Ärzte wollen keine Fehler zugeben

Aus Fehlern kann man lernen. Dumm nur, dass es im heimischen Gesundheitssektor offenbar keine Fehlerkultur gibt. Das jedenfalls legt eine aktuelle Studie zum Fehlermeldesystem CIRS nahe. (Medical Tribune 25/2017)

Diskutierten über ihre Einschätzungen zu CIRS (v.l.): Katharina Reich, Wolfgang Moritz, Robert Hoge, Franz Bittner und Šehad Draganović.
Diskutierten über ihre Einschätzungen zu CIRS (v.l.): Katharina Reich, Wolfgang Moritz, Robert Hoge, Franz Bittner und Šehad Draganović.

„Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“ Das wusste schon Konfuzius. Es gibt wohl niemanden, der heute einem medizinischen Fehlermeldesystem seine Bedeutung abspricht. Dennoch kommt das Critical Incident Reporting System (CIRS) auch Jahre nach seiner Einführung nur schwer in die Gänge. „Das ist ein kulturelles Problem in Österreich. Wir suchen nicht Fehler, sondern Schuldige“, erklärte Franz Bittner, der Patientenombudsmann der Ärztekammer für Wien, auf einer Podiumsdiskussion im Zuge des 87. Gesundheitspolitischen Forums in Wien, das sich vor Kurzem des Themas annahm. Früher habe man Fehler bzw. Fast-Fehler überhaupt nicht wahrhaben wollen. „Jetzt“, wie Bittner bewusst „überspitzt“ formuliert, „haben wir ein System, aber niemand verwendet es.“

Šehad Draganović und Prof. Dr. Guido Offermanns von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Karl Landsteiner Gesellschaft haben die Wahrnehmung der Sicherheitskultur durch Health Professionals in österreichischen Gesundheitsorganisationen erforscht und dazu Fragebögen verschickt. Die Zahlen sind schon vor der Detailauswertung ernüchternd: Von 80 Krankenhäusern haben nur zehn mitgemacht und bei diesen gab es eine Rücklaufquote von lediglich 23 Prozent (und nur ein geringer Teil davon waren Ärzte). Man kam aber immer noch auf ein Sample von gut 1500 Befragten.

Verbesserungspotenzial

Die Ergebnisse ihrer Studie präsentierten die Autoren unter dem Titel „Erfolgsfaktoren für die Wirksamkeit von Fehlermeldesystemen im Kontext einer Patientensicherheitskultur“. Fast 90 Prozent der Befragten meinten, dass es in ihrer Klinik ein Fehlermeldesystem gibt, aber 68 Prozent haben in den zurückliegenden zwölf Monaten selbst kein einziges Ereignis gemeldet. „Hier gibt es Verbesserungspotenzial“, sagt Šehad Draganović. CIRS werde oft schon kurz nach der Einführung wieder vernachlässigt. Der Glaube an die Wirksamkeit von Präventivmaßnahmen sowie der straffreie Umgang bei der Berichterstattung von Fehlern seien laut den Autoren der Studie von zentraler Bedeutung für den nachhaltigen Erfolg von Fehlermeldesystemen.

Ganz wichtig sei auch die Kommunikation. „Die Häufigkeit des Meldens steigt, wenn es mehr Feedback gibt und keinerlei Strafen für Meldungen“, so Draganović. Prob­lematisch gestaltet sich die Fortbildung: 93 Prozent der Befragten wurden zu CIRS-Schulungen eingeladen, aber nur 59 Prozent haben an solchen teilgenommen. Diese Schulungen werden zum Teil auch schlecht bewertet. Häufig fehlt den Health Professionals schlichtweg die Zeit, jedenfalls wünschen sie, sie hätten mehr Zeit für CIRS zur Verfügung.

Eine Frage der Kultur

Dr. Katharina Reich, die ärztliche Direktorin der Barmherzigen Brüder Wien, meinte: „Beim Thema Risikomanagement und Patientensicherheit geht es nicht nur um Checklisten und CIRS-Systeme, es geht darum, eine entsprechende Kultur zu etablieren.“ Das sei wie in der Musik: „Jemandem nur eine Geige und einen Bogen in die Hand zu drücken, reicht nicht.“ Man müsse Schulungen anbieten, das Thema in die Köpfe kriegen. Die Mitarbeiter müssen den Nutzen und Mehrwert des Systems erkennen. CIRS sei wie ein Instrument, das man dann am Ende bekommt. Eigen­initiative sei dabei das Wichtigste. Man könne auch von anderen Branchen viel lernen, etwa von der Fliegerei. „Piloten werden regelmäßig überprüft – ob sie wollen oder nicht“, so Reich: „Das schau ich mir bei einem Primar an.“ Tosender Applaus aus dem fachkundigen Publikum.

Vielleicht bräuchte man mehr Druck von außen. „Man müsste ökonomische Anreize schaffen, um solche Systeme zu forcieren“, sagte Ombudsmann Bittner. „Es krankt daran, dass wir Fehler und Beschwerden negativ betrachten. Aber eigentlich sind Beschwerden doch positiv, weil sie Organisationen letztendlich verbessern.“ Er wünscht sich obendrein mehr Transparenz zwischen den Spitälern, so-dass diese untereinander vergleichbarer sind: „Als Patient sollte man einsehen können, wo es was in den jeweiligen Fachbereichen gegeben hat.“

Was sind nun die entscheidenden Erfolgsfaktoren für ein funktionierendes Fehlermeldesystem? „Die Mitarbeiter müssen sehen, dass sich etwas verändert hat“, sagt Robert Hoge, Referent für Qualitätsmanagement bei der AUVA. Es müsse einen niederschwelligen Zugang geben, aber auch Konsequenzen, zeitnahes Feedback und Lösungen. „Wir haben bereits 2005 begonnen, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen und CIRS 2006 im UKH Graz implementiert. Seit 2012 haben wir es in allen unseren Einrichtungen“, so Hoge. Seitdem habe es bereits 1800 Meldungen gegeben und in Folge dessen hunderte Änderungen, die letztendlich zu besseren Lösungen geführt hätten – für alle, vom Assistenten bis zum Oberarzt.

Wolfgang Moritz, der Geschäftsführer der ÖQMed GmbH (Österreichische Gesellschaft für Qualitätssicherung & Qualitätsmanagement in der Medizin), die das anonyme Fehlerberichts- und Lernsystem CIRSmedical im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer betreibt, sieht vor allem Führungskräfte gefordert. „Die Führung muss dahinter stehen und sich committen. Zeitliche und finanzielle Ressourcen müssen zur Verfügung gestellt werden.“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune