Wenn die Kasse zweimal klingelt …

RECHTSBERATUNG – Im Zuge von Abrechnungskontrollen fordern Kassen von Vertragsärzten Auskunft und Einsicht in Patientenakten. Wie lässt sich das mit der Schweigepflicht vereinbaren und was sind die Rechte und Pflichten der Ärzte in dem Zusammenhang? MT macht eine Bestandsaufnahme. (Medical Tribune 49/17) 

Die Krankenkassen, allen voran die Wiener Gebietskrankenkasse, scheinen in einer Art „Aktion scharf“ verstärkt ärztliche Abrechnungen zu prüfen und verlangen im Zuge dessen einschlägige Auskünfte. In den letzten Monaten kam es vermehrt zu solchen Auskunftsbegehren eines Versicherungsträgers an Vertragsärzte, wie betroffene Mediziner, aber auch mit der Angelegenheit betraute Juristen berichten. Behauptet werden etwa Unregelmäßigkeiten in den Abrechnungen. Zur Überprüfung derselben ersucht der Versicherungsträger um Zusendung von Krankengeschichten, mitunter lädt er auch zu einem Gespräch ein. Doch wie schaut eigentlich die genaue Rechtslage dazu aus? Inwieweit müssen Ärzte überhaupt Auskunft geben und wie genau sollten sie mit Anfragen der Versicherungsträger umgehen?

MT holte die Expertise der renommierten Wiener Rechtsanwaltskanzlei Spitzauer & Partner ein. Dr. Friedrich Spitzauer spricht von vielen Verfahren, die in dem Zusammenhang laufen würden. „Nach unserer Erfahrung sieht sich der Vertragsarzt am Ende dieses Prozesses meist mit einer hohen Honorarrückforderung konfrontiert.“ Doch zunächst die grundsätzliche Frage: Müssen Ärzte der Kasse Auskunft geben? „Relevant ist hier der Umfang der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht gemäß § 54 Ärztegesetz“, erklärt Spitzauer. Es bestehe eine Ausnahme für Mitteilungen oder Befunde an Sozialversicherungsträger, allerdings nur in dem Umfang, „als er für den Empfänger zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben eine wesentliche Voraussetzung bildet“.

Die „übertragene Aufgabe“ sei in aller Regel die vom Sozialversicherungsträger durchzuführende Bezahlung der Kosten einer Heilbehandlung. Demnach darf ein Versicherungsträger nur jene Dokumente einsehen, die zur Überprüfung der mit ihm verrechneten Leistungen erforderlich sind. Im Gesamtvertrag wird diese Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht präzisiert: nämlich dahingehend, dass ein Vertragsarzt nur gegenüber ordnungsgemäß ausgewiesenen bevollmächtigten Ärzten der Versicherungsträger zur Erteilung von Auskünften in medizinischen Fragen verpflichtet ist. Sonstigen Bevollmächtigten, also nicht-medizinischem Personal, müssen nur Auskünfte in Fragen nicht-medizinischer Art erteilt werden.

Nur mit Ärzten reden

„Konsequenterweise ist daraus zu schließen, dass nicht-medizinisches Personal bei der Erteilung von Auskünften in medizinischen Fragen nicht anwesend sein darf“, sagt Philipp Schrader, ebenfalls in der Kanzlei Spitzauer & Partner tätig. Er berichtet von folgendem Fall: Ein Klient bestand darauf, dass der Nicht-Mediziner den Raum verlässt, woraufhin die Kasse das Gespräch abgebrochen hat. Anschließend wurde das als Gesprächsverweigerung seitens des Arztes gewertet und, neben anderen Dingen, als Grund für die Kündigung des Kassenvertrages herangezogen. Die Krankenkasse sieht das anders: „Nach dem Vertragspartnerrecht sind Vertragsärzte den Mitarbeitern der WGKK zur Auskunft verpflichtet, in medizinischen Fragen besteht die Verpflichtung zwar nur den Ärzten der WGKK gegenüber, die Teilnahme anderer Mitarbeiter an diesen Gesprächen ist jedoch zulässig“, schreibt die WGKK auf Anfrage der MT.

Im Übrigen will man von einer „Aktion scharf“ nichts wissen: „Die Anzahl der notwendigen Rückfragen ist seit Jahren stabil, seitens der Kasse werden keine verstärkten Kontrollen durchgeführt. Allerdings nimmt die Zahl der Ärzte zu, die dieser Auskunftsverpflichtung nicht nachkommen wollen und der Kasse keine Unterlagen zur Verfügung stellen.“ Letzteres müssen sie auch nicht bedingungslos: Laut Gesamtvertrag besteht keine Verpflichtung des Vertragsarztes, dem Versicherungsträger Krankengeschichten auszuhändigen: „Eine Herausgabepflicht der Unterlagen ist dem Vertragsarzt nur schwer zumutbar, etwa weil dieser die Unterlagen selbst benötigt. Es ist daher von einem Einsichtsrecht an Ort und Stelle auszugehen“, erklärt Spitzauer. Dabei gelte, dass es auch kein Recht auf eine Kopie gibt, Unterlagen dürften also nicht mitgenommen werden. Einschränkung: Mitunter ergebe sich aus der anwendbaren Honorarordnung eine Herausgabepflicht zum Beispiel bei Laboruntersuchungen oder Röntgenleistungen.

Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte der ÖÄK, gibt der WGKK Kontra: „Dahinter steckt offenbar System. Was mich stört, ist der von den Krankenkassen vermittelte Generalverdacht. Ärzte kommen rasch in eine Art Verhörsituation. Ich denke, dass dies durchaus auch so gewollt ist von den Kassen. Kein Problem mit Kontrollen – aber keine Schikanen am Rücken der Ärzteschaft.“ Einer Einladung zum Gespräch in den Geschäftsräumen des Versicherungsträgers muss der Arzt übrigens nicht nachkommen. Die Auskunftspflicht besteht nur an Ort und Stelle, also in der Ordination des Vertragspartners. Schrader: „Der Einladung des Versicherungsträgers sollte nicht gefolgt werden, einem Verlangen auf Auskunftserteilung in den eigenen Ordinationsräumen muss allerdings nachgekommen werden. Dabei gilt aber, dass die Interessen des Vertragsarztes zu berücksichtigen sind, das heißt, ein Termin zum Beispiel nicht während üblicher Ordinationszeiten stattfinden muss.“

Empfehlung

Sollten Sie sich mit einer Anfrage eines Versicherungsträgers konfrontiert sehen, empfehlen die Experten von Spitzauer & Partner folgende Vorgehensweise:

  • Analyse der Anfrage (was will der Versicherungsträger?) und Rücksprache mit Kurie bzw. Fachbereich, ob mehrere Kollegen eine derartige Anfrage erhalten haben.
  • Sofern der Versicherungsträger zu einem Termin zu sich einlädt, darauf verweisen, dass der Auskunftspflicht nur in den Ordinationsräumlichkeiten nachgekommen wird und einen für Sie passenden Termin vorschlagen.
  • Sofern der Versicherungsträger die Übermittlung von Unterlagen verlangt, ist dieses Begehren zurückzuweisen, weil keine Pflicht zur Herausgabe von Unterlagen besteht.
  • Bei einem Termin sollte ein Vertreter der Kurie bzw. Fachbereichs und gegebenenfalls ein Rechtsanwalt anwesend sein.
  • Bei einem Termin ist dann auf Folgendes zu achten:
    • Sämtliche anwesenden Personen des Versicherungsträgers haben sich ordnungsgemäß auszuweisen und ihre Bevollmächtigung schriftlich nachzuweisen.
    • In medizinischen und nicht-medizinischen Fragen sind Auskünfte (inkl. Einsicht in die Krankengeschichte) den Ärzten des Versicherungsträgers zu erteilen.
    • In Fragen nicht-medizinischer Art sind Auskünfte auch nicht-ärztlichem Personal zu erteilen.
    • Bei Auskunft in medizinischen Fragen darf nicht-ärztliches Personal nicht anwesend sein.
  • Eine Aufnahme des Gesprächs (Tonband) ist ohne Zustimmung des betroffenen Arztes unzulässig, es sollte keine Zustimmung dazu erteilt werden.
  • Das Personal des Versicherungsträgers hat nur ein Einsichtsrecht in Unterlagen, d.h., Unterlagen dürfen nicht kopiert, fotografiert oder mitgenommen werden.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune