Umstrittene Kompetenzen der Pflege

In der Primärversorgung soll die Pflege als Teil des Kernteams eine wichtige Rolle übernehmen. Von der Ärzteschaft vermisst die Berufsgruppe allerdings noch den Willen zum Miteinander auf Augenhöhe. (Medical Tribune 17/2017)

Pfleger vs. Arzt: Man sitzt zwar in einem Boot, doch in der Praxis ist das Verhältnis der beiden Berufsgruppen alles andere als friktionsfrei.
Pfleger vs. Arzt: Man sitzt zwar in einem Boot, doch in der Praxis ist das Verhältnis der beiden Berufsgruppen alles andere als friktionsfrei.

Ohne Einbindung der Pflege ist der Ausbau des Primärversorgung in der geplanten Form nicht denkbar, der Beruf des Krankenpflegers wird entsprechend aufgewertet. Die Zufriedenheit aller Beteiligten hält sich jedoch in Grenzen. Während Vertreter der Pflegeberufe weitere Reformen fordern, sehen Ärzte bereits bestehende Kompetenzerweiterungen der Pfleger kritisch. Das Verhältnis der beiden Berufsgruppen bleibt angespannt, wiewohl sie mehr denn je in einem Boot sitzen.

Machtkampf

Der Standesvertretung der Pflegeberufe gehen die Veränderungen der letztjährigen GuKG-Novelle nicht weit genug. Das betrifft in erster Linie die Verschreibung von Medizinprodukten. Gemäß GuKG darf der gehobene Dienst Inkontinenzvorlagen, Verbandsmaterialien, Stomaversorgung & Co weiterverordnen, aber nach wie vor nicht erstverschreiben. Für den Salzburger Pflegedirektor Karl Schwaiger, 1. Vizepräsident des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), ist das nicht nachvollziehbar, da „es sich um reine Pflegeprodukte handelt, die mit einem medizinischen Risiko gar nichts zu tun haben“.

Er sieht darin ein plakatives Beispiel dafür, dass „die Verantwortlichen im Hauptverband der Sozialversicherungen und in der Österreichischen Ärztekammer sehr darauf bedacht sind, bestehende Machtverhältnisse um keinen Preis zu verändern.“ Denn: „Wie könnte man sich sonst erklären, dass im aktuellen GuKG ein einziges Verbot drinnensteht? Und das ist genau der Paragraph 15a, der der Pflege ausdrücklich verbietet, eine Verordnung des Arztes zu verändern im Rahmen der Weiterverordnung von Medizinprodukten.“

Zwei-Klassen-Gesellschaft

Besonders sauer stößt dem ÖGKV auf, dass Primärversorgungseinheiten auf dem Papier zwar in Form von Netzwerken organisiert sein können, DGKP im Gegensatz zu den anderen Gesundheitsberufen allerdings de facto nur als Angestellte mitarbeiten können. Denn freiberufliche Pflegekräfte können ihre Leistungen mangels vertraglicher Vereinbarungen nicht über die Sozialversicherung abrechnen, wie Schwaiger gegenüber der Medical Tribune bemängelt. Für ihn ist klar: „Der wichtigste Schritt ist jetzt, eine vertragliche Situation mit der Sozialversichung zu schaffen. Da muss die Ärzteschaft mit an Bord kommen und die Sozialversicherung bereit sein, die gesetzlichen Veränderungen durchzuführen.“

Doch die Ärztekammer schlägt nicht gerade versöhnliche Töne an. „Mich erheitert die Diskussion ein wenig“, sagt Dr. Harald Mayer, 2. Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte. „Die Pfleger wollen oft kleine Ärzte sein und viele Aufgaben, aber keine Verantwortung dafür übernehmen.“ Mayer sieht keine Notwendigkeit, die Kompetenzen des Pflegepersonals zu erweitern: „Wozu mehr, wenn ich das, was ich kann, schon nicht mache?“ Er spielt darauf an, dass schon jetzt viele Dinge erlaubt seien, wie etwa Blutabnahmen, die Spitalsbetreiber den Pflegekräften diese teilweise aber nicht erlauben. „Vieles scheitert am System“, so Mayer.

Er wünscht sich ein kon­struktives Miteinander aller im Gesundheitsbereich tätigen Berufsgruppen. Gemeinsam müsse man überbordende Bürokratie abbauen, oft gebe es Parallel-Dokumentationen. In Sachen Primärversorgung wünscht sich Mayer von der Politik „eine Spur mehr Ehrlichkeit“. Denn: „Die Politik glaubt, alles wird billiger, aber auch in der Primärversorgung muss es wer zahlen.“ In diesem Punkt gibt es einen Konsens mit Vertretern des Pflegepersonals. „Wenn wir ein ausreichendes Angebot sicherstellen wollen, braucht der Sektor dauerhaft mehr Geld“, sagte Willibald Steinkellner, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft vida, erst kürzlich im Rahmen einer parlamentarischen Enquete zum Thema „Die Zukunft der Pflege“.

In vielen Einrichtungen werde auf dem Rücken der Beschäftigten gespart – während die Zahl der Patienten steige, seien viele Häuser chronisch unterbesetzt. Steinkellner fordert eine gesetzlich verankerte einheitliche Personalbedarfsrechnung, die allen Betreibern von Gesundheitseinrichtungen die Mindestzahl und Qualifikation der Mitarbeiter vorschreibt. „Nur so können wir Mindeststandards und faire Arbeitsbedingungen sicherstellen.“ Pflege und Betreuung alter und kranker Menschen sei eine sozialstaatliche Aufgabe. „Wir müssen einen unbefristeten Pflegefonds schaffen.“

Nachwuchssorgen

Gelingt es jetzt nicht, das Berufsbild Pflege attraktiv zu gestalten, könnte das österreichische Gesundheitssystem ins Wanken geraten. Bei der Parlamentsenquete war von 30.000 Pflegekräften die Rede, die bis 2030 zusätzlich gebraucht werden. Für Pflegedirektor Schwaiger ist klar: „Damit junge Menschen den Beruf als attraktiv wahrnehmen, wird man Arbeits-, Gehalts- und Ausbildungsbedingungen verbessern müssen.“ Zumindest, was die Ausbildung angeht, ist der Grundstein dafür aus seiner Sicht mit der GuKG-Novelle gelegt: „Mit der Überführung der Ausbildung für den gehobenen Dienst an die Fachhochschulen ist eine Perspektive für junge Menschen gegeben, die einen Maturaabschluss haben und damit am ehesten die Voraussetzungen haben, diesen komplexen Beruf zu erlernen.“

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin Medical Tribune