Zudem soll auch der E-Impfpass verstärkt genutzt werden, damit jederzeit – etwa per eigener App – ersichtlich ist, welche Impfungen ein Patient absolviert hat. So soll sich bei einer Unfallbehandlung auch die Frage erübrigen, wann die letzte Tetanusimpfung stattgefunden hat. „Denn seinen Papier-Impfpass hat man ja meistens nicht mit“, weiß Silvan aus eigener leidvoller Erfahrung. Er sei jedenfalls „bis ans Lebensende geschützt vor dem Wundstarrkrampf“, fügt er scherzhaft hinzu.

Gesundheitskompetenz schon in der Schule fördern

Fiona Fiedler, BEd, Gesundheitssprecherin von NEOS, fordert mehr Gesundheitskompetenz im Bildungsbereich. Einerseits müsste den Kindern und Jugendlichen Gesundheitswissen vermittelt werden, „etwa, wann es angezeigt ist, zum Arzt zu gehen, oder wann das Hausmittel von Mama oder Oma ausreicht“. Andererseits müssten die Pädagogen durch Teams aus dem Gesundheitsbereich unterstützt werden, etwa durch School Nurses (denn Lehrer dürfen keine Medikamente verabreichen oder Verbände anlegen). Schulärzte sollten stärker eingebunden werden und auch Daten in ELGA einspeichern, damit bessere Daten über die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, was derzeit  – etwa bei Adipositas (wir haben berichtet) – nicht der Fall ist.

Eine besondere Rolle bei der Gesundheitsförderung von klein auf sieht Fiedler im Turnunterricht, der häufig aufgrund von pädagogischen Engpässen jetzt schon zu kurz kommt. Abhilfe schaffen könnten externe Vereine, die die Gestaltung des Sportunterrichtes übernehmen.

Fiedler fordert außerdem die Präsenz von klinischen Psychologen an den Schulen, die Kindern und Jugendlichen bei mentalen Problemen beistehen und schon früh eingreifen können. „Den jungen Menschen soll vermittelt werden: Wenn du etwas auf der Seele hast, auch dann helfen wir dir.“

Österreichs Beitrag zur Arzneimittelsicherheit

Im Rahmen der Life-Science-Strategie soll weiterhin in Forschung und Entwicklung investiert werden. Das soll langfristig sicherstellen, dass der Forschungs- und Entwicklungsstandard in Österreich wettbewerbsfähig bleibt und einen Beitrag zur gesamteuropäischen Strategie für Arzneimittelsicherheit leistet. „In den letzten 20 Jahren ist ein großer Teil der Arzneimittelproduktion aus Europa abgewandert. Die aktuellen globalen Entwicklungen zeigen uns deutlich, was das bedeutet. Sie sollten ein Weckruf sein, damit Europa – und auch Österreich – wieder eine stärkere Rolle übernimmt“, sagt ÖVP-Gesundheitssprecher Smolle. Dazu gehört, dass die universitären Einrichtungen und die forschende Industrie die nötigen Förderungen und stabile wirtschaftliche Rahmenbedingungen erhalten.

Nicht zuletzt wird die Finanzierung des Gesundheitswesens aus einem Topf angestrebt, um die zersplitterte Finanzierungskompetenz zu beenden. Expertengruppen der Regierung arbeiten bereits daran, Finanzierungsströme zu identifizieren und langfristig zu bündeln. Ein einfaches Unternehmen sei das zwar nicht, so NEOS-Gesundheitssprecherin Fiedler. „Am Ende sollte aber auch die Patientenlenkung leichter sein, wenn etwa bekannt ist, dass der Weg zum Hausarzt immer der günstigere ist als der ins Krankenhaus.“

Drogenprobleme fangen in Österreich schon bei den Jüngsten an

Univ.-Prof. Dr. Gabriele Fischer, Wissenschaftlicher Beirat der EU-Drogenagentur (EUDA) und MedUni Wien, weist darauf hin, dass mentale Erkrankungen der Gesellschaft und der Volkswirtschaft die höchsten Kosten verursachen. Doch in diesem Bereich gibt es zu wenig Ärzte, wobei ein Hemmschuh der in Österreich übliche 1:1-Ausbildungsschlüssel für Psychiater ist. Hier sieht sie dringenden Reformbedarf.

Substanzgebrauchsstörungen sind hierzulande sehr verbreitet. So gehört Österreich in der EU zu den drei Ländern mit dem höchsten Alkoholkonsum, der Gebrauch sinkt nur geringfügig. Auch die substanzgebundene Mortalität ist in Österreich vergleichsweise hoch. „Suchteinrichtungen brauchen eine bessere fachärztliche Versorgung“, fordert Prof. Fischer.

Jugendliche, die Suchtmittel konsumieren, sind häufig auch solche, die an einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden. Da Pädagogen sind hier oft überfordert sind, sieht auch Prof. Fischer einen dringenden Bedarf an klinischen Psychologen an Schulen. Es bestehe aber weiterhin das Problem, dass es viel zu wenige Jugendpsychiater gibt, an die man die Betroffenen zuweisen könnte, ganz besonders im ländlichen Raum, so Prof. Fischer. Hier könnten telemedizinische Angebote einen wichtigen Beitrag leisten.

Es besteht außerdem eine Überlappung von bis zu 30 Prozent mit ADHS und Adipositas im Kindes- und Jugendalter, „doch auch hier ist die Versorgung unzureichend und moderne gewichtsregulierende Medikamente wie die GLP-1-Rezeptor-Agonisten werden nur bei einem manifesten Typ-2-Diabetes von der Krankenkasse übernommen“, beklagt Prof. Fischer.

Die multidisziplinäre fachärztliche Versorgung von Betroffenen psychischer Erkrankungen ist für sie essenziell. „Durch frühzeitige Interventionen können sowohl psychologische Behandlungen besser adressiert als auch Kosten eingespart werden.“