22. Mai 2024Sozialbarometer Pflege 2024

Volkshilfe: „Pflegethema ist wahlentscheidend“

Die Parteien täten gut daran, die Pflege in den Fokus zu rücken. Denn das Thema sei für fast die Hälfte der Bevölkerung sogar „wahlentscheidend“, zeigt eine Studie der Volkshilfe Österreich. Die Hilfsorganisation fordert, auf Angehörige und Pflegekräfte zu „hören“, und startet eine neue Kampagne.

Krankenschwester sitzt auf einem Krankenhausbett neben einer älteren Frau, die mit den helfenden Händen hilft, Konzept der
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Die Regierung (ÖVP/Grüne) habe zwar mit den 20 Maßnahmen der Pflegereform einiges Positives auf den Weg gebracht, wie etwa den Pflegebonus. Aber das sei „noch immer zu wenig“, sagt Mag. (FH) Erich Fenninger, DSA, Direktor Volkshilfe Österreich, am 22.5.2024 bei einer Pressekonferenz. Es brauche „dringend“ weitere Reformen. Pflegende Angehörige hätten zu wenig Unterstützung, Pflegekräfte stünden wegen Personalengpässen unter Druck.

Den Handlungsbedarf zeigt auch das „Volkshilfe Sozialbarometer“ auf, welches das FORESIGHT-Institut mehrmals jährlich durchführt. Die jüngste repräsentative Befragung (n=1.007, maximale Schwankungsbreite +/-3,1%) fand im März – passend zum heurigen Wahljahr – zum Thema „Ist Pflege wahlentscheidend?“ statt. Die Antworten fielen deutlich aus: 47% der face-to-face Interviewten stufen das Thema als wichtig für die eigene Wahlentscheidung ein.

Dabei steigt die Zustimmung („Ja“ oder „Eher ja“) wenig überraschend mit dem Alter an. Bei den über 75-Jährigen sind es sogar zwei Drittel (67%). Doch auch für 30% der 15- bis 29-Jährigen ist das Pflegethema für die Wahlentscheidung relevant. Diesen Wert bei Jüngeren findet Fenninger „durchaus beachtlich“, wenn er an seine Jugend zurückdenkt, wo Pflege nicht in diesem Ausmaß Thema war.

Im Burgenland ist das Pflegethema am relevantesten

Bemerkenswert auch die regionalen Unterschiede, wie ein Blick auf die Ergebnisse zeigt: Befragte in den westlichen Bundesländern (Vorarlberg 38%, Tirol 34%, Salzburg 27%) sowie in der Steiermark (40%) stufen das Pflegethema seltener als wichtig für ihre Wahlentscheidung ein als Befragte in Niederösterreich (57%) und im Burgenland (75%).

Die nächste Frage, ob die Regierung derzeit genug unternehme, um in Zukunft eine gute und leistbare Pflege für alle Menschen zu gewährleisten, lässt ebenfalls an Deutlichkeit wenig missen: Rund zwei Drittel (67%) sagen „Eher nein“ oder „Nein“. Im Jahr 2021 waren es noch 63%. Besonders skeptisch ist die Gruppe der ab 75-Jährigen, wo knapp drei Viertel die Maßnahmen der Regierung als unzureichend einstufen. Seltener kritisch sind Menschen mit einem Einkommen über 3.500 Euro.

Aber auch hier ist die Mehrheit (52%) skeptisch. „Das bedeutet, dass ein höheres Engagement der Regierung erforderlich ist“, sagt Fenninger. Insbesondere wenn man daran denke, dass es in Österreich knapp 500.000 Pflegegeldbeziehende gibt und mit den Angehörigen bzw. dem familiären Umfeld 1,5 Mio. Menschen mit dem Pflegethema konfrontiert sind.

Mehr Steuergeld für Pflege ausgeben

Mehr als drei Viertel der Befragten (78%) stimmen der Aussage zu, dass künftig mehr Steuergeld für die Pflegefinanzierung ausgegeben werden soll. Diese ohnehin hohe Zustimmung klettert bei über 75-Jährigen sogar auf 92%. Besonders hoch auch der Wert in den unteren Einkommensgruppen: Bis zu einem monatlichen Einkommen von 1.500 Euro liegt die Zustimmung zur Erhöhung des Pflegebudgets aus Steuermitteln bei 90%, bis 2.500 Euro bei 88%, bis 3.500 Euro bei 78% und ab 3.501 Euro wieder etwas höher: 81%.

Fenninger erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass Österreichs Pflegebudget mit 1,9% des BIP ohnehin nicht Spitzenreiter sei. Dänemark wende für die Pflege 2,5% des BIP auf, die Niederlande sogar 3,5%. Eine Reform sei aber hierzulande nicht einfach, räumt er ein. Denn durch die Aufteilung zwischen Bund (für Pflegegeld zuständig) und Ländern (Verantwortung für Dienstleistungslandschaft), die sich oft gegenseitig blockieren würden, brauche es auch Änderungen im System.

Die Befragten würden auch „dringenden Reformbedarf“ bei Höhe und Einstufung des Pflegegeldes sehen, fährt DGKP Mag. Teresa Millner-Kurzbauer, MBA, Bereichsleitung Pflege & Betreuung/Demenzhilfe Volkshilfe Österreich, fort. Fast 9 von 10 (87%) sind dieser Ansicht, um den tatsächlichen Pflegebedarf „ausreichend“ zu decken. Wieder ist die Zustimmung bei über 75-Jährigen mit 95% besonders hoch.

Pflegegeldeinstufung derzeit „defizitorientiert“

Die Volkshilfe plädiert hier für einen „Paradigmenwechsel“ beim Pflegegeld. Derzeit sei die Einstufung „sehr defizitorientiert“, berichtet Millner-Kurzbauer. Dabei würden aber Aspekte der Pflege, wie die Stärken und Ressourcen zu erhalten, zu verbessern oder wiederherzustellen, nicht ausreichend berücksichtigt. Außerdem seien eine Optimierung der Gutachter-Ausbildung und eine begleitende Qualitätssicherung nötig.

Bei der letzten Frage, ob man dem eigenen Kind zur Wahl eines Pflegeberufes raten würde, ist das Ergebnis für Millner-Kurzbauer „extrem niederschmetternd“. Nur 38% der Befragten würden zu einem Pflegeberuf raten, 41% sogar davon abraten. „Das tut weh“, sagt Millner-Kurzbauer, selbst DGKP, die den Pflegeberuf für einen „sehr schönen Beruf“ hält.

Pflegeberuf „extrem erfüllend“ – aber…

Sie bekomme auch in vielen Gesprächen zu hören, dass Pflege- und Betreuungsberufe „extrem erfüllend“ seien. Aber es müssten eben die Rahmenbedingungen passen, „das ist ein klarer Auftrag an die Politik“. Auch angesichts des „sehr großen Personalmangels“ brauche es dringend Verbesserungen, denn bis 2030 würden pro Jahr 2.000 zusätzliche Pflegekräfte fehlen.

„Das Pflegethema ist für die österreichische Bevölkerung besonders wichtig – sogar wahlentscheidend“, fasst Fenninger zusammen. Die Menschen würden sich „noch mehr Engagement“ von der Regierung wünschen, wiederholt er und spricht ebenfalls von einem „klaren Auftrag“. Und: „Diese Erkenntnisse sollten alle Parteien in ihren Wahlprogrammen berücksichtigen.“

Aus dem Sozialbarometer und aus den Erfahrungen der täglichen Arbeit mit Betroffenen hat die Volkshilfe 6 Forderungen entwickelt (siehe Kasten). Aufbauend darauf startet die Hilfsorganisation außerdem eine neue Kampagne: Auf mehr als 6.000 Plakatflächen stehen bis Ende Oktober „Pfleger*innen – weil wir wissen, wie’s geht“ und „Pflegende Angehörige – weil wir wissen, was wir brauchen“ im Mittelpunkt, unterstützt von Aktivitäten auf Social Media.

Forderungen der Volkshilfe

  1. Verbesserungen bei der Langzeitpflege (mobile, teil- und stationäre Pflege)
  2. Weiterentwicklung der Betreuung für Menschen mit demenziellen Erkrankungen
  3. Pflegende An- und Zugehörige besser unterstützen
  4. Verbesserung der Rahmenbedingungen und Attraktivierung des Berufsbildes
  5. Paradigmenwechsel beim Pflegegeld
  6. Ein Land – ein Pflegesystem

Die Forderungen sind im Detail hier abrufbar.