12. Mai 2017

Der Erfolg ist programmiert

© Volodymyr Krasyuk, iStockphotoEin Online-Studiengang der Tiroler Privatuniversität UMIT soll Mediziner im IT-Bereich fit machen. Zur Bewältigung ihres beruflichen Alltags werden sie am Computer schließlich immer mehr gefordert. (Medical Tribune 19/2017)

„Wenn man sich umschaut im Krankenhausbereich und in den Arztpraxen, sieht man, die Durchdringung mit EDV-Systemen wird immer stärker. Man sieht Ärzte und Pflegekräfte ständig am Rechner, wobei Ärzte immer mehr dokumentieren müssen, um klinische und gesetzliche Anforderungen zu erfüllen. Viele Ärzte haben oft schon das Gefühl, deshalb keine Zeit mehr für den Patienten zu haben.“ Univ.-Prof. Dr. Elske Ammenwerth leitet seit 2005 das Institut für Medizinische Informatik der 2001 vom Land Tirol gegründeten Privatuniversität UMIT in Hall in Tirol. Mit ihrer einleitenden Einschätzung skizziert sie eine Entwicklung, die seit vielen Jahren im Gange und beileibe nicht abgeschlossen ist.

Ammenwerth konstatiert verschiedene Gründe, warum oft mehr Frust als Lust vorherrschen, wenn Ärzte mit moderner IT arbeiten. Eine aktuelle Studie in Deutschland weist die Hälfte der Ärzte als Skeptiker gegenüber E-Health-Anwendungen aus. „Viele der Lösungen im IT-Bereich, die Ärzte nutzen sollen, gehen an deren Bedürfnissen vorbei, nicht zuletzt deshalb, weil sie häufig nur von Informatikern und nicht gemeinsam mit Ärzten entwickelt wurden“, meint die Medizininformatikerin. Als Beispiel für nicht benutzerfreundliche Systeme nennt sie KIS-Systeme in den Krankenhäusern, „Usability-Probleme“ gebe es aber auch bei den Praxissystemen im niedergelassenen Bereich.

„Ein Arzt muss mit den Systemen arbeiten und sinnvoll umgehen können“, fordert Ammenwerth, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer immer geringer werdenden Halbwertszeit von erworbenem medizinischen Wissen. Deshalb brauche der Arzt IT-Systeme, die ihm aktuelles Wissen präsentieren, die „allerdings nicht den Arzt ersetzen können, aber ihn darauf hinweisen: ,Du hast hier vielleicht etwas vergessen, dies oder jenes wäre gut, zu tun.‘“ Entschieden kritisiert Ammenwerth die derzeitige medizinische Ausbildung, in der IT allenfalls als Randfach unterrichtet werde.

Universitätslehrgang macht fit im IT-Bereich

In Kooperation mit dem Institut für Informatik an der Universität Innsbruck hat das von Ammenwerth geleitete Institut an der UMIT einen Universitätslehrgang „Health Information Management“ entwickelt, um die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, IT-Systeme besser zu verstehen und mitzugestalten. Dieser richtet sich an Kliniker und niedergelassene Ärzte ebenso wie Pflegefachkräfte. Das berufsbegleitende Studium wird in einer Variante mit drei Semestern und einem (noch nicht endgültig akkreditierten) fünfsemestrigen Masterstudium angeboten. Abgesehen von einer dreitägigen Kennenlernphase am Beginn ist das gesamte Studium einschließlich aller Prüfungen online konzipiert. Damit wird es möglich, die aufzuwendenden zehn bis 15 Stunden wöchentlich dann zu absolvieren, wann es mit der beruflichen Tätigkeit am besten vereinbar ist.

In der Pilotphase hat sich gezeigt, dass unter den Studierenden sehr rasch ein intensiver Austausch über Probleme und Lösungswege zu den gestellten Aufgaben entsteht. „Es ist eine tolle Möglichkeit, zeitunabhängig neben Beruf und Familie zu studieren und trotzdem eine Struktur zu haben, in der eine Gruppe da ist, die sich gegenseitig hilft“, betont Ammenwerth. Sie sieht in einem solchen Studiendesign auch einen Schritt in die Zukunft des Lernens: „Menschen, die lebenslang lernen müssen, sind immer weniger bereit, sich tagelang in einen Raum zu setzen, um einem Experten zuzuhören.“

Das Studium ist von Anfang an durch praxisnahe Aufgaben geprägt, wobei zu den Schwerpunkten u.a. IT- und Prozessmanagement im Gesundheitswesen, E-Health und elektronische Gesundheitsakte sowie klinische Ordnungssysteme und semantische Interoperabilität zählen. Neben Ärzten, die sich weiterbilden wollen, „um die richtigen Fragen an ihren Software-Anbieter stellen zu können“, sieht Ammenwerth auch die Möglichkeit eines Berufsbildes für Medizinabsolventen: „Personen, die sich in beiden Fachgebieten auskennen, werden von Softwarefirmen händeringend gesucht.“ Der erste Studiengang startet im Herbst 2017. Geplant ist in weiterer Folge auch, einzelne Module für Interessierte zugänglich zu machen. Gespräche mit der Ärztekammer, dafür Fortbildungspunkte zu vergeben, sind positiv angelaufen.

Von ELGA bis Big Data

Zu den großen Zukunftsthemen der medizinischen Informatik zählt Ammenwerth die derzeitige Fragmentierung der IT-Lösungen. Die Probleme ergeben sich aus einer Vielzahl von Systemen in den Krankenhäusern, dazu jenen im niedergelassenen Bereich, den Krankenkassen, den Apotheken und letztlich jenen der Patienten. „Das Ziel von ELGA ist es ja, diese Informationen zu integrieren und einrichtungsübergreifend zugreifbar zu machen.“ Dabei sieht Ammenwerth ELGA auf einem guten Weg und kann die anhaltende Kritik aus der Ärztekammer nicht nachvollziehen. Es stimme, dass eine Suchfunktion erst in Entwicklung ist, aber schon jetzt sind die gespeicherten Dokumente nicht unstrukturiert, sondern liegen in Standards (z.B. CDA) vor, die ein Auffinden möglich machen.

Zu Ammenwerths eigenen Forschungsgebieten zählt eine Personalisierung bei entscheidungsunterstützenden Funktionen wie bei der Medikationsverordnung. Derzeit würden allzu häufige Warnhinweise die Anwender verleiten, diesen weniger Beachtung zu schenken. Mit dem Terminus „Alert fatigue“ hat die Alarmmüdigkeit sogar schon einen wohlklingenden Namen.

Völlig neue Möglichkeiten

Ein weiteres Forschungsfeld sind Patientenportale in Krankenhäusern. Ähnlich wie bei ELGA können dabei Patienten Einsicht nehmen in ihre vom jeweiligen Krankenhaus gespeicherten Daten. Aktuelle Untersuchungen zielen darauf ab, die Evidenz solcher Systeme zu hinterfragen. Ist es mehr als eine nette Serviceleistung oder verbessert es die Versorgung und rechtfertigt damit die entstehenden Kosten?

Als einen Megatrend in der Medizin­informatik bezeichnet Ammenwerth „Big Data“, auch „Data Science“ genannt. Es geht darum, die riesigen Datenmengen eines Krankenhauses mit jenen von Hausärzten und Krankenkassen zusammenzuführen und patientenübergreifend anonym auszuwerten. „Das ergibt ganz neue Möglichkeiten für die Public-Health-Forschung, etwa durch die Feststellung der Häufung von Diagnosen in einem bestimmten Kontext oder Hinweise, dass häufig gemachte Maßnahmen keinen Effekt haben.“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune