Allgemeinmedizin am Abstellgleis

Reformen, verbale Querschüsse und ein alarmierendes Umfrage-Ergebnis: Das Präsidium der Ärztekammer wurde gerade erst neu gewählt, schon haben die Verantwortlichen alle Hände voll zu tun. (Medical Tribune 29/2017)

Traurig, aber wahr: Immer weniger Studierende (laut einer Umfrage nur noch acht Prozent) interessieren sich für Allgemeinmedizin.
Traurig, aber wahr: Immer weniger Studierende (laut einer Umfrage nur noch acht Prozent) interessieren sich für Allgemeinmedizin.

Von wegen Sommerloch: Im österreichischen Gesundheitssystem herrscht, zumindest hinter den Kulissen, Hochsaison. Die Politik hat schnell noch Reformen auf den Weg gebracht, der größte Spitalsbetreiber des Landes wird neu aufgestellt und dann gibt es auch noch unschöne Statistiken und verbale Querschüsse. In letztere Kategorie fallen Aussagen von Experten in einem kürzlich erschienenen Artikel des „Kurier“, in dem unter anderem lange Wartezeiten kritisiert wurden. „Die Problematik ist nicht vom Tisch und tendenziell verschlechtert sich die Situation“, sagte darin Patientenanwalt Gerald Bachinger und meinte zudem: „Dieses Nebeneinander – und oft auch gegeneinander – von niedergelassenem und stationärem Bereich muss aufhören.“

„Bürokratische Schikane“

Der Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), Dr. Johannes Steinhart, wollte das so nicht im Raum stehen lassen. „Für lange Wartezeiten auf einen Termin bei Kassenärztinnen und -ärzten sind in allererster Linie die von den Sozialversicherungen gewünschten Deckelungen ärztlicher Leistungen verantwortlich“, ließ er die Öffentlichkeit via Aussendung wissen. „Der Um- und Missstand, dass die Kassen dem Arzt nur eine bestimmte Anzahl von Leistungen honorieren, und zwar unabhängig vom realen Bedarf der Patienten, gehört ersatzlos abgeschafft.“ Dem Sprecher der Patientenanwälte seien diese Bestrebungen der Kassen, aus Kostengründen einen künstlichen Flaschenhals herzustellen, bekannt. Es sei deshalb umso bedauerlicher, dass er hier keine seriöse Ursachenforschung betreibe und brauchbare Lösungen anbiete, sondern den Schwarzen Peter einmal mehr den Ärzten zuschiebe.

Im März 2017 sei wegen der unzumutbaren Wartezeiten auf einen MRT- oder CT-Termin die Aufhebung der Deckelungen für diese Untersuchungen beschlossen worden. „Und was tut zum Beispiel die Wiener Gebietskrankenkasse? Sie führt per 1. Juni 2017 die Chefarztpflicht für CT und MRT wieder ein“, bemängelt Steinhart. „Eine sinnlose bürokratische Schikane, die wohl einzig dem Zweck der Zugangsbegrenzung zu solchen Untersuchungen führt: eine Deckelung neu also. Dazu waren kritische Worte des Patientenanwalts wie gewohnt nicht zu vernehmen.“ Steinhart wiederholt eine alte Forderung der Ärztekammer: „Weg mit der Deckelung!“ Maßstab für die Honorierung durch die Kassen könne einzig der Patientenbedarf sein, und nicht „eine Vorgabe von Kassenbürokraten“.

Den Präsidenten der ÖÄK beschäftigt derweil eine aktuelle Umfrage der ÖH der Medizinischen Universität Innsbruck. Demnach interessieren sich nur noch acht Prozent der Medizinstudierenden für eine Karriere in der Allgemeinmedizin (siehe Kasten unten). „Äußerst besorgniserregend“, nennt Dr. Thomas Szekeres dieses Ergebnis. Haus­ärztinnen und Hausärzte seien eine tragende Säule in jedem funktionierenden Gesundheitssystem.

„Endlich aufwachen“

„Die Verantwortlichen in Politik und Sozialversicherung müssen endlich aufwachen“, meint Szekeres in Anbetracht derartiger „Alarmzeichen“. Es gehe dabei aber keineswegs nur um die Bezahlung, ergänzt der Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin der ÖÄK, Dr. Edgar Wutscher. Genauso wichtig sei die Modernisierung und Durchforstung der teils völlig veralteten Leistungskataloge. Auch das halte viele Jungmediziner vom Weg in die Kassen-Allgemeinmedizin ab: „Sie sind hochmotiviert, befürchten aber, dass sie vieles von dem, was sie erlernt haben, gar nicht erst anwenden können, weil es die Kassen nicht bezahlen.“

Szekeres verweist auch darauf, dass man trotz oder gerade in Anbetracht des nun beschlossenen Primärversorgungsgesetzes auch nicht umhinkommen werde, „endlich Arbeitsmodelle zu schaffen, die es jungen Ärztinnen und Ärzten ermöglichen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen“. An vorderster Stelle steht dabei die Forderung nach der Anstellung „Arzt-bei-Arzt“. Nach Meinung der Standesvertreter trägt auch die noch immer nicht geklärte Finanzierung der Lehrpraxis dazu bei, dass viele Ärzte in Ausbildung lieber gleich den Facharztweg einschlügen. „Die Lehrpraxis ist gesetzlich vorgeschrieben: Die öffentliche Hand hat daher endlich ihre Finanzierung sicherzustellen“, fordern Szekeres und Wutscher unisono. Erfreulich ist für die Standesvertreter indes eine Entwicklung im Spitalsbereich: Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) wird als eine Anstalt öffentlichen Rechts neu organisiert. Dass der städtische Spitalsträger mehr Personal- und Finanzkompetenzen erhält, sei ein wichtiger Schritt, so ÖÄK-Chef Szekeres. Er fordert freilich eine weitere Einbindung der Ärzteschaft bei der Umsetzung der neuen Organisationsform.

 

Die Pläne der Medizinstudenten
Eine Umfrage der ÖH Medizin Innsbruck klärt über Pläne und Erwartungen von Medizinstudierenden im letzten Studienabschnitt auf. Die große Mehrzahl sieht sich in Zukunft in einer Fachdisziplin, nur acht Prozent streben eine Karriere als Allgemeinmediziner an. Mangelndes Interesse, ungünstige Arbeitsbedingungen und beschränkte medizinische Behandlungsmöglichkeiten sind für die fehlende Popularität der Allgemeinmedizin verantwortlich. Die Arbeit am Land stellt kein Hindernis dar. Von den österreichischen Studierenden tendieren wenigstens fast zwei Drittel dazu, in Österreich zu arbeiten, der Rest sieht seine Zukunft in Deutschland oder der Schweiz.

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune