20. Juni 2017

Gutachten wirft heikle Fragen auf

Das Gutachten zum Tod einer vermeintlichen „Migräne“-Patientin liegt vor. Die Staatsanwaltschaft Linz ist im Strafverfahren noch am Ermitteln. MT ging der Frage nach, wie sich junge Ärzte vorsehen können. (Medical Tribune 24/2017)

Details rund um die Ereignisse, die im November 2016 zum Tod einer Patientin in Linz geführt haben, sind unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Details rund um die Ereignisse, die im November 2016 zum Tod einer Patientin in Linz geführt haben, sind unklar. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Dieser Fall schlägt Wellen. Wie berichtet starb im November eine 36-Jährige an einer Aneurysma-Ruptur, nachdem sie bei den Barmherzigen Brüdern (BHB) in Linz mit einer Kopfschmerzdiagnose entlassen wurde. Jetzt liegt ein Gutachten von Prim. Dr. Michael Huemer vor. Dieses verneint die Frage der Staatsanwaltschaft, ob die Behandlung in der Notfallambulanz lege artis erfolgte. „Zweifellos hat eine klinische Indikation zur Abklärung der Kopfschmerzen mittels CCT vorgelegen“, heißt es. Der nächste Schritt der Staatsanwaltschaft sei nun, der betroffenen Assistenzärztin die Möglichkeit einer Stellungnahme zu geben, entweder in Form einer Vernehmung oder schriftlich, informiert ein Sprecher auf MT-Anfrage.

Ein derart klares Gutachten sehe er selten, sagt Prof. Dr. Johannes Hintermayr, der die Hinterbliebenen vertritt. Für den Anwalt erhärtet sich der Verdacht auf ein mögliches Organisationsverschulden – die Assistenzärztin, der im schlimmsten Fall eine Anklage auf „fahrlässige Tötung“ droht, hatte noch nicht einmal das erste Drittel ihrer FA-Ausbildung hinter sich. Das Gutachten belege auch eindeutig, dass der Bericht der Sanitätsaufsicht des Magistrats Linz vom 18.1.2017 „unrichtig“ sei. Weder sei die Krankengeschichte vollständig, noch treffe die Arbeitsdiagnose („rezidivierende Kopfschmerzen“) zu, mit der begründet wurde, dass die Entlassung der Patientin ohne FA-Beurteilung möglich gewesen sei (MT berichtete exklusiv). Daher hat Hintermayr das Gutachten dem Amt der OÖ. Landesregierung vorgelegt und ersucht, der Sanitätsaufsicht die sofortige Evaluierung ihres Berichts aufzutragen.

Unvollständige Anamnese

Auf MT-Nachfrage bestätigte Dr. Bernd Brand, Direktion Soziales und Gesundheit, den Erhalt des Gutachtens, dessen Hauptkritikpunkte v.a. „eine unvollständige Anamnese und Fehleinschätzung der Symptomatik mit unrichtiger Diagnosestellung und fehlender weiterführender Diagnostik“ seien. Das Gutachten enthalte aber keinen Hinweis auf ein Organisationsverschulden oder auf fehlerhafte organisatorische Abläufe, deren Feststellung Aufgabe der Sanitären Aufsicht wäre. „Nichtsdestotrotz werden wir der zuständigen Behörde das Sachverständigengutachten zwecks einer allfälligen ergänzenden Stellungnahme übermitteln.“

Man gehe jedoch nach wie vor davon aus, dass für die Abläufe in der Notfallaufnahme durch die angewendeten Standards bzw. Leitfäden die erforderlichen Vorsorgemaßnahmen getroffen worden seien. Nachsatz: „Im Falle eines Behandlungsfehlers werden natürlich diese geltenden Standards durchbrochen“, wobei festzustellen sei, dass dadurch keine Zuständigkeit der Sanitären Aufsicht entstehe.

Keine Stellungnahme gibt es derweil von der Sanitätsaufsicht selbst, den BHB und der Verteidigung. Auch ÄKOÖ-Präsident Dr. Peter Niedermoser äußert sich zum konkreten Fall nicht. Auf die Frage nach der allgemeinen Verantwortung präzisiert er: „Im Ärztegesetz steht, kontinuierlich Verantwortung an die auszubildenden Ärzte zu übergeben. Aber der Facharzt, der Ausbildungsverantwortliche bzw. der Primarius ist letztverantwortlich.“ Was er jungen Kollegen empfiehlt: „Wichtig ist, sich nicht zu schämen, wenn man das Gefühl hat, fachlich oder vom Arbeitsaufwand her überfordert zu sein, sondern Stopp zu sagen. Das darf einem bei einer guten Abteilungsstruktur und einem korrekten Chef nie zum Nachteil gereichen.

Wenn das so wäre, bitte an die Kammer melden, das ist für mich nicht akzeptabel!“ Auch die Ausbildungsverantwortlichen sollen „klar und deutlich“ aufzeigen, wenn für die Ausbildung zu wenig Zeit und Personal vorhanden seien. Niemand solle „bis zum letzten Zacken arbeiten, sondern rechtzeitig aufschreien, nicht nur mündlich, auch schriftlich“. So sei auch sein Artikel in der Februar-Ausgabe der „OÖ Ärzte“ zu verstehen (siehe Kasten). In OÖ sind Spitalsärzte in der Haftpflichtversicherung des jeweiligen Hauses mitversichert. Diese Versicherung stellt dann auch im Falle eines Prozesses den Strafverteidiger zur Verfügung.

Was tun in „prekären“ Situationen?
ÄKOÖ-Präsident Dr. Peter Niedermoser berichtet in der Kammerzeitung „OÖ Ärzte“ (02/17, S. 9, „Engpässe in der Patientenversorgung durch strukturelle Probleme“) von vermehrten Beschwerden aus den Häusern, wonach aus Sicht der dortigen Ärzte eine Lege-artis-Patientenversorgung gefährdet sei. Er schlägt aus haftungsrechtlichen Gründen eine „stufenweise Lösung“ vor, um ein „allfälliges Organisationsverschulden“ rechtzeitig aufgezeigt zu haben: Zuerst die Ärztliche Direktion schriftlich von der „prekären“ Situation informieren, bei Nichtreagieren urgieren, wird auch darauf nicht reagiert, den Rechtsträger verständigen.
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Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune