Ex-Chef über den Hauptverband: „Man muss Trägheit bewegen lernen“
Was kommt auf Alexander Biach, der wohl neue Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, zu? Nach dem Rücktritt von Mag. Ulrike Rabmer-Koller als Vorstandsvorsitzende wird heftig diskutiert, ob große Strukturreformen überhaupt möglich sind. Ja, meint einer ihrer Vorgänger, Dr. Erich Laminger, im Interview.
Das Riesenschiff Hauptverband zu steuern, wird wohl einiges von Alexander Biach, derzeit stv. Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse und stv. Direktor der Wiener Wirtschaftskammer, abverlangen. Rabmer-Koller begründete ihren überraschenden Rücktritt, dass „erforderliche große System- und Strukturreformen in der aktuellen Aufstellung und mit fehlendem politischen Willen nicht machbar“ seien. Doch auch der Unternehmerin wird mangelndes politisches Geschick vorgeworfen, sie hätte sich zu wenig um interne Abstimmungen gekümmert. „Altkapitän“, Systemkenner und Mediator Dr. Erich Laminger in einer Retrospektive, wie Reformen gelingen könnten.
medONLINE.at: Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie vom Rücktritt Ulrike Rabmer-Kollers erfahren haben?
Erich Laminger: Schade – schon wieder ein Wechsel. Insofern, weil der Hauptverband ja in letzter Zeit zu häufig einen Führungswechsel im Verbandsvorstand hat. Und das ist natürlich für das Bewegen der Dinge, die bewegt werden sollen, nicht gut. Eine (Sozial)Partnerschaft, die mutige neue Schritte gehen soll, setzt auch voraus, dass man ein wechselseitiges Vertrauen aufbaut, das dauert eine gewisse Zeit, das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Sie standen an der HV-Spitze von 2005 bis 2009. Auch Sie hatten in einem Interview mit Medical Tribune Anfang 2008 tiefgreifende Strukturreformen gefordert. Gilt das auch heute noch, neun Jahre später?
Ja, denn der Patient ist im Prinzip entmündigt. Sein Potential als konstruktiv Mitwirkender und alles letztlich irgendwie zahlender Bürger wird weder gefordert noch gefördert. Er ist offensichtlich auch nicht als selbstbewusster Beitragender erwünscht. Er kriegt zwar irgendwie alles, aber manchmal muss er sehr lange darauf warten, z.B. bei Fachärzten und in den Ambulanzen, und manches klappt nur „privat“. Wir haben heute auch eine Situation, in der der Allgemeinmediziner seine Wertschätzung verloren hat. Der Allgemeinmediziner darf nämlich nicht bloß „Gatekeeper“ sein, der vornehmlich auf Zuweisungen, Medikamentenumschreibungen, Krankschreibungen und ähnliche „Gesundheitsadministrationstätigkeiten“ reduziert ist. Er muss in der Wertschätzung gleichsam der „persönliche Haus- und Hofarzt“ sein, den man mit jeder Selbstverständlichkeit primär anspricht, wenn man ärztliche Hilfe sucht.
So wie Sie hatte Rabmer-Koller eine Modernisierung des Leistungskatalogs auf ihrer Reformagenda.
Wir müssen – gemeinsam mit der Ärztekammer – von einem im Lauf der Jahre gewachsenen Trugbild der Honorierung wegkommen: Bei der Honorierung der ärztlichen Leistung stimmen Realität und Wert der Honorarpositionen allzu oft nicht überein. So geht sich zwar im niedergelassenen Bereich, der von den Krankenkassen unmittelbar gehändelt wird, am Ende irgendwie alles recht und schlecht aus, aber im Einzelnen entstehen damit Ungerechtigkeiten und falsche Anreize. Das ist weder reell, noch dem förderlich, was wir an positiver Veränderung in der Versorgungslandschaft erreichen wollen. In diesem Zusammenhang gibt es eine Dotierungsproblematik ganz besonders auch im allgemeinmedizinischen Bereich. Weiters haben sich manche Leistungen, z.B. Labormedizin, technologiebedingt so verändert, dass man weniger zahlen können müsste. Zu dieser Neugestaltung gehört auch, die Honorarpositionen so zu bezeichnen, dass sie auch von den Versicherten nachvollzogen werden können. Erst dieser Tage haben meine Frau und ich die Leistungsinformation der Kasse ausgedruckt und angesehen: Abgesehen davon, dass man das als Bürger einzelne Position relativ schwer durchschaut, denkt man sich bei manchen Positionen: Das ist ein Witz, was der Arzt kriegt. Und bei anderen: Warum so viel?
Durch einen schweren Schiunfall habe ich inzwischen das Gesundheitssystem als Patient näher kennengelernt und viel Sparpotenzial gesehen. Die präoperative Befundung für elektive Eingriffe z.B. ist letztlich deswegen teuer, weil das Spital das meiste ohnehin nochmals macht – aus forensischen Gründen.
Ihr Rezept damals waren bundeseinheitliche Tarife für alle Leistungen, inklusive in den Spitälern, via Finanzierung aus einer „Hand“. Warum nicht aus einem „Topf“ oder wie jetzt, über die Zielsteuerung der Gesundheitsreform, neun Ländertöpfe?
Die Finanzierung muss statt aus allerlei Fonds und Töpfen aus einer Hand, nämlich der Versichertenhand, natürlich mit (Sozial-) Versicherungsdeckung, erfolgen und von den Menschen selbstbewusst so begriffen werden. Ein solches Prinzip, transparent gehandhabt, würde jene gesunden Markteffekte bringen, dessen Impulse die Entwicklung des Gesundheitssystems positiv beflügeln würden. Die Bürger würden sich – im Interesse ihres Eigenwohles und dann eben bewusst letztlich auch um ihr Geld – wie im sonstigen Leben auch als Patienten dorthin wenden, wo sie die für sie insgesamt beste Leistung erwarten können. Leider wurde unter meinem Nachfolger, Dr. Hans Jörg Schelling, jetziger Finanzminister, auf eine Finanzierung aus einem Topf pro Land geschwenkt. Das ist aber im Prinzip das Alte in neuen Schläuchen: Ein „Rat“, wie immer er besetzt ist, verteilt das Geld. Was ich meine: Die einzelne Hand des Patienten, und für ihn die Sozialversicherung, zahlt faire, kostendeckende Preise für die erbrachten Leistungen – ohne Deckelungen. Das muss natürlich einhergehen mit einer entsprechenden Vereinbarung des vertraglichen Rahmens, z.B. im niedergelassenen Bereich bei den Öffnungszeiten. Die Tarife für den niedergelassenen Bereich und auch für die Spitäler müssen außerdem so gestaltet sein, dass Reinvestitionen mitverdient werden können. Dann braucht es künftig keine „Gönner“ von Landesseite für die Spitäler, die den Abgang zahlen.
Wie weit war die Finanzierung aus einer Hand schon gediehen?
Ich bin bei der Finanzierung aus einer Hand durch viele Gespräche mit Stakeholdern, auf führender Länderebene u.a. etwa mit der damaligen SP-Landeshauptfrau Salzburgs, Gabi Burgstaller, schon gut unterwegs gewesen. Auch mit Niederösterreichs VP-Landesrat Wolfgang Sobotka, jetziger Innenminister, gab es ein konstruktives Gespräch.
Warum haben Sie aufgehört, also keine weitere Funktionsperiode angeschlossen?
Im Herbst 2008 habe ich mich entschieden, nicht mehr für eine weitere Funktionsperiode zur Verfügung zu stehen. Im Vorfeld der im Jänner 2009 anstehenden Neukonstituierung zeichnete sich nämlich plötzlich eine Situation ab, in der ich um die Funktion hätte kämpfen müssen. Ich war aber nie ein Kandidat im klassisch österreichischen Sinn, was gewisse politische Punziertheiten betrifft, sodass mir ein solcher Kampf sinn- und aussichtlos erschien.
Eine Woche nach dem Rücktritt von Rabmer-Koller präsentierten Gesundheitsministerium, Länder und Sozialversicherung den Zielsteuerungsvertrag bzw. Fahrplan Gesundheit bis 2021? Sehen Sie darin größere Strukturreformen?
Den großen Strukturreform-Wurf sehe ich auch hier nicht. Vor allem auch deshalb, weil mehrfach ausdrücklich festgehalten ist, dass sich an der Finanzierung nichts ändern soll. Wie aber soll Bewegung ins System kommen, wenn hier keine neuen Anreize entstehen und auch bei den Entscheidungsstrukturen keine Änderungen vorgesehen sind? Und ganz wesentliche Partner fehlen mir bei der Zielsteuerung: die Ärzte.
Zu den Kassenstrukturen: Können Sie den Ärger Rabmer-Kollers über die von Sozialminister Alois Stöger, vormals Gesundheitsminister und OÖGKK-Obmann, bei der London School of Economics (LSE) in Auftrag gegebenen Effizienzstudie um 630.000 Euro nachvollziehen?
Die LSE kenne ich noch aus meiner Zeit als Verbandsvorsitzender. Wir haben uns immer sehr genau überlegt und darüber mache intensive Diskussionen gehabt, welche Studie wir bei der LSE in Auftrag geben und welche nicht. Das „Strukturthema“ gehört meiner Ansicht nach nicht dazu, wie ich überhaupt Notwendigkeit und Nutzen dieser Studie, auch angesichts des Sparsamkeitsgebots, nicht nachvollziehen kann.
Erstaunlich viele Seiten vermuten einen internen parteipolitischen und ideologiegetriebenen Machtkampf im Hauptverband, bei dem Rabmer-Koller das Nachsehen hatte. Abgesehen davon, dass das die ideale Kundschaft für einen Mediator wäre, …
… vielleicht (lacht), aber bis jetzt hat noch niemand gefragt …
… wie haben Sie damals das Arbeitsklima empfunden, es sind ja großteils dieselben Personen?
Ja, ich kenne alle, die da agieren. Ich bin nie als Akteur gegen etwas aufgetreten, sondern für etwas, also hier für die meines Erachtens nach im Grundsatz wertvolle Sozialversicherung, um das System weiterzuentwickeln. Wichtig ist auch, das weiß ich nicht zuletzt durch meine Erfahrungen von den Metaller-Kollektivvertragsverhandlungen in den 90ern, keine unnötigen Angriffe gegen Leute zu starten. Alle haben gewusst, dass meine Haltung eine absolute Augenhöhe-Haltung ihnen gegenüber ist. Aber sie haben auch gewusst, dass ich sehr empfindlich darauf reagiere, wenn sie diese Haltung mir gegenüber nicht haben. Wesentlich für die Funktion ist auch Zeit und Verfügbarkeit, das ist ein Fulltime-Job.
Halten Sie den Hauptverband für eine „Mission Impossible“?
Nein. Es ist nur dann eine Mission Impossible, wenn man meint, es funktioniert so wie im Unternehmensmanagement, wo man die Hebel halbwegs direkt bewegen kann. Ich vergleiche den Hauptverband eher mit einem riesengroßen Schiff: Der Kapitän steuert in Wahrheit nicht selbst, sondern er muss es schaffen, das gesamte Team an den Hebeln in die gewünschte Richtung koordiniert in Bewegung zu halten. Oder kürzer ausgedrückt: Man muss Trägheit bewegen lernen. Und wie bei einem riesengroßen Schiff bringen auch kleine Ruderausschläge die Kursänderung, zwar mit einer gewissen Verzögerung aber an sich nicht mehr zu verhindern. So habe ich damals z.B. die Zusammenführung der IT-Strukturen der Gebietskrankenkassen auf den Weg gebracht – trotz vieler Unkenrufe und obwohl gerade diese Kassen gern als widerborstig bezeichnet werden.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Dr. Erich Laminger (68) ist Jurist, war lange Jahre Manager in der Industrie, und ist heute Berater und Wirtschaftsmediator. Seine Spezialgebiete sind u.a. politische Interessenskonflikte und Mediationen in Organisationen und Unternehmen. Laminger führte den Hauptverband von 2005 bis 2009. Danach folgten: Dr. Hans Jörg Schelling (bis Herbst 2014), Peter McDonald (bis Herbst 2015) und Ulrike Rabmer-Koller, die am 20.4. 2017 ihren Rücktritt bekanntgab. In der nächsten regulären Sitzung der Trägerkonferenz des Hauptverbandes am 9. Mai 2017 wird voraussichtlich Alexander Biach zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt.