Impflücken schließen – aber wie?
Österreich liegt derzeit bei vielen Impfungen im hinteren Feld, teilweise sogar am letzten Platz. Dass daran dringend gearbeitet werden muss, steht für Vertreterinnen und Vertreter der Ärzte- und Apothekerschaft (wie auch anderer Stakeholder aus dem Gesundheitsbereich) außer Frage. Doch beim Wie gibt es noch Reibungspunkte.
In einer Pressekonferenz vom 23.4.2024 appellierte Apothekerkammer-Präsidentin Mag. Ulrike Mursch-Edlmayr an die Gesundheitspolitik, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Impfen in Apotheken zu ermöglichen. „Das Impfen in Apotheken ist in anderen Ländern längst eine Erfolgsgeschichte. In Irland beispielsweise, wo vor 10 Jahren damit begonnen wurde, auch in Apotheken gegen Influenza zu impfen, ist die Durchimpfungsrate seither um 60% gestiegen! Um der durch die Pandemie verstärkten Impfmüdigkeit und -skepsis entgegenwirken zu können, müssen wir niederschwellige Impfangebote stellen – wie die Impfung in Apotheken“, ist Mursch-Edlmayr überzeugt. In Ländern, in denen Impfungen in Apotheken bereits möglich sind, sei auch die Impfrate in Ordinationen gestiegen, so die Apothekerkammer-Präsidentin.
Mursch-Edlmayr betont, dass es dabei nur um die Erwachsenen-, nicht aber um Impfungen für Kinder gehe – und dabei wolle man sich auch auf Auffrischungsimpfungen wie Influenza und FSME bei Erwachsenen konzentrieren. Andreas Huss, Vize-Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), möchte das Angebot weiter einschränken auf gesunde erwachsene Personen: „Kinder und Risikopersonen sollten weiterhin in Ordinationen geimpft werden, um Kontraindikationen abzuklären. Ansonsten kann durchaus in anderen Settings wie Apotheken geimpft werden“, so Huss. Nicht zu vergessen seien auch Impfungen in Betrieben. Der Hemmschuh dabei sei, dass Impfen derzeit nicht in der betriebsärztlichen Einsatzzeit mitgerechnet werden kann: „Da gibt es aber Verhandlungen mit der Regierung, damit sich das ändert.“
Impfen ist aus Ärztekammersicht Sache der Ärztinnen und Ärzte
Gänzlich anders ist die Sicht der Ärztekammer Wien, wie deren Präsident Dr. Johannes Steinhart in einer Aussendung mitteilte: „Nur das enge Arzt-Patient-Vertrauensverhältnis und die exzellente Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte in Österreich garantieren die maximale Patientensicherheit und schaffen Vertrauen für die Schutzimpfungen in der Bevölkerung, welches seit der Corona-Pandemie mehr als angeschlagen ist. Impfen ist eine ärztliche Leistung und muss es auch in Zukunft bleiben.“ Dass die Influenza-Durchimpfungsrate in Österreich derart niedrig ist, sei auf mangelhafte Organisation des Gesundheitsministeriums und der ÖGK zurückzuführen, so Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin und Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer für Wien.
Sicherheit der Patientinnen und Patienten muss garantiert sein
Dass die Sicherheit nur in Arztpraxen gegeben sei, dem widerspricht Mursch-Edlmayr: „Im Rahmen der Impf-Fortbildung lernen die Apothekerinnen und Apotheker auch, wie im Notfall reagiert werden muss und welche Erste-Hilfe-Maßnahmen zu ergreifen sind. So wie auch in Ordinationen müsste in dem Fall die Rettung gerufen werden. In jeder Apotheke gibt es aber auch Notfall-Epipens, die im Falle eines anaphylaktischen Schocks sofort verabreicht werden können!“
Sofern die Sicherheit der Patientinnen und Patienten garantiert werden kann, es qualitätssichernde begleitende Maßnahmen gibt und die Dokumentation den Standards entspricht, sieht auch Dr. Michaela Wlattnig, Leitung der PatientInnen- und Pflegeombudsschaft Steiermark, ein Impfangebot in den Apotheken durchaus positiv.
90 Millionen Euro müssen sinnvoll eingesetzt werden
Bei allen Differenzen herrscht aber auch großteils Einigkeit darüber, was mit den im Rahmen des Finanzausgleichs für Impfungen freiwerdenden 90 Millionen Euro passieren soll. Laut Gesundheitsminister Johannes Rauch konnte dadurch die Ausweitung der kostenlosen HPV-Impfung bis zum 30. Geburtstag finanziert werden, weitere Impfungen sollen schrittweise folgen.
„Wir brauchen diese 90 Millionen aber wirklich für ‚neue‘ Impfungen. Ich hoffe nicht, dass geplant ist, die COVID-Impfungen, die bisher von der Regierung finanziert wurden, ebenfalls mit diesem Geld abzudecken“, warnt Huss. Sowohl die ÖGK als auch die Ärztekammer sehen die dringende Notwendigkeit, Impfungen gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) sowie gegen Herpes zoster für ältere Menschen ins gratis Impfprogramm aufzunehmen. Auch die Pneumokokkenimpfung sowie die 4-fach-Impfung gegen Polio, Tetanus, Diphtherie und Pertussis wird in diesem Zuge von der Ärztekammer genannt.
Deal: Impfen gegen Dispensierrecht?
Abschließend betont die Apothekerkammer-Präsidentin, dass „Impfen in Apotheken das mit Abstand niederschwellige Impfangebot in Österreich wäre und Personen mobilisieren könnte, die bisher nicht durch Impfzentren oder Ärztinnen und Ärzte erreicht wurden. Der standespolitische Widerstand der Ärztekammer muss beendet werden – er gefährdet die Gesundheit der Menschen“, so Mursch-Edlmayr. Steinhart zeigt sich ob dieser Aussage empört: „Uns Gefährdung der Gesundheit zu unterstellen, ist völlig inakzeptabel und wird von uns aufs Schärfste zurückgewiesen!“ Er wünscht sich konstruktive Gespräche mit Apotheker- und Ärzteschaft und dem Gesundheitsministerium und fordert im Gegenzug die Bereitstellung von Impfstoffen und die Abgabe von Medikamenten direkt in den Ordinationen – ebenfalls im Sinne der Patientinnen und Patienten und für einen niederschwelligen Zugang, wie in der Aussendung betont wird.
Update 24.4.2024: Aus Niederösterreich kommen indes schlichtende Worte. Der Präsident der NÖ Ärztekammer, Dr. Harald Schlögel, schlägt vor im Sinne der Patientinnen und Patienten gemeinsam zu arbeiten: „Ich lade daher die Vertreterinnen und Vertreter der Apothekerkammer ein, gemeinsam mit uns Lösungen zu finden, wie wir die Durchimpfungsraten und gleichzeitig die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten mit Medikamenten verbessern können.“
Quellen:
- „Überparteiliche Initiative für Impf-Angebot in der Apotheke“, Pressekonferenz der Österreichischen Apothekerkammer, Wien, 23.4.2024
- „Ärztekammer Wien: Impfen ist ärztliche Leistung und muss es auch in Zukunft bleiben!“, Aussendung der Ärztekammer Wien, 23.4.2024
- „Ärztekammer Wien empört über untragbare Aussage von Apothekerkammerpräsidentin“, Aussendung der Ärztekammer Wien, 23.4.2024
- „NÖ Ärztekammer: Impfen und Medikamente direkt von Ärzt:innen tragen zu bester medizinischer Versorgung bei“, Aussendung der NÖ Ärztekammer, 24.4.2024